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Wirtschaft oder Menschenrechte?
Bundesrat will noch im August über Sanktionen gegen China entscheiden

Bundesrat Guy Parmelin will das relativ neue EU-Instrument der «thematischen Sanktionen» nicht in die Schweiz überführen.
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Eine der grossen Fragen, welche die Schweizer Landesregierung auch in den Sommerferien beschäftigt, hat nicht direkt mit Nancy Pelosis Besuch in Taiwan zu tun und auch nicht mit den gegenwärtig heftigen Reaktionen Chinas auf diesen Besuch der amerikanischen Politikerin. Im Lichte dieser aktuellen Ereignisse erscheint ein ohnehin brisantes Bundesratsgeschäft aber noch brisanter.

Es geht dabei um die Frage, ob die Schweiz die sogenannten thematischen Sanktionen der Europäischen Union (EU) übernehmen soll. Der Bundesrat will bereits im laufenden Monat über dem Thema brüten, wie diese Zeitung aus zuverlässiger Quelle erfahren hat. Weitere Quellen aus der Bundesverwaltung bestätigen, dass gegenwärtig ein Bundesratsentscheid in dieser delikaten Sache in Vorbereitung ist. Zu vernehmen ist auch, dass Wirtschaftsminister Guy Parmelin beantragen wird, keinerlei thematische Sanktionen der EU in Schweizer Recht zu überführen.

Neues Vehikel der EU

Doch worum geht es genau? Hinter dem etwas sperrigen Begriff verbirgt sich ein neues Konzept, das die EU seit Frühling 2021 anwendet. Thematische Sanktionen funktionieren anders als Sanktionen, die gegen ein bestimmtes Land verhängt werden. Vielmehr ermöglichen sie Massnahmen gegen Personen, Unternehmen und Organisationen aus unterschiedlichen Ländern, die gegen bestimmte Rechte verstossen. Thematische Sanktionen greifen gemäss EU-Definition in den Bereichen Chemiewaffen, Cyber und Menschenrechte.

Konkret hat die EU am 22. März 2021 beschlossen, einige Männer, Organisationen und Einrichtungen aus Nordkorea, Libyen, Eritrea, dem Südsudan, Russland und China wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren. Aus der Volksrepublik sind davon vier Funktionäre und ein Unternehmen betroffen. Gemäss der EU sind sie an Verbrechen wie den Masseninternierungen von Uiguren in der Provinz Xinjiang beteiligt. Die sanktionierten Personen dürfen nicht mehr in die 27 Mitgliedsstaaten einreisen, ihre Vermögen in Europa werden eingefroren. 

Chinas Reaktion ist absehbar

Übernimmt der Bundesrat, gestützt auf das Embargogesetz, diese Menschenrechtssanktionen, wäre neben Staaten wie Russland oder Nordkorea erstmals auch der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien betroffen. China ist hinter der EU und den USA global der drittwichtigste Schweizer Handelspartner. Zwischen der Schweiz und China gibt es ein Freihandelsabkommen, zwischen der EU und China nicht. 

Absehbar ist, dass China heftig reagieren würde. Wirtschaftlich dürfte sich die Schweiz bald mit Gegenmassnahmen konfrontiert sehen. Demgegenüber steht die moralische Frage, ob die Schweiz die Menschenrechtsverstösse Chinas gegen die Uiguren mehr oder weniger stillschweigend hinnehmen will. 

Als Mitglied der UNO ist die Schweiz völkerrechtlich verpflichtet, Sanktionen anzuwenden, die vom Sicherheitsrat (dessen Mitglied die Schweiz 2023/24 ist) beschlossen wurden. Anders sieht es bei den EU-Sanktionen aus. Der Bundesrat entscheidet im Einzelfall, ob die Schweiz europäische Massnahmen ganz, teilweise oder gar nicht übernimmt. Der Bundesrat wägt hier aussenpolitische, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte ab. Die EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs hat er bislang stets übernommen, was ihm aber Kritik der SVP eintrug. 

Linke macht Druck

Bei den thematischen Sanktionen betonte der Bundesrat bislang, dass die Schweiz weder rechtlich noch politisch verpflichtet sei, EU-Massnahmen zu übernehmen. Seit über einem Jahr stellen sich linke Parlamentsmitglieder die Frage, wann der Bundesrat in dieser Sache entscheiden werde. Sie machen mit Vorstössen und in Kommissionssitzungen Druck. Beispielhaft für die bisherige Bundesratsposition ist eine Antwort auf die Interpellation des grünen Genfer Nationalrats Nicolas Walder vom Frühling 2021: «Eine allfällige Übernahme der thematischen Menschenrechtssanktionen der EU im Rahmen des Embargogesetzes wird derzeit bundesintern diskutiert.» Der Bundesrat habe dazu noch keinen Beschluss gefasst. Wann sich dies ändern soll, liess der Bundesrat bisher offen.

Nun will die Regierung das heisse Eisen anfassen. Ob die Bundesratsmehrheit dem für Sanktionsfragen zuständigen Bundesrat und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) folgen wird, ist völlig offen. Insbesondere noch unklar ist dem Vernehmen nach, ob Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) sich vom Antrag, die thematischen Sanktionen der EU aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu übernehmen, überzeugen lässt. 

Das Sanktionenregime der Schweiz war kürzlich Thema in den eidgenössischen Räten. Der Nationalrat will eine Ausweitung der Sanktionskompetenzen des Bundesrats im Gesetz verankern. Insbesondere beschloss er im Juni, dass der Bundesrat künftig internationale Sanktionen auch auf zusätzliche Staaten, Personen oder Firmen ausweiten kann, «wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert». Widerstand kam dabei aus der SVP und von einem Drittel der FDP-Fraktion. Die Gegner des Vorhabens fürchten, die Neutralität werde weiter ausgehöhlt. Die Befürworter von Mitte, GLP, SP und Grünen betonen demgegenüber, auch ein neutraler Staat müsse Farbe bekennen, wenn Menschenrechte verletzt würden.