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Befreiung durch Makeover
Männer in der modischen Midlife-Crisis

PARIS, FRANCE - SEPTEMBER 27: Daniel Craig attends the Loewe Paris Womenswear Spring-Summer 2025 show as part of Paris Fashion Week on September 27, 2024 in Paris, France. (Photo by Pascal Le Segretain/Getty Images for Loewe)
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In Kürze:
  • Daniel Craigs präsentierte sich bei der Paris Fashion Week im neuen Look.
  • Der Look polarisiert, hat aber auch Nachahmer gefunden.
  • Bond-Fans kritisieren Craigs Abkehr von maskulinen Idealen.

Noch unlängst waren die Kennzeichen einer männlichen Midlife-Crisis ein Sportwagen und eine jüngere Liebschaft. Heute heisst dasselbe Phänomen Midlife-Makeover und manifestiert sich unter anderem in extravaganter Kleidung. Zumindest bei jenen, die sich gleich mehrere Sportwagen und Liebschaften leisten könnten. An der Pariser Modewoche gaben jedenfalls die neuen Stylings einer ganzen Reihe von Herrschaften zu reden, die die Lebensmitte überschritten haben. Im Auge des Sturms steht Daniel Craig, früher Bond-Darsteller und heute Mann auf der Suche nach einer neuen Identität.

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das spanische Modehaus Loewe. Vergangenen Juli präsentierte es Craig als Aushängeschild für seine neue Herbst/Winter-Kampagne. Er zeigte sich dort in bunten Strickpullovern und Cargohosen, mit geschürzten Lippen und erblondeter Haarpracht. Grösser hätte der Kontrast zu Craigs sonst massgeschneiderten Slim-Fit-Anzügen, den Hemden aus hochwertiger Baumwolle und der streng gescheitelten Frisur aus Bond-Zeiten nicht sein können.

«Was zur Hölle trägt Daniel Craig da?»

Entsprechend waren die Reaktionen. Die Kampagne ging viral und wurde heiss diskutiert. Freundliche Kommentare sahen im neuen Craig einen «Bieber-Bond» (in Anlehnung an Justin Bieber, wegen der Haare) oder einen coolen Onkel. Auf dem Blog «WhatsDanielwearing», der sich ausschliesslich Craigs Garderobe widmet, waren die Kommentare weniger freundlich: «Sorry, aber WTF trägt er? Sieht aus wie ein Greis, der jugendlich wirken möchte.» Ein anderer: «MC Hammer möchte seine Hose zurück» Oder schlicht: «Gute Frage, was zur Hölle trägt Daniel da 🤔?»

Auf Craigs Alterskohorte verfehlte die Kampagne ihre Wirkung dennoch nicht. Anfang Oktober in Paris liessen sich auch andere Männer jenseits der Lebensmitte davon inspirieren. Der 71-jährige Jeff Goldblum marschierte in weit geschnittenen weissen Chinos und einer Oversized-Lederjacke auf. Der 60-jährige Lenny Kravitz trug eine in seine schwarze Hose gestopfte schwarze Schleifenbluse und Lederstiefel. Und Craig kam zur Loewe-Show natürlich ganz in Loewe, in weiten Pluder-Cargohosen, ungeschnürten Kampfstiefeln und buntem Strickpullover.

Die Abkehr von klassischer Männlichkeit

Modeexperten bejubelten die neuen Looks, besonders bei Daniel Craig. Mit 56 habe dieser endlich zu seinem wahren, androgynen, unkonventionellen modischen Ich gefunden, das er bislang unter seinen streng geschnittenen Anzügen versteckt habe.

Und sowieso: Jeder wisse, dass klassische Männlichkeit ausgedient habe. Die jüngere Generation um Harry Styles und Timothée Chalamet habe da erfolgreich neue Massstäbe gesetzt. Dass das nun auch bei Boomern und X-ern ankomme, sei ein Zeichen, dass auch diese sich von alten Männlichkeitsidealen emanzipierten.

Bond-Fans sehen das naturgemäss anders. Denn sie unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von Modeexperten. Letztere orientieren sich am Zeitgeist. Erstere an einem zeitlosen Ideal. Bei ihnen gilt Craigs neuer Stil als Sakrileg. Tatsächlich wirkt der Ex-Agent in der Loewe-Kampagne weniger als Inbegriff von Männlichkeit, sondern als hätte er ein Wochenende mit der Klimajugend durchgemacht. Zwar fehlt ihm die Jugend, aber seinem Midlife-Makeover dürfte ein juveniles Motiv zugrunde liegen. Teenager signalisieren mit schriller Kleider- und Frisurenwahl Abnabelung. Und Craig will sich offenbar ebenfalls abgrenzen.

Craig will sich von Bond emanzipieren

Das ist einerseits verständlich. Über 15 Jahre hinweg verkörperte er einen Bond, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hatte. Er gab der Figur eine neue Härte und Verletzlichkeit und gilt als einer der besten Bond-Darsteller überhaupt. Wirklich angefreundet hatte er sich mit der Rolle allerdings nie.

Er sei aus der Zeit gefallen, ein Macho, Vergewaltiger und überhaupt eine Figur, die dringend zu modernisieren sei. Seine Rolle als Bond hat offenbar nicht nur einen dreistelligen Millionenbetrag auf Craigs Konto hinterlassen, sondern auch ein Trauma in seiner Seele. Das zumindest deutet Craigs modische Metamorphose an, seit er die Rolle hinter sich gelassen hat.

Männer dürfen heute Girlie sein und Nagellack tragen

Diese Sinnkrise betrifft nicht Craig allein. Sondern auch die Rolle des Mannes an und für sich. Klassische Männlichkeit ist out, alternative Modelle sind dringend gefragt. Und das öffnet die Bühne für Alternativen, auch beim modischen Auftritt. Männer dürfen heute Girlie sein, Nagellack und lange Haare tragen oder auch nicht. Für viele ist das eine langersehnte Befreiung. Und mit einem modisch gewagten Auftritt heimst man auch deutlich mehr Applaus ein, als mit einem Sportwagen und einer jüngeren Liebschaft. 

Aber ist das Konzept nachhaltig? Oder eine Anbiederung an den Zeitgeist aus Sorge, nicht mehr mit der Generation Z mithalten zu können? Der Erfolg einer archetypisch männlichen Figur wie Bond verdankt sich gerade ihrer Stabilität, ungeachtet wechselnder geopolitischer, gesellschaftlicher und modischer Zeitströmungen. Sein Name ist Bond, James Bond, er trinkt seinen Martini geschüttelt, nicht gerührt, und er ist immer makellos gekleidet. Das macht ihn zum zeitlosen Vorbild für jede neue Generation von Männern. Modische Trends kommen und gehen, heute sind Pluderhosen und Strickpullover angesagt, morgen dürften es schon wieder bunte Leggins sein. Zeitloser Stil aber wird bleiben – und ein sicherer Hafen bleiben, wenn die Midlife-Crisis überwunden ist.