Kommentar zum Fauxpas des KönigsCharles’ «verdammter» Fülli und die Erwartungen des Volkes
Eben noch gelobt für seine erste Rede, bekommt der neue britische König die Last des Amtes zu spüren. Alles wird dokumentiert, eben auch Peinliches.
Dokumente zu unterschreiben gehört zu den Hauptaufgaben eines Königs, dass das aber leichter gesagt ist als getan, hat Charles III. in seinen ersten Tagen als König gemerkt. Bei seiner Proklamation schon hatte er Schwierigkeiten mit den Tintenfässern, und am Dienstag, als er sich in Nordirland im Hillsborough Castle ins Gästebuch eintragen sollte, lief der Füller aus. «Oh, sieh nur, es läuft überall hin», sagte seine Gemahlin Camilla, und der König fluchte: «Ich hasse das, ich kann dieses verdammte Ding nicht ertragen ... jedes verfluchte Mal!» Man weiss das, weil am Abend ein Video veröffentlicht wurde, in dem jedes Wort zu hören ist, das im Raum gesprochen wurde.
Zu hören ist auch, dass Charles sich zunächst im Datum irrte. «Heute ist der 12., richtig?», fragt er im Video. Nein, erwidert jemand aus seinem Stab, es sei der 13., «oh nein», sagt Charles «dann habe ich das falsche Datum hingeschrieben». Woraufhin Camilla ergänzt: «Du hast vorhin auch schon den 12. geschrieben.» Banale Szenen, oft schon erlebt. Falsches Datum, auslaufender Füller? Verdammt!
Die Queen zeigte so gut wie keine Emotionen, aber sie stand auch nicht unter medialer Dauerbeobachtung.
Aber Charles ist nicht nur der neue britische König, sondern auch Nachfolger einer Frau, deren herausragende Eigenschaft es 70 Jahre lang war, öffentlich so gut wie keine Emotionen zu zeigen. Nicht immer war das eine Stärke. Der Queen, heisst es jetzt aber, wäre Derartiges nicht passiert. Und: Hatte nicht Charles schon als Prinz den Ruf, allzu emotional zu sein? Gibt es nicht all diese Geschichten von ehemaligen Angestellten über ihn, diesen von Dienern umsorgten Weltfremdling, der nicht einmal seine Zahnpasta selbst aufträgt?
Wie gnadenlos Erwartungshaltungen und der damit einhergehende Druck auf öffentliche Personen im Vereinigten Königreich sein können, dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Dass das Königreich sich nun mit einem auslaufenden Füller beschäftigt, ist allerdings auch Ausdruck der emotionalen Gemengelage, die dieser Tage im Land herrscht. Trauer um die Queen, Jubel über den König, Skepsis an der Monarchie, Ärger über den König, der bange Blick auf die nächste Stromrechnung: Alles vermischt sich mit allem.
Zwölf Tage dauert der Ausnahmezustand, in dem nicht zuletzt jeder Schritt, jedes Wort des auch schon 73-jährigen Königs dokumentiert, gepostet und geteilt wird. Er konnte sich lange darauf vorbereiten, weshalb man nun kein Mitleid mit ihm zu haben braucht. Nur, um seine Befähigung als neuer König oder gar die Sinnhaftigkeit der Monarchie als solche zu bewerten, dafür taugen auslaufende Füller nicht. Der Queen wäre so etwas nicht passiert? Die Wahrheit ist auch, dass in den 70 Jahren ihrer Regentschaft ein derartiges Dokumentieren ihrer Auftritte in Film und Ton undenkbar gewesen wäre.
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