Der schmerzhafte LernprozessDas Schweizer Nationalteam steht in der Nations League unter Druck
Die Schweiz braucht gegen Spanien mindestens einen Punkt, um den Abstieg in der Nations League zu vermeiden. Dafür muss sie ihren besten Fussball zeigen.
Bei der ersten Austragung der Nations League gab es für die Schweiz noch das grosse Geld. Die Qualifikation für das Final Four im Sommer 2019 brachte 7 Millionen Euro in die Kassen des Verbandes. Trainer und Spieler fühlten sich gut, im Kreis der europäischen Elite angekommen zu sein.
Die zweite Austragung dieses Wettbewerbs geht jetzt dem Ende entgegen, und der Schweiz droht der Abstieg aus Liga A in Liga B. In den letzten beiden Spielen braucht sie mindestens und dringend vier Punkte: einen heute Samstag gegen Spanien und drei am Dienstag gegen die Ukraine. «Für die Schweiz und den Schweizer Fussball wäre es wichtig, in der Liga A zu bleiben», sagt Nationaltrainer Vladimir Petkovic.
Ein Abstieg würde all dem widersprechen, was sich der Coach und seine Mannschaft, allen voran Captain Granit Xhaka, an Selbstverständnis aufgebaut haben. Sie sehen sich auf dem Weg Richtung Weltspitze. «100 Prozent ja», sagt Xhaka, «die Mannschaft hat enorme Qualitäten, sie hat sich enorm verbessert, sie kann etwas Grosses erreichen.»
Nur schon ein Blick auf die Statistik zeigt jedoch, wie erstaunlich solche Aussagen sind. In der Fifa-Rangliste sind die Schweizer auf Platz 16 zurückgerutscht, und in diesem Jahr haben sie noch keines von sechs Spielen gewonnen, dafür gleich vier verloren, zuletzt am Mittwoch gegen Belgiens B-Team. Auch da hat sich gezeigt, dass sie gegen prominentere Mannschaften in einer Lernphase sind.
Zu viele Fehler
In der Ukraine patzte Yann Sommer, gegen Kroatien Eray Cömert, in Spanien nochmals Sommer, in Deutschland Fabian Schär gleich dreimal, und in Belgien war es Loris Benito. «Wir machen zu viele Fehler, die sehr, sehr hart bestraft werden können», gibt Xhaka zu bedenken. Er redet nicht nur von Fehlern in der Verteidigung, sondern auch von Ballverlusten im Mittelfeld, die dringend abgestellt werden müssten. Und noch eine Schwäche spricht er an: «Es fehlt an Präzision und Konzentration vor dem Tor.» Übersetzt heisst das: Die Schweizer sind nicht nur ungenau beim letzten Pass, sie brauchen auch zu viele Chancen für ein Tor.
Beides hat mit Qualität zu tun. «Wir sind die Schweiz», gibt Haris Seferovic darum in einem Ton zu bedenken, der sich weit weniger euphorisch anhört als bei Xhaka, «ob wir der Weltspitze näher gekommen sind? Wir müssen das beweisen.»
Petkovic jongliert in diesem Herbst mit seinem Personal. Er rotiert, um körperlich keinen zu überfordern. Was immer er macht, seine Auswahl ist nicht so gross, wie er gern glaubt. Der engere Kreis ist besetzt, und wenn gerade keiner krank, gesperrt, verletzt oder sonst unpässlich ist, sind viele Positionen vergeben: an Sommer, Elvedi, Schär, Akanji, Xhaka, Rodriguez, Shaqiri und Seferovic. Wegen Mbabus Fehlen hat sich Widmer als rechter Aussenläufer etabliert, Freuler ist der erste Partner von Xhaka, solange Zakaria ausfällt, und Embolo, Gavranovic und Mehmedi sind die ersten Alternativen an der Seite von Seferovic.
Verlieren à la Petkovic
Der Chef ist Xhaka. Ohne ihn, den Mann mit der Captainbinde, steht und fällt diese Mannschaft. Das zeigte sich beispielhaft gegen Kroatien und in Belgien, als er jeweils in der zweiten Halbzeit geschont wurde. «Ich bin nicht der Einzige, der auf dem Platz steht», sagt er, «vielleicht haben wir eine junge Mannschaft, die schüchtern ist, aber auf dem Platz darf das keiner sein.» Wenn der harte Kern verfügbar ist, kann die Mannschaft nicht mehr als jung bezeichnet werden. Dann besteht sie aus gestandenen Spielern der Bundesliga, der Premier League oder der Serie A.
Der Coach hat das Ziel, sie spielerisch weiterzuentwickeln. Er hat die Dreierkette etabliert, die ihm schon lange am Herzen liegt; er möchte das Spiel aus der Abwehr heraus pflegen und das aggressive Pressing, am liebsten schon am gegnerischen Strafraum. Seine Vorstellungen von Fussball mögen modern sein. Nur ist die Frage, ob sie auch auf diese Spieler zugeschnitten sind und ob sie wirklich so attraktiv sind, wie der Coach denkt. Der Lernprozess läuft jedenfalls unter Schmerzen.
Die Schweizer mögen inzwischen à la Petkovic verlieren, aber sie verlieren, und auf Dauer kann es nicht immer nur heissen, das sei schade. Ein Abstieg in der Nations League wäre in der Entwicklung ein Rückschlag, wie bedeutend sie als Wettbewerb auch immer sein mag. «Dann wäre er die Realität», sagt Seferovic in seiner ihm eigenen Nüchternheit, «er wäre enttäuschend, aber wahr. Und wir müssten es das nächste Mal besser machen.»
Die Konstellation will es so, dass sie trotz aller Nachteile sogar noch den 1. Platz in ihrer Gruppe erreichen können. Das ist der Fall, wenn sie Spanien mit zwei Toren Differenz besiegen und die Ukraine nur schon mit einem 1:0; und wenn die beiden anderen Gruppenspiele (Deutschland - Ukraine und Spanien - Deutschland) jeweils mit einem Remis enden. Das sind allerdings gar viele Wenns.
Genug geredet
Spätestens im März müssen die Schweizer aus dem «Resultattief» (Petkovic) herausfinden. Dann beginnt die Qualifikation für die WM 2022, bevor drei Monate später die EM-Endrunde ansteht. Die Qualifikation für Katar wird zur grossen Prüfung. Nur die Sieger der zehn Gruppen sichern sich einen direkten Startplatz, die restlichen drei Plätze, die Europa zustehen, machen die Gruppenzweiten und zwei Teams aus der Nations League unter sich aus.
Erst einmal baut sich am Samstag Spanien in Basel auf. Die Spanier spielen so, wie es Petkovic von seinem Team auch sehen möchte. Sie nehmen mit ihrem Pressing und dem Ballbesitzspiel dem Gegner den Raum und die Gelegenheit, sich zu entfalten. «Im Hinspiel haben wir bewiesen, dass wir mithalten können», sagt Xhaka noch immer. Es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Fakt ist, dass sich der Schweiz beim 0:1 in Madrid gerade eine einzige klare Chance bot.
Aus Xhaka spricht der eigene hohe Anspruch, den diese Mannschaft hat und gerade er als ihr Anführer. Aber selbst er sagt am Tag vor dem Spiel: «Es ist genug geredet. Es ist Zeit zu liefern. Wir brauchen positive Resultate.» Auf Schweizerdeutsch heisst das: Lifere, nöd lafere.
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