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Nicht ohne meine Pillen
Darum ist Nadal ein schlechtes Vorbild

Bereit für Wimbledon: Rafael Nadal liess seine störrischen Nerven im linken Fuss betäuben.
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Rafael Nadal ist happy. «Die meisten Tage kann ich momentan normal laufen», sagte er am Samstag. «Wenn ich morgens aufwache, verspüre ich nicht mehr diesen Schmerz, den ich die letzten eineinhalb Jahre hatte.» Wie lange dieser idyllische Zustand anhalte, könne er aber nicht sagen. «Ich weiss nicht, ob er zwei Tage dauert, eine Woche oder drei Monate. Denn meine Behandlung hat meine Verletzung nicht geheilt, überhaupt nicht. Sie verringert nur den Schmerz.»

Drei Wochen ist es her, dass der Spanier zum 14. Mal Roland Garros gewann, obschon ihm sein linker Fuss grosse Probleme bereitete. Er leidet am Müller-Weiss-Syndrom, einer degenerativen Knochenkrankheit. Sein Leibarzt Angel Ruiz-Cotorro betäubte seinen Fuss in Paris vor jedem Spiel mit mehreren Spritzen, zudem schluckte Nadal täglich Schmerzmittel. Unter solchen Umständen wolle er nie mehr spielen, sagte er nach dem Triumph.

Nun hat er eine neue Lösung gefunden: Zwei Tage nach dem French Open unterzog er sich in Barcelona einer pulsierenden Radiofrequenztherapie, um die betroffenen Fussnerven zu betäuben. Aktuell leiten sie den Schmerz nicht mehr ans Gehirn weiter. «Die Nerven schlafen nun für eine Weile», sagte er. «Aber irgendwann werden sie sich wieder erholen. Wir werden herausfinden müssen, wie lange das dauert.»

Dass Nadal die Warnsignale des Körpers unterdrückt, ist Raubbau an seinem Körper. Doch der 36-Jährige ist getrieben, alles aus diesem herauszuholen. Immer wieder. So lange wie möglich. Danach gefragt, wie er auf seine Grand-Slam-Titel Nummer 21 und 22 in Melbourne und Paris zurückblicke, sagte Nadal am Samstag: «Die Vergangenheit ist die Vergangenheit. Der Sport und das Leben gehen so schnell vorbei, nicht? Ich bin kein grosser Fan davon, auf die Dinge zurückzuschauen, die ich erreicht habe.» Sein Blick ist nur nach vorne gerichtet.

Was Nadal, der bald Vater wird, mit seinem Körper macht, ist seine Sache. Die Frage aber ist: Ist er ein Vorbild für junge Athletinnen und Athleten? Da gilt es zu differenzieren: Sein Umgang mit Widrigkeiten, wie er immer wieder aufsteht, wie er Mal für Mal zurückkommt nach Verletzungen, wie er auf dem Court auch in den schwierigsten Momenten positiv bleibt, auch gequält von Schmerzen, das ist absolut beeindruckend. Und wahrscheinlich einzigartig.

«Gegen den einmaligen Einsatz eines Ponstan haben wir nichts einzuwenden. Aber wenn es chronisch wird, wird es problematisch.»

Ernst König, Chef Swiss Sport Integrity

Dass er aber seit Jahren Unmengen von Schmerzmitteln schluckt und sich immer wieder fit spritzen lässt, um überhaupt normal spielen und trainieren zu können, ist definitiv keine gute Botschaft für den Nachwuchs. In dieser Hinsicht ist er ein schlechtes Vorbild. Denn Sport sollte zumindest für die grosse Masse einen gesundheitsfördernden Effekt haben. Und keinen zerstörerischen.

Ernst König, der Chef von Swiss Sport Integrity (vormals Antidoping Schweiz), sagt dazu: «Gegen den einmaligen Einsatz eines Ponstan haben wir nichts einzuwenden. Aber wenn es chronisch wird, wird es problematisch. Da stellt sich die Frage: Ist das der Sport, den wir wollen? Welches Signal sendet man an junge Sportlerinnen und Sportler aus? Was sagt man ihnen, wenn sie in einer ähnlichen Situation sind? Selbstverständlich wollen sie dann auch Schmerzmittel.»

