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Interview mit Bundesratshistoriker
«Jositsch hat Pult Stimmen weggenommen»

Staenderat Daniel Jositsch, SP-ZH, Mitte, spricht mit Nationalrat Martin Baeumle, GLP-ZH, rechts, nachdem er Stimmen erhalten hat, neben Staenderaetin Tiana Angelina Moser, GLP-ZH, links, , bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates durch die Vereinigte Bundesversammlung, am Mittwoch, 13. Dezember 2023 im Nationalratssaal in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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Herr Altermatt, Sie kennen die Mechanik der Bundesratswahlen wie kein Zweiter. Was war für Sie das Bemerkenswerteste an der heutigen Wahl?

Das Machtkartell der Bundesratsparteien hat sich einmal mehr durchgesetzt. All die Geheimpläne, über die man im Vorfeld spekuliert hatte, trafen nicht ein. Ich spreche eigentlich noch lieber von einer «Versicherungsgesellschaft»: Man wählt artig alle Bisherigen, um Retourkutschen gegen die eigenen Bundesräte zu vermeiden.

Immerhin hielten sich nicht alle so strikt ans SP-Ticket, wie sie es im Vorfeld versprochen hatten. Daniel Jositsch erhielt im zweiten Wahlgang 70 Stimmen.

Das waren Proteststimmen. Ein Ausdruck von bürgerlicher Unzufriedenheit mit dem Ticket der SP. Doch am Ende zählt, wer gewählt ist.

Indem sich Daniel Jositsch nicht aus dem Rennen nahm, dürfte er es sich mit seiner Fraktion ein für alle Mal verscherzt haben. Denken Sie, dass es nun offiziell zum Bruch kommt mit der Partei?

Nein, das glaube ich nicht. Daniel Jositsch hat sich heute so verhalten, wie er es schon bei der letzten Bundesratswahl getan hatte – er ist sich, wenn man so will, treu geblieben. Natürlich hätte seine Partei etwas anderes von ihm erwartet. Vermutlich wird er nun weiter an Bedeutung verlieren in der Fraktion. Aber ich denke nicht, dass er die Partei verlässt.

Der neue Bundesrat heisst Beat Jans. Mit ihm ist Basel erstmals seit 50 Jahren wieder im Bundesrat vertreten. Wie wichtig war seine Herkunft für seine Wahl?

Ich würde sie nicht überbewerten. Der Hauptpunkt ist, dass Jans mehr Lebens- und Regierungserfahrung hat als Pult. Und er gilt als sehr konziliant. Er warb ja offensiv mit dem Label «Brückenbauer». Dass er überdies Basel und damit die urbane Schweiz vertritt, war ebenfalls ein Pluspunkt, aber wohl nicht ausschlaggebend.

Warum erhielt der regulär nominierte Jon Pult weniger Stimmen als der wilde Kandidat Daniel Jositsch?

Das hat mich tatsächlich auch überrascht. Manche Personen, die sich einen Bundesrat aus der östlichen Landeshälfte gewünscht haben, dürften für Daniel Jositsch gestimmt haben. Jositsch hat Pult damit Stimmen weggenommen. Aber nach meiner Einschätzung hätte es Pult auch sonst nicht zur Wahl gereicht. Interessanterweise ist es heute eher ein Nach- als ein Vorteil, jung zu sein. Das war zu Zeiten, als Adolf Ogi gewählt wurde, noch anders.

Sonst sind die Wahlen in relativ geordneten Bahnen verlaufen.

Sehr geordnet, ja! Als Ignazio Cassis im ersten Wahlgang mit 167 Stimmen wiedergewählt wurde, war für mich klar, dass die grossen Überraschungen ausbleiben. Sein Sitz wackelte weitaus weniger stark, als man hätte vermuten können.

Der grüne Kandidat Gerhard Andrey kam gerade einmal auf 59 Stimmen. Wie werten Sie dieses Ergebnis?

Sogar Regula Rytz machte vor vier Jahren mehr Stimmen. Es war für mich eine Enttäuschung, dass die Grünen nach ihrem Wahlsieg vor vier Jahren nicht entschlossener um einen Bundesratssitz kämpften. Es entspricht nicht der Logik unseres Systems, dass alles bleibt, wie es ist.

Warum setzen Sie sich so vehement dafür ein, dass sich die Zusammensetzung der Regierung ändert?

Weil die heutige Zauberformel nicht mehr zeitgemäss ist. Ein Viertel der Bevölkerung ist dadurch nicht repräsentiert. Doch niemand wagt, sich zu bewegen.

Die Parteipräsidenten wiederholen mantraartig, dass keine amtierenden Bundesräte abgewählt werden sollen.

Als Ruth Metzler 2003 abgewählt wurde, hätte man auch sagen können, man warte noch ein bisschen. Die SVP komme an die Reihe, wenn Ruth Metzler oder Joseph Deiss freiwillig abträten. Aber das hat man damals nicht gemacht.

Sie haben die Idee eines rotierenden Bundesratssitzes zwischen Mitte und FDP ins Spiel gebracht. Halten Sie daran fest?

Ich bin weiterhin der Meinung, dass es die gescheiteste Lösung wäre, wenn sich die beiden Parteien abwechseln würden. Ihre Wähleranteile liegen so nah beieinander. Die Mitte hat eindeutig eine gute Chance verpasst, indem sie sich jetzt nicht um einen der beiden FDP-Sitze bemühte. Wir müssen sehen: Die Freisinnigen sind die Gründerpartei der Schweiz. Sie haben noch nie ein Amt freiwillig abgegeben. Auch die heutige Zauberformel ist nicht im Einvernehmen mit den Freisinnigen entstanden. 1959 wurde der SP-Mann Hans Peter Tschudi als wilder Kandidat gewählt.

Rechnerisch hätten die Grünen aber mehr Anspruch auf einen Sitz als die Mitte oder die FDP auf zwei.

Unbestritten, ja.

Wenn Sie eine Prognose machen müssten: Wann bricht die bestehende Regierungszusammensetzung auf?

Ich wünschte mir, dass jetzt eine Phase des Nachdenkens einsetzt. Über die Zauberformel und über die Nebenregeln, die aus der Blocher-Abwahl resultiert sind. Ist es wirklich sinnvoll, dass die Parteien ein starres Ticket präsentieren, von dem nicht abgewichen werden darf? Was machen wir mit der Mitte, was mit den Grünen? Sosehr ich mir Antworten darauf erhoffe: Vermutlich wird es in den nächsten vier Jahren wenig Rücktritte geben. Sodass wir an den nächsten Gesamterneuerungswahlen in vier Jahren wieder am selben Punkt sind.