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Ernährung als Medizin
Darmbakterien sollen Krebs beseitigen

Fermentierte Lebensmittel wie zum Beispiel Sauerkraut enthalten gesundheitsfördernde probiotische Bakterien.
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Die meisten Menschen denken beim Wort «Krebs» an Operation, Chemotherapie, Bestrahlung. Michael Scharl denkt an Bakterien. Mit ihrer Hilfe möchte der Arzt Krebserkrankungen behandeln, allen voran Darmkrebs. «Wir erhoffen uns von den Bakterien eine wirksamere und verträglichere Krebstherapie ohne nennenswerte Nebenwirkungen.»

Der 40-jährige Gastroenterologe und seine Mitarbeitenden am Zürcher Universitätsspital erforschen die Wirkungen der kleinen Helfer im Darm. «Irgendetwas passiert bei Krebserkrankungen», sagt Scharl. «Die Zahl der ‹guten› Darmbakterien nimmt bei diesen Patienten ab.» Zu diesen «guten» Bakterien zählen zum Beispiel Bifidusbakterien.

Etwa ein bis zwei Kilo Bakterien trägt jeder Erwachsene im Darm herum, mindestens 500 verschiedene Bakterienarten leben allein im Dickdarm. Darunter gibt es gesundheitsfördernde, also probiotische Bakterien und solche, die der Gesundheit schaden können wie etwa das Bakterium Helicobacter pylori, das mit Magengeschwüren in Verbindung gebracht wird.

Die Zusammensetzung dieses «Biotops», meist Darmflora oder Mikrobiom genannt, ist bei jedem Menschen so einmalig wie sein Fingerabdruck. «Bei Menschen mit Darmkrebs findet man andere Bakterienarten im Kot und auch am Tumor selbst als bei gesunden Personen», sagt Scharl.

Das lässt sich vermutlich für die Diagnostik nützen, wie Wissenschaftler in Hongkong herausfanden. Sie untersuchten die Bakterienflora im Kot von Menschen mit und ohne Darmkrebs. Die Unterschiede waren frappant: Enthielt die Probe reichlich Fusobacterium nucleatum, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der betroffene Mensch an Darmkrebs litt.

Indem die Wissenschaftler die Bakterienanalyse mit einem Test auf Blut im Stuhl kombinierten, konnten sie mit über 90-prozentiger Sicherheit die Diagnose Darmkrebs stellen, so das Fazit ihrer Studie. «Wenn sich diese Treffsicherheit in der Realität bestätigt, wäre das genial. Das wäre fast so gut wie die Darmspiegelung als Früherkennungsmethode», sagt Scharl.

Probiotische Bakterien produzieren entzündungshemmende Fettsäuren, schützen den Darm vor krankmachenden Erregern und stellen Vitamine für «ihren» Menschen her.

Der Mediziner hat aber mehr vor: «Die Bakterien sollen den Krebs beseitigen.» Bei krebskranken Mäusen sei das bereits geglückt: Egal ob Brust-, Haut-, Lungen- oder Darmkrebs – bekamen die Mäuse eine Lösung mit bestimmten Bakterien zu trinken, schrumpften ihre Tumoren.

Dabei habe es keine Rolle gespielt, ob der Darmkrebs tatsächlich im Darm wucherte oder unter der Haut, so Scharl. «Die Bakterien geben vermutlich irgendetwas ab, das wirkt.» Scharl und sein Team lassen nun diese Bakterien aus der Gruppe der sogenannten Clostridiales vorsorglich patentieren.

Gute Bakterien unterstützen offenbar Immuntherapie

Schon länger ist bekannt, dass probiotische Bakterien entzündungshemmende Fettsäuren produzieren, das Immunsystem beeinflussen, den Darm vor krankmachenden Erregern schützen, Vitamine für «ihren» Menschen herstellen und anderes mehr können.

Dass Darmbakterien auch die Krebstherapie verbessern, zeigten US-Forscher letztes Jahr. Sie nahmen Kotproben von Menschen mit Schwarzem Hautkrebs, die sehr gut auf eine Immuntherapie angesprochen hatten. Diesen Stuhl «verpflanzten» sie bei einer Darmspiegelung in den Dickdarm von Patienten, bei denen die Immuntherapie versagt hatte. Bei ihnen schien der Hautkrebs unaufhaltbar.

Doch 6 von 15 der so behandelten Patienten erlebten ein kleines Wunder: Nach der Stuhltransplantation wirkte die Immuntherapie plötzlich. Schlägt sie an, beginnen sogenannte Killerzellen den Tumor zu beseitigen – manchmal mit so durchschlagendem Erfolg, dass vom Krebs nichts mehr übrig bleibt. Die Hypothese der Mediziner: Die verpflanzten Darmbakterien verhalfen der Immuntherapie zur Wirkung – einer der ersten Erfolge der «Immuno-Onkomikrobiologie», wie das neue Fachgebiet heisst. «Menschen mit Darmkrebs fehlen genau die Bakterienarten im Darm, die das Immunsystem gegen den Tumor aktivieren können und die auch die Immuntherapie wirksamer machen», sagt Scharl. Die Frage sei aber: «Was kommt zuerst – der Krebs oder die Veränderung im Mikrobiom?»

Antibiotika schaden der Darmflora

Auch im negativen Sinn könnten Darmbakterien eine entscheidende Rolle spielen. Darauf deutet eine britische Studie mit knapp 200 Krebspatienten hin, von denen die meisten bereits Metastasen hatten. Die Forscher wollten wissen, ob die Einnahme von Antibiotika vor oder während einer Immuntherapie mit ihrer Lebensdauer zusammenhing.

Denn so segensreich Antibiotika bei einer Infektion sein können – sie haben einen Nachteil: Sie verändern die Bakterienflora im Darm, weil sie manche Bakterienarten zurückdrängen und andere begünstigen. Das ist der «Kollateralschaden» der antibiotischen Behandlung.

Hatte ein Patient kurz vor Beginn der Immuntherapie eine solche Behandlung, ging dies mit einer deutlich schlechteren Prognose einher, fanden die Forscher heraus. Einen Beweis, dass das Antibiotikum Schuld daran war, liefert die Studie nicht, denn es könnten auch andere, unberücksichtigte Faktoren eine Rolle gespielt haben. Aber sie mahnt zum bedachtsamen Einsatz von Antibiotika.

Michael Scharl vermutet, dass es die Krebszellen leichter haben, wenn die Anzahl «guter» Bakterien abnimmt. «Mittlerweile gibt es etliche gute Studien, die zeigen, wie wichtig das Mikrobiom – das massgeblich von der Ernährung und der Lebensweise beeinflusst wird – bei der Entstehung von Darmkrebs ist.»

Bis er die patentierten Bakterien einsetzen kann, ist der Weg allerdings noch weit. Nur schon für eine seriöse Phase I-Studie braucht sein Forschungsteam etwa sieben Millionen Franken.