Alte BerechnungsmethodeCovid wird aus Übersterblichkeitsstatistik getilgt
Die zuletzt wichtigste Kennzahl für die Vermessung der Corona-Pandemie ist nur noch wenig aussagekräftig. Zusätzliche Todesfälle werden 2023 normalisiert.
Für Politik und Gesellschaft endete die Pandemie im Frühling 2022. Verschiedene Indikatoren zeigen jedoch, dass sie medizinisch gesehen noch nicht vorbei ist. So mussten gemäss Bundesamt für Gesundheit 2022 mit 23’118 bisher am meisten Personen mit oder wegen Covid hospitalisiert werden. Und diese Zahl wird aller Voraussicht nach aufgrund von Meldeproblemen in den Spitälern in der Grössenordnung 100% unterschätzt sein, wie diese Redaktion bereits mehrmals aufzeigte.
Noch besser liessen sich aber die gesundheitlichen Auswirkungen der dauerhaft erhöhten Corona-Prävalenz am Mortalitätsmonitoring des Bundesamts für Statistik (BFS) ablesen. Die Schweiz verzeichnete 2022 ein Jahr mit einer der höchsten Übersterblichkeiten seit 1877. Insgesamt starben in der Schweiz rund 73’000 Menschen, das sind gegen 6650 Personen oder etwa 10 Prozent mehr, als erwartet wurden.
Fortan wird aber das Mortalitätsmonitoring als wichtiger Pandemie-Indikator verwässert sein, weil die Erwartungswerte für 2023 stark nach oben angepasst wurden. Prognostizierte das BFS in der Woche 1 im Jahr 2022 noch 1226 Todesfälle in der Altersgruppe über 65 Jahre, so sind es nun in der ersten Woche des aktuellen Jahres 1346. Das sind rund 10 Prozent mehr.
Folglich macht es in der unten abgebildeten Grafik den Anschein, dass die Übersterblichkeit in der Woche 1 im Vergleich zur Woche 52 des letzten Jahres deutlich gesunken ist. Faktisch sind mit 1583 (Woche 52) und 1498 (Woche 1) aber ähnlich viele Menschen gestorben. Und zwar mit rund +30% deutlich mehr als noch in der vorpandemischen Woche 1 im Jahr 2020 mit lediglich 1157 Todesfällen.
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Das BFS erklärt die erhöhte Vorhersage der Mortalität für 2023 damit, dass 2022 als ganz normales Jahr in die Prognosemodellierung einfliesst. 2022 war aber wie erwähnt ein ausserordentliches Jahr mit einer der höchsten Übersterblichkeiten der Geschichte und treibt dementsprechend den Erwartungswert in die Höhe. Die Jahre 2020 und 2021 werden nach wie vor gesondert als Pandemiejahre betrachtet, für die Vorhersage 2023 wurden die tatsächlichen Sterbefälle mit den damaligen Erwartungswerten ersetzt.
Warum ändert sich die Berechnungsmethode aber nun für das Jahr 2022? Der Epidemiologe Rolf Weitkunat, der beim BFS die Erfassung der Übersterblichkeit mitverantwortet, sagt: «Das Jahr 2022 wurde mit den tatsächlich aufgetretenen Sterbefällen übernommen, da die Übersterblichkeit in diesem Jahr nicht eindeutigen Ereignissen wie Corona-Wellen zugewiesen werden konnte und uns bis heute die Gründe unbekannt sind.»
Sars-Cov-2 dürfte davon aber unbeeindruckt bleiben und auch 2023 bedeutende Gesundheitsschäden verursachen.
Dieser Bewertung widersprechen mittlerweile die meisten Fachpersonen in der Schweiz, die sich mit Sterblichkeitsdaten befassen. Hauptfaktor für die vielen zusätzlichen Toten 2022 war Covid, da sind sich Kaspar Staub vom Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich, Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel und Urs Karrer, Chefarzt am Kantonsspital Winterthur, einig. Selbst das Bundesamt für Gesundheit nennt die Pandemie mittlerweile als Hauptgrund für die erhöhte Sterblichkeit, wie es mitteilt: «Seit Beginn der Pandemie ist in der Schweiz eine Korrelation zwischen der vom BFS beobachteten Übersterblichkeit und den Covid-19-Wellen zu beobachten. Dies trifft auch für das Jahr 2022 zu.»
Das BFS möchte aber dennoch seine langjährige Methodik für die Berechnung der Übersterblichkeit «in ihrem Grundsatz nicht verändern». Ob Covid nun auch 2023 wiederum für Tausende zusätzliche Todesfälle verantwortlich sein werde, müsse wissenschaftlich geklärt werden. Weitkunat sagt: «Explorative Analysen und statistische Modellierungen fallen in den Bereich der analytischen Epidemiologie, die vorwiegend von Universitäten und Forschungseinrichtungen durchgeführt wird, nicht aber von primär deskriptiv ausgerichteten Statistikämtern.»
Und somit werden die Todesfälle dieser Pandemie ab nun auch im Mortalitätsmonitoring normalisiert werden. Damit wird auch einer der letzten wöchentlichen «Störfaktoren», der noch an die Pandemie erinnert, verschwinden. Sars-Cov-2 dürfte davon aber unbeeindruckt bleiben und auch 2023 bedeutende Gesundheitsschäden verursachen.
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