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Harsche Kritik der Aufsicht
Bundesrat machte in Crypto-Affäre so ziemlich alles falsch

Insbesondere das Departement von Bundesrat Guy Parmelin wird kritisiert.
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Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) mischt sich in eines der sensibelsten Schweizer Strafverfahren ein. Die parlamentarischen Aufseher über den Nachrichtendienst wollen den Bundesrat auffordern, die Bundesanwaltschaft bei den Ermittlungen im Nachgang der Crypto-Affäre zurückzupfeifen.

In einer Empfehlung verlangt das Kontrollgremium des Parlaments etwas Ungewöhnliches: dass die Landesregierung ihre Ermächtigung zur Untersuchung möglicher Verstösse gegen das Güterkontrollgesetz zurückzieht. Damit müsste die Bundesanwaltschaft ihr Verfahren im Nachgang der wohl grössten Spionageoperation, die je über die Schweiz lief, einstellen.

Vor dem Hintergrund der Gewaltentrennung wirkt das Ansinnen speziell: Die Legislative verlangt von der Exekutive, dass sie die Justizbehörde bei Ermittlungen stoppt. Die GPDel sieht sich dazu befähigt, nachdem sie seit dem Frühjahr eine Inspektion durchgeführt hatte.

Schweiz spionierte mit

Im Februar waren erstmals hieb- und stichfeste Beweise aufgetaucht, dass die amerikanische CIA und früher der deutsche Bundesnachrichtendienst über die Zuger Crypto AG unsichere Verschlüsselungstechnik in die halbe Welt verkauft hatten. So konnten die involvierten Dienste über Jahrzehnte geheime Kommunikation abhören und dank den Erkenntnissen die Zeitgeschichte beeinflussen.

Beim Auffliegen verfolgten der Bundesrat und vor allem das Wirtschaftsdepartement Guy Parmelins, das WBF, ein Ziel: Sicherstellen, dass der gute Ruf der Schweiz als Technologiestandort und die Neutralität des Landes keinesfalls weiterhin in ähnlicher Weise missbraucht wird.

Krux Nummer eins an der Sache: Die CIA war bereits 2018 in Zug ausgestiegen. Krux zwei: Auch der Schweizer Nachrichtendienst und die Kryptologen der Armee hatten jahrzehntelang als Juniorpartner der Amerikaner von den Spionagemöglichkeiten über knackbare Crypto-Technologie profitiert (diese Enthüllungen lesen Sie hier).

Dennoch schritten die Bundesbehörden gleich fünffach ein:

1. Das WBF sistierte die Generalausfuhrbewilligung für die Crypto International AG, eines der Nachfolgeunternehmen.

2. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erstattete Strafanzeige gegen unbekannt wegen mutmasslicher Verstösse gegen das Güterkontrollgesetz.

3. Der Bundesrat erteilte der Strafverfolgung die Ermächtigung, die es in solchen Fällen braucht.

4. Die Bundesanwaltschaft nahm Ermittlungen auf und beschlagnahmte Geräte bei der Crypto International.

5. Der Bundesrat schob dessen Einzelausfuhrgesuche auf die lange Bank.

Besitzer wehrt sich energisch

Bern wollte auf Nummer sicher gehen – und verunmöglicht so dem neuen Besitzer Andreas Linde seit Anfang Jahr das Geschäft. Der Schwede, ein intimer Kenner der Verschlüsselungsbranche, war 2018 am Zugersee eingestiegen, obwohl sich zuvor Hinweise auf die jahrzehntelange Beherrschung der früheren Crypto AG durch US-Geheimdienste verdichtet hatten. Nun wehrte er sich mit allen Mitteln, unter anderem mit der PR-Agentur Furrerhugi, gegen die Berner Restriktionen, und er kündigte an, er müsste die Belegschaft entlassen.

Doch nun könnte sich alles wieder ändern. Die GPDel empfiehlt nämlich auch, die Exportgesuche der Crypto International wieder zu behandeln und zu bewilligen, sofern keine rechtlichen Hindernisse bestehen.Das Kontrollgremium – bestehend aus drei Mitgliedern des National- und Ständerats – übt unverblümt Kritik am Bund, wobei insbesondere Parmelins Departement sein Fett abbekommt:

– Die Sistierung der Generalausfuhrbewilligung, gefällt vom WBF nach Rücksprache mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) und dem Verteidigungsdepartement, habe offenbar das Ziel gehabt, eine für Parmelins Departement ungünstige Medienberichterstattung zu vermeiden. Sie sei materiell und rechtlich nicht gerechtfertigt.

– Das Seco habe, gestützt vom Wirtschaftsdepartement, gegenüber der Crypto International eine Hinhaltetaktik betrieben. Gegen die Erteilung der Einzelausfuhrgesuche lägen gar keine rechtlichen Gründe vor.

– Die Strafanzeige des Seco stütze sich auf eine «unsorgfältig erstellte Faktenlage» und eine «mangelhafte rechtliche Argumentation». Das Staatssekretariat habe sich nicht mit anderen sachverständigen Bundesstellen ausgetauscht.

– Das Wirtschaftsdepartement habe ungeprüft das Argument übernommen, es bestehe rechtlich eine Anzeigepflicht. Die Anzeige sei «offensichtlich aus politischen Gründen» erfolgt, weshalb sie nicht vom Seco, sondern vom Departement hätte eingereicht werden müssen. Die GPDel sieht in der Strafanzeige «offensichtlich einen Versuch, sich der politischen Verantwortung zu entledigen, indem die Bewältigung des Falls Crypto der Justiz überlassen wurde». Das Güterkontrollrecht sei dazu kein geeignetes Mittel.

– Die Bundesanwaltschaft riet dem Seco von einer Anzeige ab, eröffnete dann doch ein Verfahren und ersuchte das Justizdepartement um die notwendige Ermächtigung. Der Bundesrat erteilte diese Ermächtigung am 19. Juni.

– Gleichentags entschied die Landesregierung, die Behandlung der Ausfuhrgesuche der Crypto International bis zu einem Entscheid der Bundesanwaltschaft auszusetzen. Interessant ist, dass das Wirtschaftsdepartement dies nicht mehr tun wollte. Vielmehr war es zuvor auf die Meinung umgeschwenkt, dass die Gesuche bewilligt werden sollten. Der Bundesrat ist aber der Ansicht, dass er nicht parallel ein Strafverfahren erlauben und die Ausfuhr möglicherweise beschlagnahmter Geräte erlauben kann. Im erneuten Aufschub der Gesuchsbehandlung sieht die GPDel einen Verstoss gegen Treu und Glauben. Jedes Schweizer Unternehmen dürfe mit einer speditiven Behandlung seiner Exportgesuche rechnen, finden die Kontrolleure.

Die Geschäftsprüfungskommission soll den Inspektionsbericht ihrer Delegation nun bis Dienstagnachmittag zur Publikation freigeben. Gespannt sein darf man auf die Reaktion des Bundesrats auf die harsche Kritik.