Belgiens König besucht den KongoDas Wort Entschuldigung bringt der Monarch nicht über die Lippen
Der König der Belgier, Philippe, besucht das frühere afrikanische Kolonialgebiet am Kongo. Er bedauert Unterdrückung und Gewalt.
Die Kongolesen warten und warten, das alles dauert schon sehr lange. Jahrzehnte sind verstrichen, ohne Reue und ohne Sühne. Vielleicht dieses Mal? Schliesslich ist das ein denkwürdiger Moment, einer, der viele im Kongo aufwühlt. König Philippe aus Belgien ist in dieser Woche angereist, mit seiner Gattin Mathilde. Die beiden reisen mit schwerem historischem Gepäck, das ihnen der frühere Monarch Leopold II. von Belgien (1835 bis 1909) aufgeladen hat.
Wird sich Philippe entschuldigen für alles, was der einstige Leopold II. an Gräueltaten in den tropischen Wäldern zu verantworten hat? Seit Dienstag weilt der belgische Monarch, dessen Ururgrossvater ein Bruder von König Leopold II. war, in der Demokratischen Republik Kongo. Er besucht ein riesiges rohstoffreiches Land, etwa 78 Mal so gross wie Belgien, das bis heute arm geblieben ist, zerrüttet von Korruption und Gewalt. Und belastet von einer kolonialen Vergangenheit, die lange in Belgien verdrängt und verharmlost wurde.
Ganz Zentralafrika als Privatbesitz
Leopold II. war es einst gelungen, ganz Zentralafrika, mit Billigung der grossen europäischen Mächte, 1885 in seinen Privatbesitz zu überführen, während sich Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und Portugal daran machten, den Rest des Kontinents unter sich aufzuteilen. Am Kongo sollte Freihandel herrschen, so legten es die europäischen Herren fest. Tatsächlich entwickelte sich unter Leopold II. eine Schreckensherrschaft, die Millionen Menschen ins Verderben stürzte.
Jahrzehntelang kam eine Aufarbeitung der Erblast nicht voran, erst seit einigen Jahren gibt es Bewegung, wie man auch an dieser Reise des Königs erkennt. Philippes Auftritt soll ein wesentlicher Baustein der Bewältigung sein. Und vielleicht auch ein Neuanfang in den Beziehungen zwischen Brüssel und Kinshasa.
Doch der Besuch rückt unweigerlich auch jene Scheusslichkeiten ins Licht, die von der einstigen Kolonialarmee Leopolds, der Force Publique, verübt wurden. Der koloniale Alltag war von Ausbeutung und einem Mass an Brutalität bestimmt, das heute sprachlos macht. Kindern wurden Hände und Füsse abgehackt, wenn die Eltern oder die Gemeinden die von der Kolonialmacht geforderten Gummiquoten in den Kautschukplantagen nicht erfüllten. Menschen wurden schon bei kleinsten Verstössen mit der Nilpferdpeitsche gefoltert, die Qualen kannten keine Grenzen.
Zehn Millionen Opfer
Auch wenn umstritten ist, wie viele Todesopfer die koloniale Ausbeutung und deren Folgen forderten, so belaufen sich manche Schätzungen auf acht bis zehn Millionen Menschen, die dem Regime zum Opfer fielen. Dafür musste Philippe nun Worte finden.
«Ich möchte mein tiefstes Bedauern für diese Wunden der Vergangenheit bekräftigen», erklärte der Monarch vor dem Parlament in Kinshasa. Das Kolonialregime sei durch Paternalismus, Diskriminierung und Rassismus gekennzeichnet gewesen und habe «zu Gewalt und Erniedrigung» geführt.
Und doch brachte er das eine Wort nicht über die Lippen: eine Entschuldigung, auf die viele Kongolesen schon lange warten, hat Philippe – bislang – nicht formuliert.
Die Reaktionen sind gemischt, aus Kreisen des Regierungslagers gab es anerkennende Worte für Belgiens Bemühungen um einen Neuanfang, sie verbinden sich mit Hoffnungen auf Investitionen. Präsident Félix Tshisekedi sagte, es gehe darum, nach vorn zu blicken. Die oppositionelle Senatorin Francine Muyumba Nkanga schrieb allerdings auf Twitter: «Wir werden uns niemals der Zukunft zuwenden ohne Entschuldigung und Reparationen aus Belgien.» Es gibt keine Einigkeit, wie der Weg zu einer Aussöhnung aussehen soll.
Philippe brachte bei seinem Besuch eine Maske vom Volk der Suku zurück, die einst aus dem Kongo geraubt worden war und bisher im Museum in Brüssel aufbewahrt wurde. Tausende kulturelle Gegenstände wurde damals aus dem Land geschafft und sollen nach und nach restituiert werden. Kommende Woche ist ausserdem eine weitere bedeutsame Übergabe geplant: Belgien will die sterblichen Überreste von Patrice Lumumba dessen Familie zukommen lassen. Der erste Premierminister war 1961 von Soldaten der abtrünnigen Region Katanga, unter belgischer Aufsicht, erschossen worden, später wurde seine Leiche wieder ausgegraben und in Säure aufgelöst, um die Tat zu vertuschen. Erst Jahrzehnte nach dem Mord wurden die Umstände des Todes aufgeklärt, und nun könnte also zumindest der Zahn des Freiheitshelden seine letzte Ruhe auf dem Kontinent finden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.