Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Nominierte auf der Shortlist
Wer wird den Schweizer Buchpreis 2024 gewinnen?

Ihre Bücher gehen ins Rennen um den Schweizer Buchpreis 2024: Béla Rothenbühler, Michelle Steinbeck, Martin R. Dean, Zora del Buono und Mariann Bühler (von links nach unten rechts).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Endlich eine Überraschung auf der Shortlist. Nach zehn Jahren ist wieder ein Mundartroman nominiert, womit vermutlich niemand gerechnet hat. Vor zehn Jahren Guy Krneta, dieses Jahr Béla Rothenbühler. Nächsten Sonntag wird bekannt, welches deutschsprachige Werk 2024 im Rahmen der «Buch Basel» mit 30’000 Franken ausgezeichnet wird.

Vielleicht das erfreulich geglückte Debüt von Mariann Bühler? Oder der viel besprochene Roman von Zora del Buono, mit dem sie auch auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand? Die Jury findet jedenfalls, alle fünf Bücher verbinde die Suche nach einer neuen Sprache für existenzielle Krisen und Fragen der Zeit.

Zora del Buono: «Seinetwegen»

Schriftstellerin Zora del Buono Portraitiert am Mittwoch, 23. Oktober 2024 in Zuerich. Tora del Buono ist mit ihrem Roman, «Seinetwegen» (C.H. Beck Verlag) fuer den Schweizer Buchpreis 2024 nominiert.  (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Mit Ketchup im Gesicht spielt sie die Überlebende eines Autounfalls. Es ist die Idee des Pfarrers, der vor der Firmung einen Kurzfilm mit den Kindern drehen will. Da ist Zora del Buono 14 Jahre alt und sitzt ausgerechnet im VW Käfer des Pfarrers. Es ist dasselbe Modell, in dem ihr Vater zu Tode kam. Sie war 8 Monate alt, er wurde 33. Wer hat ihn totgefahren?, fragt die Autorin in ihrem autofiktionalen Roman «Seinetwegen». Der Vater ist die Leerstelle im Leben der Tochter und ihrer alleinerziehenden Mutter. Sie, eine junge Witwe, wurde nie zum Essen eingeladen, weil durch sie die Tischordnung durcheinandergeriet.

Zora del Buono hat den «Töter» gesucht, angetrieben von der Frage, wie kann einer weiterleben, der sich schuldig gemacht hat? Aus ihrer Recherche wurde ein Roman. Und sie erzählt, was der Verlust, kaum selbst erlebt, in ihr angerichtet hat. In der Liste der eigenen Deformationen steht: «Irritation, wenn Menschen von tragischen Schicksalsschlägen sprechen, die eigentlich keine sind, zum Beispiel das Sterben greiser Eltern.» Zwischen die Familienrecherche flicht del Buono die Zeitgeschichte. Zusammen ergibt das ein bewegendes Dokument in glasklarer Sprache. Diese Aufarbeitung kommt ganz ohne Sentimentalitäten aus. (zuk)

Gewinnchancen: hoch

Zora del Buono: Seinetwegen. C. H. Beck, 2024. 204 S., ca. 33 Fr.

Béla Rothenbühler: «Polifon Pervers»

Bela Rothenbuehler fotografiert im Kleintheater Luzern, am Donnerstag, 26. September 2024. Bela Rothenbuehler ist mit seinem Buch "Polifon Pervers", erschienen bei Der gesunde Menschenversand, fuer den CH-Buchpreis 2024 nominiert.

Er ist die diesjährige Shortlist-Überraschung! Der Luzerner Autor Béla Rothenbühler erfindet in seiner Satire auf den Kulturbetrieb den Verein «Polifon Pervers», gegründet von Chantal und Sabine. Die zwei Frauen sind richtig gut darin, Stiftungen, Förderprogramme und Firmen auszunehmen, indem sie überzeugende Anträge einreichen und Gelder in die eigene Tasche wirtschaften. Das Business der zwei wird dann unübersichtlich, als die eine Hochstaplerin obendrauf auch noch das Drogengeld der Dealer wäscht, die die Schweizer Clubkultur mit Stoff versorgen.

Es geht um «Konscht» und um «Onderhaltig» und natürlich um Geld. Und darum, was einem Kunst und Unterhaltung überhaupt noch wert sind. Der zweite Roman von Rothenbühler auf Luzerner Deutsch ist ein moderner Schelmenroman mit wunderbaren Spitzen und Pointen, die leider immer wieder von dialektalen Eigenheiten ausgebremst werden, denn ja, das Lesen der Mundart fordert ganz schön viel Geduld ein. Die Spannung des Plots rettet es aber, damit man in der Mitte des Buches nicht aufgibt. (zuk)

Gewinnchancen: gut

Béla Rothenbühler: Polifon Pervers. Der gesunde Menschenversand, 2024. 220 S., ca. 27 Fr.

