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Datenschutz im Auto
Wenn Big Brother am Lenkrad sitzt

06.09.2023, Bayern, München: Eine Frau bedient während der Automobil-Ausstellung IAA MOBILITY am Messestand von Tesla ein Display in einem Fahrzeug. Die Internationale Automobil-Ausstellung IAA MOBILITY 2023 findet in München von 05.-10. September statt. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Sven Hoppe)
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Die Datenverarbeitungsspezialisten sind alarmiert. «Moderne Autos sind ein Albtraum, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht», sagt Jen Caltrider. Sie leitete die Untersuchung für die in San Francisco ansässige Mozilla-Stiftung, welche die Autos der 25 beliebtesten Marken unter die Lupe genommen hat. «Autos sind die schlechteste Produktkategorie, die wir je bewertet haben», stellt Caltrider fest. Ausnahmslos alle vernetzten Autos würden «mehr persönliche Daten als nötig» sammeln.

Tesla, Audi, BMW, Dacia, Fiat, Ford, Honda, Hyundai, Nissan, Renault, Subaru und VW – sie alle betätigen sich als Datenkraken. Die Autos sind mit Kameras und Mikrofonen im Innenraum ausgestattet, die Daten werden laufend in die Cloud geschickt. Laut der Studie von Mozilla dringen einige Hersteller bis in die Privatsphäre der Nutzer vor. Dies ist der Fall bei Nissan und Kia, die nach eigenem Bekunden wahrscheinlich Informationen über die «sexuelle Aktivität» der Fahrzeuginsassen sammeln.

«Diese Studie ist ziemlich umfassend und daher ziemlich beängstigend», sagt Sylvain Métille, Rechtsanwalt und Professor an der Universität Lausanne. Für den Experten der Sicherheit von Informationstechnologien zeigt die Studie, «dass die Praxis systematisch wird. Die Hersteller haben entdeckt, dass diese Daten einen wirtschaftlichen Wert haben.»

Laut den Recherchen der Mozilla-Stiftung nutzen die Automarken diese Daten nicht nur – drei von vier verkaufen sie auch an Dienstleister, Datenhändler und andere Unternehmen weiter. «Nach mehr als 600 Stunden Forschung wissen wir immer noch nicht, mit wem die Autohersteller Ihre Daten teilen, aber wir haben eine ziemlich gute Vorstellung davon, warum sie das tun: Ihre Daten sind ein wertvolles Handelsgut», sagt Jen Caltrider.

Die Forscherin der Mozilla-Stiftung ist nicht die Einzige, die so denkt. Das Beratungsunternehmen McKinsey schätzt, dass die von Autos gesammelten Daten im Jahr 2030 einen zusätzlichen Wert von 250 bis 400 Milliarden US-Dollar pro Jahr generieren könnten.

Weitergabe von Daten an die Polizei

Nicht jede Nutzung dieser Daten wird kostenpflichtig sein. Mehr als die Hälfte der Hersteller geben an, dass sie Informationen mit den Strafverfolgungsbehörden teilen können. Selbst wenn die Anfrage der Behörden «informell» ist, denn ein Durchsuchungsbefehl ist nicht unbedingt erforderlich.

Diese indiskrete Ernte füttert eine aufstrebende Industrie. Die Firma High Mobility ist ein solcher Datenhändler für Autos, der sich im Internet etabliert hat. Sie verkauft Statistiken in 57 Kategorien, die von der Geschwindigkeit über die Länge der Fahrten bis hin zu «Herzfrequenz» und «Müdigkeit des Fahrers» reichen.

Sogar genetische Informationen

In einer Zeit, in der Autos immer mehr zu Computern auf Rädern werden, verwandeln sie sich in mächtige Datensammelmaschinen. Den Sensoren, Kameras, Telematiksystemen und anderen Anwendungen, die in den Fahrzeugen installiert sind, entgeht nichts.

Die Bordsoftware speichert noch immer GPS-Daten, aber auch Radio-Streaming und Daten von Mobiltelefonen, wenn sich ein Beifahrer mit dem System des Autos verbindet.

