Coronavirus im IranDas Regime sucht die Schuld bei den anderen
Die Corona-Pandemie bedroht die Macht der iranischen Mullahs. Die religiöse Führung redet die Katastrophe klein – und stellt das Virus als Biowaffe der Amerikaner dar.
Wenn die Ärzte ohne Grenzen einfliegen, steht es meist schlecht. Ob bei Kriegen, Naturkatastrophen oder Epidemien, die freiwilligen Ärzte und Pfleger kommen erst, wenn eine Regierung ihre Bürger medizinisch nicht mehr versorgen kann. Verräterisch also, dass die Führung der Islamischen Republik die Médecins sans Frontières (MSF) aus ihrem Corona-geplagten Land hinauskomplimentierte, bevor die NGO dort überhaupt mit der Arbeit anfangen konnte. Und das, obwohl der Iran zu den am stärksten von der Pandemie befallenen Staaten gehört. «Auch wenn wir MSF danken, besteht derzeit kein Bedarf an Spitälern, die von Ausländern aufgebaut werden», twitterte Alireza Vahabzadeh, der Berater des iranischen Gesundheitsministers.
Selbstgefällige Worte aus einem Land, wo religiöse Schreine nicht geschlossen wurden, obwohl klar war, dass das gemeinsame Gebet Tausender Pilger ein Hochleistungsbeschleuniger für die Verbreitung des Erregers war, zumal die Gläubigen die Grabmäler berührten und küssten. Und ein Land, in dem – bei einer mit Sicherheit extrem hohen Dunkelziffer – schon fast 2500 Menschen dem Virus zum Opfer gefallen sind, sich knapp 30’000 infiziert haben. Dass nahe der Pilgerstadt Ghom fussballfeldgrosse Massengräber ausgehoben wurden – das jedenfalls scheinen Satellitenfotos zu belegen –, spricht für sich.
Ganz egal, ob die jahrelange wirtschaftliche Strangulation durch die internationalen Sanktionen oder die Zerstrittenheit, Inkompetenz und Korrumpierung der Führung der Grund sind – die Islamische Republik ist zusammen mit Spanien, China, den USA und Italien eines der am härtesten von der Pandemie getroffenen Länder.
Wilde Verschwörungstheorien
Umso fragwürdiger handelt die Führung. Der Oberste Geistliche Führer, Ayatollah Ali Khamenei, redete Covid-19 als «keine so grosse Tragödie» klein und warf später den USA vor, sie hätten Corona als Biowaffe «speziell gegen den Iran» in die Welt gesetzt und bei der Entwicklung «genetisches Material der Iraner» benutzt. Von den Amerikanern angebotene Medikamente lehnte der 80-Jährige ab: «Vielleicht sollen diese Präparate das Virus weiterverbreiten.»
In ihren 41 Jahren hat die Islamische Republik unzählige Krisen überlebt. In schwierigen Phasen haben reale und heraufbeschworene Feinde von aussen das Land immer aufs Neue zusammengeschweisst. Aber Covid-19 lässt sich nicht als «grosser Satan» geisseln, hat keine Flagge, die sich beim Freitagsgebet verbrennen lässt wie die amerikanische. Doch auch der Kampf gegen einen unsichtbaren Feind erfordert ein erkennbares Gesicht. Deshalb wohl greift Khamenei auf Verschwörungstheorien zurück: Corona soll den Iranern das Gesicht von Donald Trump zeigen.
Denn Khamenei weiss, dass die Pandemie das religiös legitimierte Herrschaftssystem gefährden kann. Die schiitische Theokratie ist durch die internationale Isolation, eine katastrophale Wirtschaftslage, die niedergeschlagenen Proteste der vergangenen Jahre und ungezügelte Korruption erschüttert. Auf baldigen Kollaps hoffen nicht nur die Gegner der Khomeini-Theokraten, allen voran die Trump-Regierung oder die Auslandsopposition. Im Land selbst ist es die immer schlechtere Wirtschaftslage, die die Bürger ebenso verzweifeln lässt wie der politische Reformunwillen der Hardliner. «Corona hat der iranischen Wirtschaft in kürzester Zeit einen härteren Schlag verpasst als die US-Sanktionen», sagte Saeed Laylaz, einer der bekanntesten regierungskritischen Ökonomen des Iran, der «Financial Times».
Auch wenn die Öl- und Gasvorkommen des Iran zu den grössten weltweit gehören, muss Teheran wegen Corona um Hilfe betteln. Die Regierung will einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von fünf Milliarden Dollar. Den bekommt es nicht, weil das Parlament den Beitritt zum FATF-Zusatzabkommen über den Kampf gegen Terrorfinanzierung und Geldwäsche abgelehnt hat; bei der Finanzierung militanter Gruppen wie der libanesischen Hizbollah legt Teheran auf Transparenz wenig Wert.
Die Devisen sind blockiert
So steht das Land in der Corona-Krise weitgehend allein da: Die iranische Pharmaindustrie liefert 70 Prozent des heimischen Bedarfs, kann aber komplexe Produkte wie Krebsmedikamente wegen der US- und EU-Sanktionen weder produzieren noch importieren. Dabei hätte Teheran das Geld: Um die 100 Milliarden Dollar liegen auf Auslandskonten. Die Devisen können wegen der Sanktionen aber nicht abgehoben werden.
Auch sind die Verbindungslinien zu den wenigen Handelspartnern – allen voran China – wegen Corona blockiert. Die Routen, auf denen iranische Import- und Exportscouts Millionen Dollar in Aktenkoffern an den Sanktionswächtern vorbei um die Welt tragen, sind zu. Einige internationale Hersteller seien bereit, Corona-Testkits zu liefern, erklärte die Importeur-Union für Medizinprodukte: «Aber sie bestehen darauf, dass das Geld über Banken fliessen muss.»
Wer allein dem Sanktionsregime Schuld gibt, macht es sich aber zu einfach. Die Hauptbedrohung des Iran sei die Korruption, so der iranische Analyst Bijan Khajepour. Diese erkläre die langsame Reaktion der Behörden auf die Pandemie: Die Verantwortlichen seien «total demotiviert wegen Korruption und Missmanagement», so Khajepour gegenüber «Al-Monitor».
Wer aber wegen Corona auf den Kollaps des Systems hofft, könnte enttäuscht werden. Die Theokratie muss die Macht längst mit paramilitärischen Sicherheitskräften teilen, vor allen den Revolutionsgarden. Die haben die Wirtschaft unterwandert, profitieren von der Schattenwirtschaft unter dem Sanktionsregime. Sie könnten dann die Macht einfach übernehmen.
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