Kommentar zum Angriff auf Tamedia-JournalistinDas ist eine Grenzüberschreitung
Wegen eines unliebsamen Interviews veröffentlichen Aktivisten der Berner Reitschule eine Karikatur, in der unsere Journalistin geköpft wird.
Am Sonntag ist es gegenüber einer der profiliertesten Journalistinnen unserer Redaktion zu einer schweren Grenzüberschreitung gekommen. Die anonyme Onlineplattform «Megafon Reitschule Bern» verbreitete auf Twitter eine Karikatur, die zeigt, wie Michèle Binswangers Kopf, ganz im Stile der Französischen Revolution durch die Guillotine abgeschlagen, der gaffenden Meute gezeigt wird. Dies, weil Binswanger in einem Interview der «SonntagsZeitung» mit dem langjährigen «Spiegel»-Chefredaktor Stefan Aust folgende Feststellung machte: «Der Vorwurf, rechts zu sein, kann ein gesellschaftliches Todesurteil sein.»
Mittlerweile hat «Megafon» die Karikatur zwar wieder vom Netz genommen und eine Art Entschuldigung nachgeliefert: «Das Bild weckt Assoziationen zu Angriffen auf Journalist*innen und machte eine Frau zur Zielscheibe. Das kann und darf kein Nebeneffekt satirischer Arbeit sein.» Das stimmt, und genau das hätten sich die jungen Leute von der Reitschule besser früher überlegt. In einer Zeit, in der Journalistinnen und Journalisten auf der ganzen Welt an Leib und Leben bedroht werden, einige gar umgebracht wurden und viele damit rechnen müssen, ins Gefängnis gesteckt zu werden, nur weil sie etwas schreiben, das den Mächtigen, den Islamisten, dem Mob oder einem Drogendealer nicht passt, ist das unverantwortlich.
Immer und in jedem Land fängt das damit an, dass man erst Journalistinnen verunglimpft, dann die Journalisten schikaniert und sich hinterher wundert, wenn etwas passiert. Die tragischen Ereignisse rund um «Charlie Hebdo» sind noch nicht so lange her, als dass sich nicht jeder, der sich als Newsplattform verstehen will, nicht auch überlegen muss, welche Folgen sein Tun haben kann.
Darum reichen wir trotz der Entschuldigung Strafanzeige gegen «Megafon» ein. Dass sich Jolanda Spiess-Hegglin, ehemalige Politikerin, Journalistin und selbst ernannte Kämpferin gegen Hass im Netz, nicht zu schade war, den Tweet auch noch zu liken, ist beschämend. Fragwürdig ist es vor allem auch deshalb, weil die sogenannte #NetzAmbulanz des Vereins Netzcourage die nächsten zwei Jahre zur Hälfte vom Bund finanziert wird.
Spiess-Hegglin und Michèle Binswanger sind wegen eines geplanten Buchs seit einem Jahr in einem Rechtsstreit, und offenbar ist Spiess-Hegglin nun jedes Mittel recht, wenn es darum geht, Binswanger zu attackieren. Besorgniserregend ist, dass mittlerweile ein Teil der politischen Linken so intolerant geworden ist, dass sie auf jeglichen Anstand verzichtet und Volksverhetzung betreibt.
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