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Sensation im deutschen Cup
«Alter, das ist Wahnsinn» – ein Drittligist blamiert Bayern

dpatop - 01 November 2023, Saarland, Saarbrücken: Soccer: DFB Cup, 1st FC Saarbrücken - Bayern Munich, 2nd round, Ludwigspark Stadium. Munich's Konrad Laimer (l-r), Munich's Min-jae Kim and Munich's Thomas Müller are on the pitch. Photo: Uwe Anspach/dpa - IMPORTANT NOTE: In accordance with the requirements of the DFL Deutsche Fußball Liga and the DFB Deutscher Fußball-Bund, it is prohibited to use or have used photographs taken in the stadium and/or of the match in the form of sequence pictures and/or video-like photo series. (KEYSTONE/DPA/Uwe Anspach)

Da steht Thomas Tuchel nun, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, in der Hand ein Mikrofon und vor Augen die Szene aller Szenen. Bei der ARD wird ihm der fatale Moment an diesem Mittwochabend eingespielt. Der Trainer von Bayern München schaut sich die Bilder an und lässt sie ein paar Sekunden auf sich wirken, bis er sagt: «Da braucht man nicht viel zu analysieren. Der geht an der Seite durch. Knallt ihn rein in die Mitte. Und der schiesst ihn rein.»

Literarisch ist das nun nicht gerade hochstehend, wie Tuchel diesen Moment zusammenfasst, es ist vielmehr grob geschnitzt. Am Resultat ändert sich nichts: Nach Vorarbeit von Amine Naifi gelingt Marcel Gaus das Tor. Und was für ein Tor! Es ist das 2:1 des 1. FC Saarbrücken in der 96. Minute gegen Bayern München. Der Drittligist wirft den Weltverein in der 2. Runde des DFB-Pokals raus.

«Wenn das einer bei der Auslosung gesagt hätte», sagt Tim Schreiber, «das wäre bekloppt gewesen!» Schreiber ist Goalie von Saarbrücken, heldenhaft in seinen Aktionen. Wobei ihm das so kurz nach dem Spiel so alles noch gar nicht richtig bewusst ist. Am nächsten Tag müsse er sich das erst nochmals anschauen. «Alter», sagt er dann, «das ist Wahnsinn!»

01 November 2023, Saarland, Saarbrücken: Soccer: DFB Cup, 1st FC Saarbrücken - Bayern Munich, 2nd round, Ludwigspark Stadium. Saarbrücken goalkeeper Tim Schreiber (below) celebrates the victory with teammates. Photo: Uwe Anspach/dpa - IMPORTANT NOTE: In accordance with the requirements of the DFL Deutsche Fußball Liga and the DFB Deutscher Fußball-Bund, it is prohibited to use or have used photographs taken in the stadium and/or of the match in the form of sequence pictures and/or video-like photo series. (KEYSTONE/DPA/Uwe Anspach)

Es fragt sich in diesem Moment nun allerdings, in welchem Zustand er an diesem nächsten Tag sein wird. «Was erlauben Sie nun der Mannschaft?», wird Rüdiger Ziehl von der ARD-Moderatorin gefragt, Ziehl ist der Trainer einer Mannschaft, die am Samstag in Sandhausen schon wieder spielen muss. Die Kontraste können also nicht grösser sein.

Wer rechtzeitig nüchtern wird, spielt

Ziehl nun sagt: «Wenn man jetzt nicht feiert, darf man nie mehr feiern. Man würde mich für bekloppt halten, wenn ich jetzt sagen würde: Trinkt zwei Bier und geht nach Hause.» Die Arbeit am nächsten Tag erklärt er für freiwillig, ob nun Pflege oder Training. Und was den Samstag betrifft, will er einfach schauen, dass die Spieler die Kräfte sammeln, und schliesslich die auf den Platz schicken, die spielfähig sind. So sagt er das. Er könnte auch sagen: Es spielen die, die rechtzeitig wieder ausgenüchtert sind und die Abfahrt des Busses nicht verpassen.

