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Christian Seiler
Backen, backen, fluchen …

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Es gibt heiteres, und es gibt melancholisches Gebäck, finde ich. Während zum Beispiel Schokomuffins oder alle Sorten von Cremetorten eindeutig der sanguinischen Fraktion von Süssspeisen zuzurechnen sind, gehört der Kuchen, über den wir heute sprechen, zu den melancholischen Exemplaren. Das liegt natürlich am Obst, das die Hauptrolle spielt: an den Zwetschgen. Das Violett ihrer Haut vermittelt eine fast klerikale Strenge, das helle Fruchtfleisch hingegen stellt pure Sinnlichkeit dar.

Aber während zum Beispiel reife Erdbeeren oder Aprikosen nach ihrer Verarbeitung in der Küche nur ein Echo des Genusses erzeugen, den der Verzehr der rohen Frucht gleich nach der Ernte bereitet, ist das bei den Zwetschgen anders. Ich mag sie natürlich auch, wenn ich mir reife Exemplare vom Baum schüttle, aber die Hitze des Backofens verwandelt die Strenge und Kompaktheit der Frucht in geschmackliche Ausgelassenheit. Deshalb sind Zwetschgen meiner Meinung nach dafür gemacht, zu Kuchen verarbeitet zu werden (oder zu Mus, durch stundenlange Reduktion – aber das ist eine andere Geschichte).

Mein liebster Zwetschgenkuchen war lange der Zwetschgenstreusel (und ich muss zugeben, dass ich nur mit äusserster Selbstbeherrschung an den Schaufenstern von Bäckereien vorbeigehen kann, in denen so ein Exemplar ausgestellt ist). Die Mischung aus Mürbteig, Fruchtbelag und knusprigen Butterstreuseln übt einen süsssauren Magnetismus auf mich aus, dem ich kaum widerstehen kann.

Bei der Lektüre der «New York Times» wurde mir leichter. Denn ich erfuhr, dass ich mit meiner übertriebenen Liebe zu Zwetschgenkuchen nicht allein bin. Unter all den Rezepten, die in dieser Zeitung jemals veröffentlicht wurden – es sind Tausende und Abertausende –, sticht eines hervor, das beim Publikum über die Jahrzehnte auf den meisten Zuspruch gestossen ist: jenes für den Original Zwetschgenkuchen. Marian Burros machte ihrer Leserschaft 1983 die erste Version dieses Kuchens zugänglich, und seitdem ist die Begeisterung für das Rezept gross.

Versteht sich von selbst, dass ich diesen amerikanischen Weltrekordkuchen selbst ausprobieren musste. Er unterscheidet sich durchaus von meinen erprobten und geliebten Streuselkuchen, besitzt aber – so viel kann ich vorausschicken – einen charakteristischen Zauber und klettert gerade ziemlich unaufhaltsam die Leiter meiner Lieblingskuchen hinauf.

Hier die Zutaten: 150 g Zucker (im Originalrezept sind es 200; die braucht es aber meines Erachtens nicht), 100 g weiche Butter, 200 g Mehl, gesiebt, 1 TL Backpulver, 1 Prise Salz, 2 Eier, 24 Zwetschgenhälften, entsteint. Zucker, Zitronensaft und etwas Zimt für das Topping.

Zubereitung: Zuerst den Zucker und die Butter in einer Schüssel schaumig rühren. Dann nacheinander Mehl, Backpulver, Salz und Eier dazugeben und gut verrühren.

Eine Springform von 20 oder 22 cm Durchmesser einbuttern, den Teig in die Form geben. Jetzt kommt die Arbeit an der Ästhetik: Legen Sie die Zwetschgen mit der Hautseite nach oben so in den Teig, dass sie gleichmässig verteilt sind und ein schönes Muster bilden. Geben Sie etwas Zucker und Zitronensaft über die Früchte (die Menge richtet sich nach der Süsse der Zwetschgen), und streuen Sie nach Belieben etwas Zimt darüber.

Stellen Sie den Backofen auf 180 Grad. Schieben Sie den Kuchen hinein, und backen Sie ihn ungefähr eine Stunde. Danach nehmen Sie ihn heraus und lassen ihn etwas abkühlen. Wie immer feiert auch dieser Kuchen die Freuden des Lauwarmen (ausserdem ist es durchaus angenehm, sich nicht an den heissen Zwetschgen den Gaumen zu verbrennen, wie das manchen unbeherrschten Zeitgenossen (die männliche Form ist aus gegebenem Anlass mit Bedacht gewählt) passieren mag. Gönnen Sie sich ein bisschen Schlagsahne dazu, und verbringen Sie einen schönen Nachmittag mit diesem Kuchen. Beschränken Sie sich nicht darauf, jetzt nur ein Stück zu essen – er ist zwar auch kalt gut, aber nicht mehr sooo gut.

PS: Wenn Sie ein bisschen Hintergrundmusik für die leise Nebelmelancholie des beginnenden Herbstes brauchen, dann hören Sie sich doch einmal das neue Album von Mitski an. Es hat den Titel «The Land Is Inhospitable and So Are We» und transponiert amerikanische Natur- und Gesellschaftsstimmungen in simple, aber doch nicht ganz so simple Schönheit. Mitskis bachklare Stimme mäandert zwischen Folkgitarre und raffinierten Orchesterarrangements, sie öffnet erstaunliche Assoziationsräume und lässt Erinnerungen schneien. Meine Musikwahl zu diesem wundervollen Kuchen.

Christian Seiler ist Reporter bei «Das Magazin».

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