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Teure Wohnungen in Städten
Das Berliner Experiment gegen steigende Mieten scheitert

Im Prenzlauer Berg in Berlin lässt sich schön wohnen. Aber es ist auch ziemlich teuer geworden, selbst für Schweizer Verhältnisse.
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Hohe Mieten sind in allen grossen Städten Europas ein Problem und Politikum, nicht nur in Zürich, Paris, London, Barcelona oder Stockholm. Ein besonderes Experiment, um die Entwicklung der Mietpreise staatlich zu regulieren, ist in der 3,7-Millionen-Einwohner-Stadt Berlin jetzt durch das höchste deutsche Gericht beendet worden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Donnerstag den Berliner «Mietendeckel» als verfassungswidrig beurteilt. Da die Bundesregierung ab 2015 mit der sogenannten Mietpreisbremse bereits «abschliessend» in den Wohnungsmarkt eingegriffen habe, so die richterliche Begründung, habe dem Bundesland Berlin die Kompetenz für eine weitergehende gesetzliche Regelung gefehlt.

Hunderttausende mussten weniger bezahlen

SPD, Grüne und Linke froren in Berlin vor einem Jahr die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen für die Dauer von fünf Jahren auf dem Stand von 2019 ein. Ende 2020 verfügte die Stadtregierung in einem zweiten Schritt sogar die Senkung aller Mieten, die um mehr als 20 Prozent über dem örtlichen Mietspiegel von 2013 lagen.

Von der Senkung profitierten Hunderttausende Berlinerinnen und Berliner. In ihrem Mietvertrag hatten sie seit letztem Dezember zwei Mieten stehen: die staatlich gesenkte und die ursprünglich mit dem Vermieter vereinbarte. Nach dem Urteil aus Karlsruhe gilt nun nicht nur sofort wieder die alte Miete, die Mieter müssen die nicht bezahlten Beträge auch umgehend an den Vermieter zurückzahlen.

In vielen Fällen dürfte es dabei um ein paar Hundert Euro gehen, in manchen aber auch um mehrere Tausend. Weil die Berliner Stadtregierung selbst Zweifel an der Rechtmässigkeit ihres Gesetzes hegte, hatte sie den betroffenen Mietern empfohlen, das mit der Senkung gesparte Geld nicht auszugeben, sondern auf ein Sperrkonto einzuzahlen. Dennoch wird es wohl Mieter geben, die das nötige Geld jetzt nicht haben und denen deswegen schlimmstenfalls die Kündigung droht.

Konsternation bei SPD, Grünen und Linken

SPD, Grüne und Linkspartei reagierten konsterniert auf das Urteil und bezeichneten es als «schwarzen Tag für die Mieter». Dabei war es vor allem ein schwarzer Tag für die SPD von Michael Müller, dem Regierenden Bürgermeister. Für die Partei wird das Scheitern des von ihr erfundenen «Mietendeckels» zur schweren Hypothek für die Landtagswahl im Herbst. Die meisten Rechtsexperten hatten den staatlichen Eingriff von Beginn weg für verfassungswidrig gehalten.

Freude herrschte dagegen bei CDU/CSU und FDP, die die Klage vorgebracht hatten, bei Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) und bei der Immobilienwirtschaft. Grüne, Linke und Sozialdemokraten zogen aus dem Urteil ihre eigenen Schlüsse: Nun brauche es halt einen «Mietendeckel» auf Bundesebene, hiess es. Alle drei Parteien führten entsprechende Forderungen schon vor dem Urteil in ihren Programmen für die Bundestagswahl im Herbst. Man werde die Mietenpolitik zu einem wichtigen Thema des Wahlkampfes machen, versprach der Berliner SPD-Vize Kevin Kühnert.

Kommt jetzt die Enteignungsinitiative?

Kurzfristig dürfte das Urteil in Berlin vor allem den Befürwortern noch schärferer staatlicher Eingriffe Auftrieb verleihen. Bereits werden Unterschriften für eine Initiative gesammelt, die die Enteignung und Verstaatlichung aller Immobilienkonzerne verlangt, die in Berlin mehr als 3000 Wohnungen besitzen. Die Berliner SPD hatte den «Mietendeckel» vor allem erfunden, um diesem populären Volksbegehren den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Am Donnerstagabend kamen etwa 10’000 vor allem junge Menschen auf dem Berliner Hermannplatz zu einer spontanen Demonstration zusammen, um gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu protestieren und eine neue, sozialere Wohnpolitik zu fordern.

Der Berliner «Mietendeckel» war nicht nur politisch und juristisch umstritten, auch seine Wirkung wurde von Experten als höchst zwiespältig beurteilt. Nach Jahren rasanten Wachstums waren die Mietpreise in Berlin 2020 tatsächlich erstmals wieder gesunken. Gleichzeitig wurden auf dem Mietmarkt weniger als die Hälfte der Wohnungen angeboten als noch ein Jahr zuvor.

Auf dem Kaufmarkt war es dafür ein Drittel mehr; viele kleine Vermieter hatten ihre Wohnungen lieber in Eigentumswohnungen verwandelt, als sie unter dem «Mietendeckel» mit Einbussen weiterzuvermieten. Von den Mietsenkungen wiederum hatten gut verdienende Mieter, die sich in beliebten Wohngegenden grosse, modern sanierte Altbauwohnungen leisten, am meisten profitiert. Und nicht die Mieter mit schmalem Budget, die sowieso schon bescheiden wohnen.