Wahl in den UNO-SicherheitsratDas sagen Spitzendiplomaten über die Schweiz
Vor der Wahl hielten ehemalige internationale Aussenminister und Experten Lobreden auf die Schweizer Diplomatie und erläutern, ob die Neutralität nun gefährdet ist.
Passt die neutrale Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat? Miguel Angel Moratinos, bis 2010 spanischer Aussenminister und heute hochrangiger UNO-Diplomat, irritiert nur schon die Frage. «Warum soll die Schweiz nicht in den Rat passen?», fragt er zurück. Wer den Vereinten Nationen angehöre, solle sich in allen Gremien engagieren, auch im Sicherheitsrat, dem wichtigsten UNO-Gremium, so Moratinos.
Die Schweiz stehe für Frieden und Dialog und suche ständig nach Kompromissen. Das Land sei «eine Wiege der Diplomatie», und niemand verlange von der Schweiz, dass sie sich als Mitglied im Sicherheitsrat an militärischen Interventionen beteilige und Soldaten in ein Krisengebiet entsende, stellt der 70-Jährige klar. Moratinos verspricht: «Die Mitarbeit im Sicherheitsrat wird die Schweiz nicht verändern.»
Moratinos ist nicht der Einzige, der spontan Elogen auf die Schweizer UNO-Diplomatie hält. Dasselbe tut der ehemalige russische Aussenminister Andrei Kozyrew, der die Schweiz als «einen der höchstentwickelten Staaten der Welt» bezeichnet. Ein solches Land gehöre zwingend in den Sicherheitsrat, nur schon darum, weil es als Vorbild für andere diene.
Auch Kleinstaaten könnten im Rat einiges bewirken, betont der 71-Jährige. Den Schweizer Diplomaten rät er, sich eher an den weiteren neun nichtständigen Ratsmitgliedern zu orientieren, als zu sehr auf die fünf Vetomächte zu fokussieren und sich von diesen beeindrucken zu lassen.
Daniel Warner, amerikanischer Politologe und ehemaliger Vizedirektor der Genfer Hochschule für Internationale Beziehungen, lebte bereits in der Schweiz, als das Land 1986 das erste Mal über den Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen abstimmte – und die Vorlage mit 75,7 Prozent Nein-Stimmen wuchtig verwarf. Warner erinnert sich: «Ich war überrascht, dass sogar die Genferinnen und Genfer nicht in die UNO wollten, obwohl die UNO Teil von Genf war.» Dass die Schweiz heute in den Sicherheitsrat will, sieht er als Teil einer Evolution der letzten Jahre. Mit dem Ja zur UNO im Jahr 2002 war für Warner klar, dass die Schweiz innerhalb der Vereinten Nationen eine Rolle spielen wollte.
Dass die Schweiz im Sicherheitsrat ihre politische Neutralität aufgibt, glaubt er nicht. Der Amerikaner kommt auf die Szene bei der Genfer Abrüstungskonferenz zu sprechen, als der russische Aussenminister Sergei Lawrow Anfang März, kurz nach dem Einmarsch in die Ukraine, eine Rede hielt. Warner sagt: «Die Diplomaten haben den Saal zu Dutzenden verlassen, aber die Schweizer Vertreter blieben im Raum. Diese Szene verdeutlicht, dass die Schweiz in politisch schwierigen Situationen unabhängig bleiben und sich einer Minderheit anschliessen kann.»
Kein Problem für die Neutralität
Unabhängig bleiben und seine Neutralität wahren: Diskussionen um diese Themen kennt Jussi H. Hanhimäki, Genfer Professor für internationale Geschichte und Politik, aus seiner Heimat Finnland nur allzu gut. «Eine Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat zerstört die Neutralität nicht», sagt Hanhimäki, der seit fünf Jahren auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt. Klar sitze die Schweiz im selben Saal wie kriegsführende Grossmächte und beteilige sich an kontroversen Diskussionen. Aber am Ende stimme sie so, wie sie es für richtig halte, so der 57-Jährige.
Die UNO brauche neutrale und unparteilich auftretende Staaten wie die Schweiz als Vermittler mehr denn je – sei es rund um den Ukraine-Krieg, aber auch angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China.
In der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat sieht er denn auch «keinen Wandel der Schweizer Aussenpolitik, sondern deren Normalisierung». 20 Jahre nach dem UNO-Beitritt sei es an der Zeit, «dass die Schweiz auch im höchsten UNO-Gremium mitarbeitet», sagt der Historiker. Für den 57-Jährigen tut die Schweiz einen für sie richtigen Schritt. Sie schärft ihr aussenpolitisches Profil und setzt sich an genau jenen Ort ein, wo ihre Fähigkeiten extrem gefragt sind.
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