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Bundesgericht hebt Urteil teilweise auf
Seefeld-Mord: Obergericht muss nochmals ran

Das Bundesgericht bestätigte die lebenslange Freiheitsstrafe für Tobias K. 2022 (vorne).
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Am 28. Juni 2016 ging beim Zürcher Kantonsrat ein Schreiben ein. Darin wurde die Regierung aufgefordert, den wegen mehrfacher qualifizierter Erpressung verurteilten und in der Strafanstalt Pöschwies einsitzenden Litauer Irvidas M. am Folgetag bis spätestens 9 Uhr auf freien Fuss zu setzen.

Werde die Forderung nicht erfüllt, werde an jedem folgenden Tag bis zur Freilassung des Mannes irgendwo in der Schweiz ein Mensch umgebracht. Erstes Opfer sei Tobias K.. Tatsächlich war auf einem beiliegenden Foto Tobias K. zu erkennen. Gefesselt, geknebelt und mit blutendem Kopf lag er auf einem Kellerboden.

Zufallsopfer ermordet

Doch Tobias K. hatte das Bild bloss inszeniert. Er war nicht Opfer einer Entführung geworden, sondern – wie sich später herausstellte – Absender des Erpresserbriefes gewesen. Der Wahnsinn kostete einen Menschen aber tatsächlich das Leben. Tobias K. ermordete nämlich am 30. Juni 2016 im Zürcher Seefeldquartier den ihm völlig unbekannten Marco S. mit mehreren wuchtigen Messerstichen. Der 41-jährige IT-Fachmann, der auf einer Mauer sitzend eine E-Zigarette geraucht hatte, war ein Zufallsopfer.

Tobias K. wurde vom Obergericht im August letzten Jahres wegen Mordes und weiterer Delikte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Erfolglos wehrte er sich vor Bundesgericht gegen diese Qualifikation. Sowohl das Tatmotiv – die Tötung als Druckmittel zur erpressten Freilassung – als auch die Tatausführung – «zahlreiche Messerstiche erhöhen die Abscheulichkeit der Tat» – seien besonders verwerflich, bestätigte das Bundesgericht den Schuldspruch.

Im Knast kennen gelernt und Freunde geworden

Das Obergericht hatte gleichzeitig auch Irvidas M. unter anderem wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 17¼ Jahren verurteilt. Obwohl der Mann zur Tatzeit im Gefängnis in Isolationshaft sass, sei er als Mittäter zu verurteilen. Er sei die treibende Kraft gewesen. Er und Tobias K. hätten die Tötung gemeinsam geplant, wenn die Regierung auf die geforderte Freilassung nicht eingeht.

Nun muss das Obergericht das Urteil für Irvidas M. (stehend rechts und oben rechts) neu prüfen.

Wie kam das alles zusammen? Der Litauer sass in der Pöschwies eine achtjährige Freiheitsstrafe ab, weil er im Frühjahr 2012 einen bekannten Industriellen um 50 Millionen Franken und die Stadt Zürich um 100 Millionen Franken erpresst hatte. Im Gefängnis lernte er Tobias K. kennen, der dort eine fünfjährige Strafe wegen Gewaltdelikten, unter anderem räuberische Erpressung, absass.

Auf Hafturlaub untergetaucht

Es gelang dem Litauer, dem 29-jährigen Schweizer eine verrückte Geschichte aufzutischen, die frei erfunden, aber doch nicht so verrückt war, dass Tobias K. sie nicht glauben konnte. Ein Hacker aus England habe Datenfiles, welche die Industriellenfamilie schwer belasten würden. Um an die Unterlagen zu kommen, habe der Industrielle seine Familie bedroht. Seine Ehefrau sei bereits entführt, von der Polizei aber wieder befreit worden.

Die Geschichte fiel bei K. auf fruchtbaren Boden. Denn ausgerechnet er hatte wegen seiner Mutter auch ein Problem mit dem Industriellen. Wären die beiden in Freiheit, würden sie eine Lösung für dieses Problem finden, könnten sich am Industriellen rächen und ihn weiter erpressen, kamen die inzwischen engen Freunde überein.

Gemeinsam entwarf man den Erpresserbrief, den Tobias K. absenden konnte, weil er, wie geplant, am 23. Juni Hafturlaub erhielt. Am Abend kehrte er aber nicht ins Gefängnis zurück, sondern tauchte unter und ermordete eine Woche später einen unbeteiligten IT-Fachmann.

Ein Mittäter muss nicht am Tatort sein

War aber auch die Tötung eines Menschen gemeinsam geplant worden? Nein, meinte das Bezirksgericht und verurteilte den Litauer wegen Anstiftung zu Mord zu einer Freiheitsstrafe von 16½ Jahren. Ja, meinte das Obergericht. Der 43-Jährige sei nicht Anstifter, sondern Mittäter.

Um als solcher verurteilt zu werden, müsse man bei der Tatausführung nicht anwesend sein. Der Litauer habe den Tod des Zufallsopfers gewollt. «Das blosse Wollen einer Tat», so das Bundesgericht, genüge aber nicht, um bereits Mittäter zu sein. Dafür müsse jemand «bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Deliktes in massgeblicher Weise mit anderen Tätern zusammenwirken, sodass er als Hauptbeteiligter dasteht».

Über die Tötung sei nicht gesprochen worden

Das kann dem Litauer laut Bundesgericht nicht nachgewiesen werden. Tobias K. hatte in der Strafuntersuchung gesagt, über das konkrete Tötungsdelikt sei nicht gesprochen worden. Er hatte «daher autonom» entschieden, ob, wie und wo er die Todesdrohung aus dem Erpresserschreiben umsetzt.

Wenn Irvidas M. damit einverstanden war oder sogar selber die Idee gehabt hat, dass im Erpresserschreiben der Tod einer unbeteiligten Person in Aussicht gestellt wird, macht er sich der Nötigung, aber nicht des Mordes schuldig.

Harte Strafen auch für Anstifter möglich

Nachdem der Litauer zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wurde, muss das Obergericht prüfen, ob er sich der Anstiftung zu Mord strafbar gemacht hat. Sollte er als Anstifter verurteilt werden, dürfte dies nur marginale Auswirkungen auf die Strafe haben.

Denn der Anstifter wird laut Strafgesetzbuch nach der gleichen Strafandrohung bestraft, die auf den eigentlichen Täter angewendet wird. Der Strafrahmen beträgt in diesem Fall zehn Jahre bis lebenslänglich.