Folgenreicher Fall vor US-JustizDarf eine Webdesignerin homosexuellen Paaren ihre Dienste verweigern?
Der Oberste Gerichtshof verhandelt zur brisanten Frage, ob eine Grafikerin eine Website zur Hochzeit erstellen muss, wenn die gleichgeschlechtliche Ehe gegen ihren Glauben verstösst.
Der Supreme Court der USA beendete in diesem Sommer seine Sitzungsperiode mit einem spektakulären Urteil: Das Gericht hob das landesweite Recht auf Abtreibung auf, das seit einem halben Jahrhundert verbrieft war, und erklärte, es sei künftig Sache der Bundesstaaten, darüber zu befinden. Zahlreiche Staaten erschwerten daraufhin umgehend Schwangerschaftsabbrüche erheblich. Selten haben Urteile des Supreme Courts derart direkte Folgen für Millionen von Menschen.
Am Montag nun hat das Gericht im Zuge seiner aktuellen Session über eine Klage beraten, die nicht so explosiv ist wie das Recht auf Abtreibung, aber ebenfalls Konsequenzen für Millionen von Menschen haben könnte.
«Man kann Menschen nicht abweisen»
Es geht um die Frage, ob es gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung verstösst, wenn man anlässlich einer Hochzeit eines gleichgeschlechtlichen Paares eine Website für die Eheleute gestalten muss. Lorie Smith, eine Grafikdesignerin aus Colorado, argumentiert, dass sich dies nicht mit ihrem christlichen Glauben vereinbaren lasse, weshalb sie verlangt, einen entsprechenden Auftrag gegebenenfalls ablehnen zu können.
In Colorado gibt es allerdings, wie in 28 weiteren Bundesstaaten, ein Antisiskriminierungsgesetz, das auch die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung unter Strafe stellt. Phil Weiser, der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates, sagt: «Wer als Unternehmen seine Türen für die Öffentlichkeit öffnet, muss alle bedienen. Man kann Menschen nicht abweisen, weil sie sind, wer sie sind.»
Eine ähnliche Fragestellung hat der Supreme Court schon einmal verhandelt, auch diese nahm ihren Ursprung in Colorado. Vor zehn Jahren hatte sich der Bäcker Jack Phillips geweigert, eine Hochzeitstorte für ein homosexuelles Paar zu backen. Der Fall erlangte landesweite Aufmerksamkeit und landete 2018 schliesslich vor dem Obersten Gerichtshof.
Der konservative Flügel besetzt nun sechs der neun Stellen am Gericht, was in den USA als Supermehrheit bezeichnet wird.
Damals regelte das Gericht nicht eindeutig, ob das Recht auf Meinungsfreiheit, garantiert im ersten Verfassungszusatz, auch erlaubt, aus religiösen Gründen Kundschaft abzulehnen. Es wird erwartet, dass der Supreme Court diese Frage diesmal beantwortet. Nach der Anhörung vom Montag zu urteilen, scheint das Gericht mehrheitlich der Argumentation der Klägerin zuzuneigen.
Die Zusammenstellung des Gerichtes hat sich seit 2018 entscheidend geändert. Anthony Kennedy, der damals die ideologische Mitte des Gerichts bildete, ist zurückgetreten. Die liberale Ruth Bader Ginsburg ist gestorben. Ersetzt wurden sie durch die extrem konservativen Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Der konservative Flügel besetzt nun sechs der neun Stellen am Gericht, was in den USA als Supermehrheit bezeichnet wird. Beim Thema Abtreibung hat die konservative Gruppe gezeigt, dass sie diese Mehrheit für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen zu nutzen gedenkt.
Der Fall des Bäckers
Die Unterstützer der Designerin Smith argumentieren, eine Abweisung der Klage bedeute, dass Künstler zu Aufträgen gezwungen werden könnten, die ihrem Glauben widersprächen. Smith sagt, sie habe nichts dagegen, für homosexuelle Kunden zu arbeiten, sie wolle aber eben zum Beispiel keine Website für eine gleichgeschlechtliche Eheschliessung gestalten, da sie damit Unterstützung für etwas ausdrücke, das sie ablehne.
Ihre Gegner sagen, dass, wenn sie recht bekommen sollte, dies einen schweren Schlag gegen die Antidiskriminierungsgesetze bedeute und es heissen könnte, dass Unternehmer es künftig mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit auch ablehnen könnten, zum Beispiel Schwarze oder Muslime zu bedienen.
Bei der Anhörung am Montag zeigten die konservativen Richter grosses Interesse an der Frage, inwieweit die Ausgangslage eine andere sei für Unternehmen, die ein handwerkliches Produkt verkaufen, und solchen, die etwas gestalten. Sprich: Ob nicht der Fall des Bäckers anders gelagert sei, weil dieser Kuchen bloss backe, wohingegen die Grafikdesignerin kreativ etwas gestalte, sich also selbst ausdrücke, weshalb das Recht auf Meinungsfreiheit in diesem Fall zur Anwendung kommen könnte.
Die Grafikdesignerin klagt präventiv, für den Fall, dass sie das in Zukunft tun soll.
Ferner debattierten sie, inwieweit man zwischen Diskriminierung wegen der Hautfarbe und wegen sexueller Orientierung unterscheiden müsse. Dieser Punkt ist insoweit interessant, als mindestens einer der konservativen Richter, Clarence Thomas, das Recht auf die gleichgeschlechtliche Ehe abschaffen möchte. Wenn das Gericht in diesem Fall entschiede, rassistische Diskriminierung unterscheide sich von Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung, könne das laut LGBTQ-Aktivisten ein Schritt dahin sein, die gleichgeschlechtliche Ehe zu einer Ehe zweiter Klasse zu machen.
Ein interessantes Detail an dem Fall: Der Bäcker Phillips hatte sich seinerzeit geweigert, einen konkreten Auftrag eines homosexuellen Paares anzunehmen. Die Grafikdesignerin Smith hingegen erstellt gar keine Websites für Hochzeiten. Sie klagt präventiv, für den Fall, dass sie das in Zukunft tun soll – und für diesen Fall will sie ihr Recht verbrieft wissen, keine Websites für gleichgeschlechtliche Hochzeiten gestalten zu müssen.
Es geht also nicht ums Konkrete, um Websites, sondern ums Grundsätzliche, um das Recht, bestimmte Aufträge ablehnen zu dürfen.
Unterstützt wird sie in ihren Anstrengungen von einer Organisation namens Alliance Defending Freedom (ADF), einer christlich-konservativen Lobbygruppe und Anwaltskanzlei. Die ADF setzt sich zum Beispiel gegen das Recht auf Abtreibung ein und gegen LGBTQ-Rechte. Eine Anwältin der Gruppe vertritt Smith am Gericht. Wann der Supreme Court eine Entscheidung verkündet, ist noch unklar. Spätestens zum Ende der aktuellen Session im Juni 2023 muss das Urteil erfolgen.
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