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Streit ums CO₂-Gesetz
Statt E-Postautos gibts E-Busse in Thailand: Politiker wollen Klima lieber im Ausland schonen

Ein Postauto auf der Furka Passstrasse, am Samstag, 18. Juli 2020. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
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«Bedenklich», sagt Reto Knutti. Der Klimaforscher der ETH ist zu Besuch im Bundeshaus und findet es bedenklich, was der Ständerat soeben bei der Beratung des CO₂-Gesetzes beschlossen hat. Der Rat will nicht, dass die Schweiz die Klimaziele zu einem grossen Teil mit Massnahmen im Inland erreichen muss. Er setzt auf Projekte zur CO₂-Reduktion im Ausland.

Die Befürworter dieses Vorgehens argumentieren, es spiele keine Rolle, ob die Treibhausgase in der Schweiz oder im Ausland gesenkt würden. «CO₂ kennt bekanntlich keine Grenzen», sagte SVP-Ständerat Jakob Stark in der Debatte. Mit CO₂-Projekten im Ausland könnten gute Projekte zu tieferen Kosten umgesetzt werden. SVP-Umweltminister Albert Rösti sprach von «tief hängenden Früchten». Die Schweiz habe inzwischen mit elf Ländern entsprechende Verträge abgeschlossen. «Es macht Sinn, dass man dort CO₂ reduziert, wo das noch relativ günstig ist.» 

Nutzen fraglich

Reto Knutti sieht das anders. «Konkret bedeutet der Auslandansatz zum Beispiel, dass die Schweiz für die Elektrifizierung von Bussen in Thailand bezahlt, während viele Postautos in der Schweiz weiterhin Treibhausgase ausstossen.» Das sei nicht sinnvoll, sagt Knutti, zumal die Finanzierung durch die Schweiz nicht zu einer zusätzlichen Senkung der Treibhausgase führe. Die Elektrifizierung der thailändischen Busse sei nämlich laut einer Studie von Alliance Sud ohnehin geplant gewesen.

Irgendwann werde es keine billigen Projekte im Ausland mehr geben, und die Schweiz müsse ihre Infrastruktur sowieso umbauen. «Warum nicht gleich bei den Postautos ansetzen? Davon hätten wir dank der Verbesserung der Luftqualität unter dem Strich den grösseren Nutzen», sagt Knutti. Klar ist für den Klimaforscher: Das Parlament ist mit seinen Beschlüssen zum CO₂-Gesetz nicht auf Kurs. Um die Klimaziele zu erreichen, die das Stimmvolk mit dem Ja zum Klimaschutzgesetz gutgeheissen hat, wäre mehr nötig. 

Volkswille missachtet

Grünen-Fraktionschefin Aline Trede wird deutlicher. «Der Volkswille wird missachtet», sagt sie. «Schon wieder.» Das häufe sich in letzter Zeit. Beim Wolf, bei der Tabakwerbung – und nun beim Klima. «Offenbar wird es zur Gewohnheit», sagt Trede. 

Im Klimaschutzgesetz steht: «Soweit möglich, müssen sie (die Ziele) durch Emissionsverminderungen in der Schweiz erreicht werden.» Für Trede bedeutet das, dass ein Inlandanteil festgelegt werden muss. Der Nationalrat hat dies getan: Er will ins Gesetz schreiben, dass mindestens 75 Prozent der Reduktion im Inland erfolgt. Der Ständerat dagegen will keine Zahl. Das hat er am Donnerstag mit 31 zu 12 Stimmen bekräftigt. 

Knappe Kommissionsentscheide

Auch in anderen Punkten beharrt der Ständerat auf schwächeren Massnahmen. Am Montag ist wieder der Nationalrat am Zug. Seine Kommission beantragt, am bisherigen Kurs festzuhalten, inklusive Inlandanteil. Teilweise aber mit knapper Mehrheit.

Setzt sich am Ende der Beratungen der Ständerat durch, könnten die Grünen das Gesetz ablehnen. Man werde abwägen müssen, sagt Trede. Das Gesetz beinhalte so wenig, dass der Schaden wohl gering wäre. Allerdings dürfte es auch bei einem Nein der Grünen in der Schlussabstimmung nicht scheitern: Die Hoffnung, dass danach etwas Besseres käme, ist bei den meisten gering.

Neuauflage des alten Streits

Beim letzten Versuch einer Revision des CO₂-Gesetzes war das anders. 2018 stürzte das Gesetz ab, weil der Nationalrat knapp – mit 97 zu 95 Stimmen – beschloss, keinen Inlandanteil festzulegen. Daraufhin versenkten Grüne und Grünliberale das Gesetz – gemeinsam mit der SVP, die grundsätzlich dagegen war. Die SP enthielt sich mehrheitlich der Stimme. 

Mit Blick auf die aktuellen Beratungen waren die Erwartungen von Anfang an klein. Das Gesetz sei «kein grosser Wurf», räumte selbst Kommissionssprecher Damian Müller (FDP) im Ständerat ein. «Aber das ganze Gesetz ist mehr als die Summe seiner Teile», fügte er an.

Aus Tredes Sicht dagegen bleibt fast nichts übrig, falls sich der Ständerat durchsetzt. Neben dem fehlenden Inlandanteil kritisiert sie vor allem die Beschlüsse zum Verkehr. Anders als der Nationalrat will der Ständerat keine Zwischenziele festlegen. Und er will darauf verzichten, Ladestationen für Elektroautos zu fördern.

Trumpisierung der Diskussion

Die Grünen sehen Umweltminister Albert Rösti in der Verantwortung. Am Montag wollen sie ihn in der Fragestunde des Nationalrats in die Mangel nehmen, mit Fragen wie dieser: «Wie kann die Schweiz glaubwürdig weltweit für den Klimaschutz einstehen, wenn sie ihre Klimaversprechen für 2030 auch mit dem neuen CO₂-Gesetz nicht einhält?»

Klimaforscher Knutti sieht noch ein grundsätzlicheres Problem: Er beklagt eine «Trumpisierung» der Klimadiskussion. «Uns kommt die gemeinsame, faktenbasierte Grundlage abhanden», sagt er. Das zeige sich etwa an den Äusserungen des designierten SVP-Präsidenten Marcel Dettling. Dieser sagte jüngst in einem Interview, für die Bauern sei die Klimaerwärmung nicht schlecht. Knuttis Kommentar: Angesichts solcher Aussagen erstaune es nicht, dass keine griffigen Klimaschutzmassnahmen beschlossen würden.