Marcel Gaus ist kein grosses Licht im deutschen Fussball. 34 ist er inzwischen, im Sommer erst hat er bei Saarbrücken einen Vertrag erhalten, nachdem er ein Jahr lang ohne Verein gewesen war. Er spielt Linksverteidiger, erst gegen Leroy Sané, der bislang eine so grossartige Saison spielt, und als Sané nach einer Stunde ausgewechselt wird, steht ihm auf einmal der Supersprinter Kingsley Coman gegenüber.

Mit Coman sind auch Serge Gnabry und Jamal Musiala auf den Platz gekommen. Und Saarbrückens Trainer Ziehl denkt sich: «Boah, das wird mies.» Die Bayern sind fortan tatsächlich überlegen, sie haben Chancen, den Aussenseitern schwinden so sehr die Kräfte, dass Ziehl weiss: Eine Verlängerung überstehen sie nicht schadlos, «so ehrlich muss man sein».

Thomas Tuchels kryptische Analyse

Schreiber hält, was er halten muss. Zusammen mit seinen Kollegen hat er Glück, dass sich die krasse statistische Unterlegenheit nicht weiter entscheidend auswirkt. Er hat auch das Glück, dass Thomas Tuchel sich den Luxus leistet, den Überstürmer Harry Kane auf der Bank zu lassen. Ja, kann man so sagen. Nur sollten die Bayern auch ohne Kane stark genug sein, den Tabellen-15. der 3. Liga zu besiegen. «Es gibt hundert Erklärungen oder auch keine», sagt Tuchel. Es ist als Analyse für ein derartiges Debakel etwas gar kryptisch. Oder gar hilflos.

Was unbestritten ist: Es ist peinlich für einen Verein, der allein Kane ein Gehalt bezahlt, das mehr als doppelt so hoch ist wie das 11-Millionen-Budget von Saarbrücken. Dieses 1:2 verleitet überdies dazu, tief in die Dunkelkammer der Münchner Cup-Blamagen zu blicken. Und da sticht der 14. August 1994 heraus, als Bayern beim TSV Vestenbergsgreuth 0:1 verliert. Kahn, Helmer, Matthäus, Scholl und Trapattoni wurden vom Regionalligisten bis auf die Knochen blamiert. Viel anders kann allerdings dieser Abend auf dem tiefen Boden des Ludwigspark-Stadions von Saarbrücken nicht wirken.

«Es ist, wie es ist», sagt Tuchel, «wir gratulieren dem Gegner.» Wenigstens gibt er sich als guter Verlierer. «Die sollen sich freuen», fügt Thomas Müller mit Blick auf die Saarbrücker bei, Müller ist das Münchner Original, das seine Mannschaft nach einer Viertelstunde in Führung gebracht und für die Meinung gesorgt hat, dass das Spiel damit irgendwie schon entschieden sei.

Der laute Jubel ängstigt die Kinder

Normalerweise ist das auch der Fall bei einem solchen Duell, in dem die Kräfteverhältnisse so eindeutig verteilt sind. Normalerweise gewinne man eines von hundert Spielen gegen Bayern, sagt Gaus, der Schütze des Siegtores. Als der Trubel ausgebrochen ist, sorgt er sich nur um eines: um seine drei kleinen Kinder. Die dürfen mit auf den Platz und sind ein bisschen verängstigt wegen der Lautstärke, mit der Zuschauer und Spieler feiern.

Rüdiger Ziehl ist vor diesem Spiel leicht infrage gestellt worden, weil der Start in die Saison mit nur drei Siegen in elf Runden mässig ausgefallen ist. Dieses Thema dürfte sich vorläufig erledigt haben. Thomas Tuchel wiederum hat mit Problemen auf anderem Niveau zu leben, zum Beispiel mit einem Kader, das er für zu dünn besetzt hält, um die Ansprüche des Vereins zu erfüllen.

Dass der alte Patriarch Uli Hoeness an seiner Aussage keine Freude gehabt hat, das hat Tuchel lächelnd weggesteckt. Aber er hat nun erlebt, wie schnell selbst seine Bayern nach einem 8:0 gegen Darmstadt im Cup abstürzen. Und wie gefährlich das sein kann – ausgerechnet drei Tage vor dem Klassiker der Bundesliga in Dortmund.