Dieses Sammeln ist aufdringlicher, als man sich vorstellen kann. Je vernetzter die Autos sind, desto mehr wissen sie. Nissan USA sammelt unter anderem Daten über «Herkunft, religiöse Überzeugungen, sexuelle Orientierung, Geolokalisierung, Gesundheit und sogar genetische Informationen» über die Nutzerinnen und Nutzer der Autos.

Hinzu kommt, dass 13 der 25 untersuchten Autos Informationen über ihre Umgebung sammeln. Das bekannteste Beispiel dafür ist der in Teslas eingebaute «Sentinel»-Modus. Damit können zum Beispiel Personen gefilmt werden, die das Fahrzeug beschädigen.

Laut der Studie der Mozilla Foundation erwähnten 88 Prozent der untersuchten Marken die Entwicklung von Interferenzen, das heisst, es werden damit Hypothesen über die Fahrer aufgestellt, die auf der Analyse anderer Daten beruhen. So wird etwa die Musik, die man hört, mit dem Fahrziel verknüpft, um Lücken über die Vorlieben der Fahrer zu schliessen.

«Während wir uns Sorgen darüber machen, dass unsere mit dem Internet verbundenen Uhren uns ausspionieren könnten, wissen wir nicht, dass unsere Autos viel mehr Macht haben, uns zu überwachen, abzuhören und Informationen zu sammeln», sagt Jen Caltrider.

Der Datenschutz ist kein Kriterium beim Autokauf. Das ermöglicht es den Herstellern, die Zustimmung zur Verwendung der Daten einfach vorauszusetzen. «Die Datenschutzrichtlinie von Subaru besagt sogar, dass Passagiere, die die vernetzten Dienste eines Autos nutzen, der Nutzung und möglicherweise dem Verkauf ihrer persönlichen Daten zugestimmt haben, nur weil sie sich im Fahrzeug befinden», sagt Caltrider.

Kein Hersteller erfüllt die Mindestsicherheitsstandards der Mozilla-Stiftung betreffend Datenschutz. Die am wenigsten schlecht bewerteten Marken – Renault und Dacia – bieten als einzige immerhin die Möglichkeit, die persönlichen Daten löschen zu lassen. «Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass diese Autos nur in Europa erhältlich sind, das durch die Datenschutz-Gesetzgebung geschützt ist», sagt Jen Caltrider.

Bald sind 95 Prozent der Autos vernetzt

Die Zahl der Spionageautos wird weiter steigen. Laut der Beratungsfirma McKinsey werden 95 Prozent der Fahrzeuge, die bis 2030 verkauft werden, vernetzt sein.

Das hat auch damit zu tun, dass die Daten für Versicherungsunternehmen wichtig sind. Sie haben ein Interesse daran, die Fahrzeuge mit Software auszustatten, um das Fahrverhalten aufzuzeichnen. Vorderhand soll dies genutzt werden, um verantwortungsbewussten Fahrern einen Prämienrabatt zu gewähren.

Einige Autohersteller stellen sich jedoch eine weitergehende Nutzung dieser Technologien vor. Ford hat in den USA ein Verfahren zum Patent angemeldet, mit dem Kunden geplagt werden könnten, die ihre Leasingraten nicht bezahlen. Die in einem 14-seitigen Text beschriebenen Massnahmen umfassen mehrere «Stufen des Unbehagens»: von einer Textwarnung bis hin zu einem Auto, das sich selbstständig auf den Weg zum Abschlepphof macht.

Es ist auch die Rede von einer ferngesteuerten Abschaltung der Klimaanlage oder von einem unangenehmen Dauerton. Ford ist sich bewusst, dass solche Massnahmen die Fahrer verärgern könnten, und plant, Videobilder von deren Reaktionen zu sammeln.

«Da viele der betroffenen Autos in der Schweiz fahren, müssten Massnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Persönlichkeit der Nutzer respektiert wird», fordert Sylvain Métille von der Universität Lausanne. Denn der «Albtraum», von dem die Mozilla-Stiftung spricht, hat schon begonnen.