Tramadol: im Radsport verboten, im Tennis (noch) erlaubt

Fakt ist: Nadal hat keine Regeln gebrochen. Die meisten Schmerzmittel sind im Sport erlaubt: «Es gibt einige ganz starke, die auf der Dopingliste stehen», sagt König. «Aber von den frei erhältlichen sind die meisten gestattet.» Interessant ist der Fall von Tramadol, einem opiumartigen Schmerzmittel, das vom Internationalen Radsport-Verband UCI im März 2019 verboten wurde, nachdem herausgefunden worden war, dass es von den Fahrern breit eingesetzt worden war.

Wegen der Nebenwirkungen (Schwindel, drohende Abhängigkeit) und deren Gefahren für die Fahrer wurde es im Radsport untersagt. Beispielsweise befürchtete man, dass es zu Unfällen kommen könnte wegen des Schwindels. Nun klärt die Welt-Anti-Dopingagentur ab, ob sie Tramadol auf die Liste der verbotenen Substanzen nehmen soll. Im Tennis ist es aktuell noch erlaubt.

Wieso sind leistungsfördernde Substanzen im Sport verboten, Schmerzmittel aber nicht?

Die Nebenwirkungen sind das eine, die langfristigen Auswirkungen, wenn man die Warnsignale des Körpers ignoriert, das andere. König sagt: «Wir versuchen den jungen Sportlerinnen und Sportlern mitzugeben: Hört auf eure Körper. Wir kämpfen auch gegen die exzessive Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln. Die Geisteshaltung, ein Pülverchen einzuwerfen, wenn man zu viel trainiert hat, erachten wir als fatal. Es wäre besser, dem Körper eine Pause zu gönnen.»

Auch Rafael Nadal, der den Umgang mit Schmerzen gewohnt ist, hätte Roland Garros ohne Injektionen und Schmerzmittel nicht gewonnen. Da stellt sich die grundsätzliche Frage: Wieso sind leistungsfördernde Substanzen im Sport verboten, Schmerzmittel aber nicht? König sagt: «Wir unterstützen den Grundsatz, dass Mittel erlaubt sind, welche die Teilnahme am Wettkampf ermöglichen. Aber nicht solche, die zu einem leistungsmässigen Vorteil führen.» Er könne die Bedenken aber nachvollziehen. Schmerzmittel werden im Sport erlaubt bleiben, das ist klar.

König sagt: «Wenn sich ein Athlet vier Jahre auf Olympische Spiele vorbereitet und am Morgen vor seinem Wettkampf grausam Kopfweh hat, finde ich es legitim, dass er sagt: Jetzt nehme ich eine Kopfwehtablette. Es ist wichtig, dass man unterscheidet. Und sensibilisiert, ab wann es problematisch wird.»

Nadal mit Schmerzen «noch gefährlicher als sonst»

Alle werden auf Nadal blicken, wenn er sich im All England Club anschickt, seinen 23. Grand-Slam-Titel zu gewinnen. «Das Level von Intensität, das er in Zeiten erreicht, in denen er sich unwohl fühlt, ist schon sehr eindrücklich», sagt Stefanos Tsitsipas. «Das muss ihm das Gefühl geben, fast unsterblich zu sein. Für die meisten wäre es schwierig, unter solchen Umständen zu spielen. Aber wenn er sagt, er könne kaum spielen und habe Probleme mit dem Fuss, ist er noch gefährlicher als sonst.»

Sein Leistungsvermögen auch an schlechten Tagen ist in der Tat bewundernswert. Man könnte ihn dann mit einem verwundeten Raubtier vergleichen. Doch vielleicht müsste man bei jedem seiner Auftritte eine Warnung einblenden: Bitte nicht nachmachen!

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