Coronavirus legt Fifa-Prozess lahm
Das Verfahren um den «Sommermärchen»-Fall droht zu platzen, weil ein Angeklagter in Quarantäne ist.
Manchmal klang es fast so, als ob die Beschuldigten im Tessin, nahe der italienischen Corona-Sperrzone, der sichere Tod erwarte. Mit allen Mitteln haben sich drei deutsche Angeklagte gewehrt, um nicht an ihren Prozess vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona anreisen zu müssen.
Als Einziger aus dem Trio entschied sich Wolfgang Niersbach dann doch noch, auf den Mittwoch hin in die Südschweiz zu fahren. Trotz Corona und entgegen der Warnung seines Arztes. Was der ehemalige Präsident des Deutschen Fussball-Bunds (DFB) zu diesem Zeitpunkt nicht geahnt haben dürfte: Er war familiär dem Virus bereits ziemlich nah gekommen. Und das noch daheim in München.
Am dortigen Jüdischen Gymnasium verzeichneten die Stadtbehörden gestern einen «bestätigten Sars-Cov 2-Fall». Und just diese Schule besucht Niesbachs Stiefsohn. Der 69-Jährige und der 14-Jährige leben unter einem Dach. Die beiden hatten, wie Niersbachs Anwalt schreibt, bis Dienstag «engsten Kontakt». Die Lebenspartnerin des pensionierten Fussball-Funktionärs sei am Donnerstag von ihrem Arbeitsplatz nach Hause geschickt worden. Niersbach selber habe «sich entschieden, sich zum Schutze seiner Mitmenschen in eine selbstverordnete Quarantäne zu begeben; zumindest bis weitere Klarheit besteht». Im Gerichtssaal erschien er bereits nicht mehr, als der Prozess am Donnerstagnachmittag fortgesetzt werden sollte. Deshalb und aus weiteren ebenfalls medizinischen Gründen vertagte die Strafkammer den Prozess unverzüglich auf unbestimmte Zeit.
Erhöhtes Sterberisiko
Fraglich ist, ob er überhaupt fortgesetzt werden kann. Für das Tessin hat die Kantonsregierung am Mittwoch den Notstand ausgerufen. Sie verbietet nicht nur Anlässe mit mehr als 50 Personen, sondern rät über 65-Jährigen auch bis auf weiteres «dringend» davon ab, an öffentlichen oder privaten Veranstaltungen teilzunehmen. Zur betroffenen Altersgruppe gehören auch die vier Beschuldigten im «Sommermärchen»-Fall – drei deutsche Ex-Fussballfunktionäre und der frühere Fifa-Generalsekretär Urs Linsi aus der Schweiz. Bei Pensionierten wie ihnen besteht ein erhöhtes Sterberisiko bei einer Corona-Erkrankung.
Nichtsdestotrotz klärt das Bundesstrafgericht ab, ob es weitergehen kann. Es will nach wie vor wissen, ob die beiden noch gar nicht erschienenen deutschen Angeklagten fähig sind, in die Schweiz zu reisen, um sich gegen die Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit der Fussball-WM 2006 zu verteidigen. Dafür verlangen die Richter vom Beschuldigten Theo Zwanziger ein aktualisiertes ärztliches Attest. Zwanziger, Niersbachs Vorgänger in DFB-Präsidium, hatte nach einer Augenoperation kürzlich schwere Komplikationen erlitten.
Anwälte wollen Verschiebung
Die Verhandlungsunterbrechung bis mindestens Anfang kommende Woche will die Strafkammer nutzen, um zahlreiche Anträge abzuarbeiten. Alle Verteidiger hatten die Verschiebung der Verhandlung gefordert – zuletzt nochmals Niersbachs Anwalt Bernhard Isenring, der eine Vertagung bis 16. März forderte.
Das Gericht tut sich mit einer längeren Pause sichtlich schwer, denn der Fall droht dadurch ganz zu platzen. Alle Vorwürfe gehen auf die Zeit vor der WM 2006 in Deutschland zurück, die als «Sommermärchen» in die Annalen einging. Es geht um schwer erklärbare 10-Millionen-Franken-Transfers vom DFB über die Fifa. Sie verjähren Ende April – was wegen einer Corona-Infizierung in München nun wahrscheinlicher wird.
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