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Debatte vor Frankfurter Buchmesse
Palästinensische Autorin in Zürich – ihr Roman soll antisemitisch sein

Adania Shibli, palaestinensische Autorin und  Friedrich-Duerrenmatt-Gastprofessorin an der Uni Bern. 
Hier in der Bibliothek der Uni Tobler




© TAMEDIA AG | Franziska Rothenbuehler
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Kann in diesen Tagen ein Roman, der Israel als Mordmaschine darstellt, ausgezeichnet werden? Gestern Abend hat die deutsche Zeitung TAZ Bedenken geäussert, dass der Roman «Eine Nebensache» der palästinensischen Autorin Adania Shibli kommende Woche auf der Frankfurter Buchmesse einen Preis bekommen soll.

Der Roman sei nicht nur ideologischer Natur, sondern bediene auch antisemitische Narrative – während in Berlin-Neukölln am vergangenen Wochenende Baklavas an alle verteilt wurden, die den Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel guthiessen.

Es ist womöglich erst der Anfang einer Debatte darüber, wie gerade mit Literatur umgegangen werden muss, die angeblich israelfeindliche und antisemitische Stimmen in den deutschen Kulturbetrieb bringt, nachdem der historisch unvergleichliche Konflikt im Nahen Osten am vergangenen Wochenende neu aufflammte.

Jurymitglied verlässt aus Protest die Jury

Die palästinensische Autorin Adania Shibli wurde 1974 in Palästina geboren. Sie lebt und arbeitet in Deutschland und Palästina. Seit Juli ist sie Writer-in-Residence im Literaturhaus Zürich. 2021 hatte sie die Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern inne, wie diese Redaktion bereits berichtete.

Nächste Woche soll ihr Roman «Eine Nebensache» auf der Frankfurter Buchmesse mit dem «LiBeraturpreis 2023» ausgezeichnet werden. Dieser Preis wird jährlich an eine Autorin aus dem globalen Süden für ein neu auf Deutsch erschienenes Buch vergeben.

Bereits in diesem Sommer hat laut der TAZ der WDR-Journalist Ulrich Noller aus Protest die Jury verlassen, weil er nicht wollte, dass die palästinensische Autorin Adania Shibli ausgezeichnet wird. Mit der englischen Übersetzung «Minor Detail» stand Shibli 2021 auf der Longlist des International Booker Prize.

Antisemitische Narrative?

Das war alles, lange bevor die Terrororganisation Hamas vergangenen Samstag mit den barbarischen Massenmorden an der israelischen Zivilbevölkerung begonnen hat. Und es lässt aufhorchen.

Wie die TAZ in ihrem Artikel schreibt, bediene der Roman «antiisraelische und antisemitische Narrative, und er lässt dabei solche Lesarten nicht nur zu, sondern eröffnet ihnen Räume».

In diesem Kurzroman seien alle Israelis Vergewaltiger und Mörder, die Palästinenser einzig Opfer der Besatzer.

Worum geht es im Roman? Die Autorin erzählt von einem Beduinenmädchen, das während des Palästinakrieges (1947–1949) in der Negev-Wüste vergewaltigt und anschliessend ermordet wird. Die dort stationierten israelischen Soldaten langweilen sich. Ihr Kommandeur halluziniert und trifft dann auf eine Beduinengruppe. Ausser einem Mädchen und einen Hund lässt er alle erschiessen. Die zwei Überlebenden werden in ein Camp des Militärs verschleppt. Das ist der eine Teil des schmalen Romans.

Der andere spielt Jahrzehnte später. Eine Journalistin will dieses Verbrechen verstehen. Diese Icherzählung wirke sogartig, aber genau dieser Ton der Einfühlsamkeit überschatte laut der TAZ das Kernproblem des Textes. In diesem Kurzroman seien alle Israelis Vergewaltiger und Mörder, die Palästinenser einzig Opfer der Besatzer. Die Gewalt gegen israelische Zivilisten werde wohl auch deshalb nicht erwähnt, weil sie als legitimes Mittel im Befreiungskampf gegen die Besatzer gelte.

Literaturhaus: «Unterschiedliche Blicke auf einen Text»

Das Literaturhaus Zürich schreibt heute auf Nachfrage zu den Vorwürfen, dass es sich als Raum des zugewandten Gesprächs und Ort des gemeinsamen Austauschs verstehe. «Wir sowie auch die Autorin Adania Shibli sind von den Ereignissen der letzten Tage schockiert, verurteilen jegliche Form der Gewalt und glauben an die Freiheit von Kunst und Literatur.»

Weiter betont das Literaturhaus Zürich, dass Lesende sehr «unterschiedliche Blicke auf einen Text werfen und zu unterschiedlichen Urteilen» kommen könnten. Das sei legitim und immanenter Bestandteil der Literaturkritik.

Buchmesse kann die Preisverleihung nicht verhindern

Weiter schreibt die TAZ, dies sei «die ideologische und menschenverachtende Basis» des Buchs, und so gerate auch der tödliche Romanschluss zu einer pamphlethaften Anklage, in dem sich alle Stereotype des Textes noch einmal bündeln würden.

Und jetzt? Am Freitag, dem 20. Oktober, soll die Autorin auf der Frankfurter Buchmesse für ihren Roman ausgezeichnet werden. Die Statuten der Buchmesse sehen offenbar vor, dass die Preisverleihung an die Aktivistin Adania Shibli nicht verhindert werden kann. Nun soll es, so schreibt es die TAZ, auf der Buchmesse eine Diskussions­veranstaltung geben, wie damit umgegangen wird.