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Rassismus im Calcio
Das Heulen der Affen

Den Rassisten die Stirn geboten: Inter Mailands Stürmer Romelu Lukaku jubelt auf seine Art nach einem Tor.
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Am Ende bezahlt mal wieder das Opfer, in einer denkwürdigen Umkehrung des Moralprinzips. Italien debattiert den Rassismus in seinen Fussballstadien, und wenn man die ersten Zeichen dieser neuerlichen Diskussion richtig deutet, ist es eher ungewiss, dass der Calcio das traurige Phänomen diesmal wirklich ernst nimmt.

Verhandelt wird der Fall des Cupspiels vom vergangenen Dienstag: Juventus Turin gegen Inter Mailand, Halbfinal, Hinspiel. In Italien nennt man diese Begegnung auch «Derby d’Italia», weil es das Nonplusultra des Calcio auf Vereinsebene sein soll, historisch gesehen. Das Turiner Allianz Stadium war voll. Für Juventus, das eine schwierige Saison durchlebt, in jeder Hinsicht, war das Spiel auch eine Chance auf eine Revanche – gegen alle. Die Partie plätscherte langweilig dahin, technisch sehr dürftig, ohne Höhepunkte.

Juventus führte 1:0, es lief die 80. Minute. Da foulte Romelu Lukaku, Inters zuletzt glückloser belgischer Stürmer, seinen Gegenspieler Federico Gatti und sah dafür die Gelbe Karte. In der Tribuna Sud, wo Juves Ultras untergebracht sind, intonierten sie Affenlaute gegen Lukaku. «Ululati», sagen die Italiener, vom Verb «ululare»: heulen. Lukaku reagierte zunächst nicht, es war ja nicht das erste Mal.

In der Nachspielzeit gab es dann einen Elfmeter für Inter, die Aussicht auf den Ausgleich. Der Belgier nahm sich den Ball, vor ihm die Wand der Tribuna Sud. Nun wurde das rassistische Geheul noch lauter, die Verwünschungen, die Beleidigungen – eine Infamie.

Aus dem Opfer wurde ein Täter

Lukaku traf. Dann legte er die rechte Hand an die Stirn, als salutierte er militärisch, den linken Zeigefinger legte er auf seinen Mund. Ein trotziger Torjubel als Reaktion, er hatte ihn früher schon einmal aufgeführt. Der Schiedsrichter hielt die Geste für provokativ, für ein «nicht regelkonformes Verhalten auf dem Platz», wie es im Reglement heisst, und zeigte ihm dafür wieder Gelb. Gelb-Rot. Es gab dann noch eine Prügelei unter Spielern im Mittelkreis, das noble «Derby d’Italia» verkam auch auf dem Rasen zum peinlichen Western.

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Zentral aber blieb der Rassismus. Sofort gingen die ersten Videos aus dem Stadion viral. Es ist immer dasselbe: Die Empörung ist kurz gross, dann flacht sie schnell wieder ab.

Erst neulich hatten die Ultras von Lazio Rom im römischen Derby antisemitische Chöre gegen die Rivalen von der AS Roma angetönt. Ein deutscher Fan von Lazio hatte sich auf den Rücken seines weiss-blauen Trikots «Hitlerson» drucken lassen und die Nummer 88 – unter Neonazis ist das die Chiffre für «Heil Hitler», HH, zweimal der achte Buchstaben im Alphabet. Die Südkurve der Romanisti wiederum ging vor einigen Tagen Dejan Stankovic, den serbischen Trainer von Sampdoria Genua, rassistisch an. Sie skandierten: «Sei uno zingaro.» – «Du bist ein Zigeuner.» Sie hörten erst auf, als Romas Coach José Mourinho sie dazu aufforderte. Mit diesem Chor wurden unlängst auch Dusan Vlahovic und Filip Kostic von Juventus bedacht: in Mailand, im Meisterschaftsspiel gegen Inter.

«Man redet ein paar Tage, und dann passiert doch wieder nichts.»

Marco Tardelli

Marco Tardelli, eine Glorie Italiens bei der WM 1982 in Spanien, schreibt in seiner regelmässigen Rubrik in der Turiner Zeitung «La Stampa», er habe es satt: «Ich akzeptiere es nicht mehr, dass man ein paar Tage darüber redet, und dann passiert doch wieder nichts.» Gemeint waren alle: die anderen Fans, die italienische Fussballwelt, die Politik. Ein kleiner Gary-Lineker-Moment. Die englische Fussballlegende hatte kürzlich die unwürdige Asylpolitik der britischen Regierung kritisiert und damit tagelang für Unruhe auf der Insel gesorgt.

Giuseppe Marotta, der Sportchef von Inter, schlägt nun vor, dass es neben dem Videoassistenten für strittige Spielsituationen auch einen VAR gegen Rassismus gebe. Dort würden die Delegierten sitzen, die der Italienische Fussballverband zu jedem Spiel schickt, damit sie sich das Geschehen im Stadion ansehen. Marotta findet, die Delegierten sollten, sobald sie diskriminierende Chöre hören, den Referee darauf hinweisen können – direkt, über Funk. Und der Schiedsrichter könnte dann entscheiden, ob er das Spiel unterbricht und notfalls abbricht.

Kann es sein, dass der Schiedsrichter die Chöre gegen Lukaku etwa nicht gehört hat? Nach dem Spiel schrieben die Verbandsdelegierten in ihren Rapport, dass eine «Mehrheit der 5034 Zuschauer» im unteren Ring der Tribuna Sud «primitive und beleidigende rassistische Chöre und Schreie» von sich gegeben habe, in der 80. und in der 94. Minute. So hätten das alle drei Delegierten gleichermassen empfunden. Eine Mehrheit also, das wären mehr als 2500 Personen. Dieser Rapport lag dem Giudice sportivo vor, dem Richter des Verbands, der nun Sanktionen verhängte.

Juventus prüft, ob sie in Berufung gehen soll

Der untere Ring der Südtribüne muss am 24. April im Serie-A-Spiel gegen Neapel leer bleiben. Juventus überlegt es sich offenbar, ob sie den Beschluss anfechten will, weil sie ihn für unfair hält: Die Nordkurve von Lazio wurde wegen Antisemitismus nur auf Bewährung für ein Spiel gesperrt, diejenige der Roma gar nicht. Die Turiner wären auch froh, wenn man ihre habituelle Härte gegen Rassisten honorierte. Zwei Fans, die Lukaku verunglimpft hatten, wurden bereits mit Stadionverboten bestraft, ihre Dauerkarte haben sie per sofort verwirkt. Dennoch: Ob Berufung nach diesem Vorfall opportun ist?

Und Lukaku? Er hatte gehofft, dass der Verband ein Zeichen setzen würde, ein Signal für einen Kulturwandel, wo doch alle gehört hatten, wie er beleidigt worden war. Nicht von einem Zuschauer, nicht von ein paar, sondern von einer «Mehrheit der 5034» in jenem Sektor. Doch der Richter hielt sich einfach ans Reglement: Gelb-Rot gibt eine Spielsperre. So ist das Opfer auch Täter.