Forschung unter HochdruckDas Rennen um die Impfstoffe sorgt für Nervosität
Die Suche nach einer Impfung gegen Corona weckt die Erwartung auf eine baldige Rückkehr in den Alltag. Doch bis es soweit ist, wird es noch dauern. Trotzdem hat das Gezerre um die Impfstoff-Patente bereits begonnen.
Wie nervös die Welt in dieser Phase der Corona-Pandemie ist, zeigen die Reaktionen auf die Nachricht eines amerikanischen Biotechunternehmens von Montag. Da meldete Moderna mit Sitz in Cambridge an der Ostküste der USA erste Testergebnisse eines Impfstoffkandidaten gegen das neue Coronavirus.
Kurz gesagt sieht es so aus, als wäre der Impfstoff-Prototyp für Menschen verträglich und der Körper reagiere auf die Injektion mit der Produktion von Abwehrstoffen. 45 Menschen bekamen bislang das Test-Vakzin. Ob der Moderna-Impfstoff auch vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützt, weiss derzeit niemand. Und doch genügte das kleine positive Signal und Börsen weltweit machten Freudenhüpfer; in Asien, Europa und den USA hoben die Kurse ab.
Die Hoffnung auf den Impfstoff nährt die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in den Alltag – was nicht nur an Börsen gerne gehört wird. «Nur der Impfstoff ist am Ende die Lösung des Problems», sagte kürzlich der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek. Das Institut ist in Deutschland für die Freigabe von Impfstoffen zuständig.
120 Schutzstoffe in Entwicklung
Doch die vorläufigen Daten aus den USA sind noch lange kein Versprechen, dass von dort bald ein funktionierender und sicherer Impfstoff zu erwarten ist. Der Prototyp hat lediglich die Minimalanforderungen an diesem Punkt der Entwicklung erfüllt: Er hat keine schweren Nebenwirkungen hervorgerufen, und das Immunsystem des Körpers hat reagiert.
Wenngleich es nicht die Nachricht ist, der die Menschheit entgegenfiebert, so ist es auch keine schlechte. Weltweit arbeiten laut dem Verband forschender Pharma-Unternehmen (Vfa) Entwickler an mehr als 120 Schutz-Stoffen, die das Immunsystem auf die Konfrontation mit dem neuen Coronavirus vorbereiten sollen. Universitäten beteiligen sich am Rennen genauso wie kleine Firmen und Pharmariesen. Die Schweizer Unternehmen Alpha-O-Peptides in Basel und Saiba Biotech in Zusammenarbeit mit dem Inselspital Bern sowie dem Universtitätsspital Zürich sind dabei, aber auch das Serum- und Impfinstitut Janssen Vaccines in Bern, das Teil des Gesundheitskonzerns Johnson & Johnson ist.
Der Vfa erwartet, dass im kommenden Jahr genügend Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 zur Verfügung stehen, um im globalen Massstab Menschen vor dem Erreger zu schützen. Auch das Paul-Ehrlich-Institut rechnet mit mehreren Präparaten verschiedener Hersteller. Das sei auch nötig, um den weltweiten Bedarf zu decken.
Wirkstoffhersteller in der Schweiz
Mehr als zehn Impfstoffe werden bereits an Menschen erprobt oder sollen bald ersten Testpersonen verabreicht werden. Manche Unternehmen versprechen, noch in diesem Jahr Impfstoffe liefern zu können. So auch Moderna, deren Impfstoff schon in klinischen Studien getestet wird.
«Wir bei Lonza investieren Millionen, ohne zu wissen, ob der Impfstoff funktionieren wird.»
Lonza, der Basler Pharmazulieferer, hat mit dem US-Konzern eine 10-jährige Zusammenarbeit vereinbart und ist somit Teil der US-Operation «Warp Speed» geworden. Der Schweizer Konzern ist mit der Fertigung des Wirkstoffes betraut. Lonza-Chef Albert Baehny sagt im Interview mit dieser Zeitung «Mein Fokus mit Lonza ist, dass wir so schnell und sicher wie möglich die Kapazitäten haben, um erfolgreich zu produzieren. Es kommen noch die klinischen Phasen 2 und 3. Sie müssen verstehen, wir bei Lonza investieren Millionen, ohne zu wissen, ob der Impfstoff funktionieren wird.» Ausserdem hoffe er auf Resultate schon Ende dieses Jahres.
Einige chinesische Hersteller, die ihre Impfstoffe bereits an Menschen testen, haben ebenfalls optimistische Zeitpläne. Doch viele Experten bezweifeln, dass sich die Sicherheitsprüfungen so sehr beschleunigen lassen. Dazu müssen einige Tausend Freiwillige behandelt werden, um Sicherheit und Wirksamkeit zu bestätigen. Solche Studien strecken sich normalerweise über Jahre.
Nun beginnen die Verteilungskämpfe
Auch wenn die Impfstoffentwicklung quälend langsam voranzukommen scheint, bricht sie derzeit in Wahrheit Rekorde. Noch nie wurden so viele Impfstoff-Kandidaten in so kurzer Zeit entwickelt und in die klinische Erprobung gebracht. Und noch bevor es einen zugelassenen Impfstoff gibt, beginnen die Verteilungskämpfe. Jedes Land befürchtet, dass es am Ende nicht genügend Impfdosen abbekommt, weswegen bereits jetzt das Gezerre um Patente beginnt. In der Covid-19-Taskforce des Bundes existiert eine Abteilung, die sich um die Fragen bezüglich des Impfstoffes kümmert – auch um den Zugang zu solchen Wirkstoffen.
Oxfam fordert einen Impfstoff ohne Patentschutz.
Das Problem beschäftigte auch die Teilnehmer der zweitägigen Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die dieses Jahr nur virtuell stattfand. Die Gesundheitsminister segneten einstimmig eine Resolution ab, die zur Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Verteilung von Arzneimitteln und Impfstoffen aufruft. Der Entwicklungsorganisation Oxfam geht das nicht weit genug. Sie fordert einen Impfstoff ohne Patentschutz, der in Massenproduktion hergestellt und fair verteilt werden soll, damit alle Menschen weltweit davon profitieren.
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