Martin R. Dean: «Tabak und Schokolade»

Martin R. Dean, ist mit seinem Roman «Tabak und Schokolade» (Atlantis Verlag) fuer den Schweizer Buchpreis 2024 nominiert, portraitiert am Mittwoch, 9. Oktober 2024 in Basel. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Dean ist lange präsent in der Schweizer Literatur, sein Debüt datiert von 1982. Seine Lebensgeschichte, als Sohn eines Vaters aus Trinidad und einer Schweizerin aus dem Aargau, hat er bereits mehrfach literarisch gestaltet (unter anderem in «Meine Väter»). Nun geht er sie umweglos autobiografisch an. Nach dem Tod der Mutter geht er beim Erbe leer aus, kommt aber in den Besitz eines Fotoalbums, das unbekannte Bilder seiner frühen Kindheit in den Tropen zeigt und Mitglieder seiner westindischen Verwandtschaft. So wird er «ärmer und reicher zugleich»: Er reist nach Trinidad, findet Cousins und Grosstanten, eine bunte, aufgeschlossene Truppe und viele Geschichten.

Er liest sich in die Vorgeschichte ein, lernt die Lebensbedingungen der indischen Kontraktarbeiter kennen, die kaum besser als Sklaven gehalten wurden, und kehrt im dritten Teil des Buches ins aargauische Wynental zurück, wo er aufwuchs, im «Tabakhaus» bei den Grosseltern. Immer mehr schält sich das Ziel der autobiografischen Unternehmung Deans heraus: die von der Familie verdrängte karibische Vergangenheit wiederherzustellen. Die Mutter hatte ihre letzten Lebensjahre mit einem Rassisten verbracht, auf ihrer Beerdigung wurde die Zeit in Trinidad unterschlagen, der Sohn damit im Prinzip auch. Mit diesem Buch setzt er einen Kontrapunkt und schliesst eine Lücke, nicht nur im Stammbaum. (ebl)

Gewinnchancen: Nicht allzu hoch

Martin R. Dean: Tabak und Schokolade. Roman. Atlantis bei Kampa, Zürich 2024. 220 S., ca. 32 Fr.

Mariann Bühler: «Verschiebung im Gestein»

ZUR NOMINATION VON MARIANN BUEHLER MIT DEM SCHWEIZER BUCHPREIS 2024 UND DEM TEXT DER KEYSTONE-SDA KULTUR-REDAKTION VON HEUTE STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES, NEUES PORTRAIT ZUR VERFUEGUNG. WEITERE BILDER FINDEN SIE AUF visual.keystone-sda.ch --- Schriftstellerin Mariann Buehler portraitiert am Mittwoch, 9. Oktober 2024, im Basel. Mariann Buehler ist mit ihrem Roman "Verschiebung im Gestein" (Atlantis Verlag) fuer den Schweizer Buchpreis 2024 nominiert. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Gehen oder bleiben? Dieses urschweizerische Literaturdilemma prägt auch die Protagonisten im Romandebüt der Literaturveranstalterin Mariann Bühler. Da ist Elisabeth, die nach dem Tod ihres Mannes dessen Bäckerei übernimmt. Da ist Alois, der vom elterlichen Bauernhof übernommen wird. Und da ist die Erzählerin (wie sich am Schluss herausstellt), eine mit «Du» angeredete Figur, die ins Dorf ihrer Kindheit und dann ins Tessiner Ferienhaus zurückkehrt, das sie erben soll. Alle drei stehen an einer Schwelle. Sie müssen sich entscheiden, das, was ihnen zugefallen ist, anzunehmen, oder neu anzufangen.

Das verbindet die drei, ausserdem das Dorf und die Figur Ruth, Tochter Elisabeths, Beinahe-Gefährtin von Alois, Kindheits-Quälgeist der Erzählerin. Dazwischengeschaltet kurze Texte über Verschiebungen in geologischen Zeiträumen. Wenn eine Platte aus Afrika ins Tessin gelangt, warum kann ein Mensch nicht ganz neue Wege gehen?

Mariann Bühlers Debüt ist lange gereift, seine Sprache ist sorgfältig, sie lässt sich auf den begrenzten Lebenskreis der Personen, ihr weiter ausgreifendes Bewusstsein ein. Sie folgt den Gesetzen des Handelns, denen sie unterworfen sind, und ist doch alles andere als tümelnd. Ein schönes, stilles Buch, für ein Debüt erfreulich geglückt. (ebl)

Gewinnchancen: Eher gering

Mariann Bühler: Verschiebung im Gestein. Roman. Atlantis bei Kampa, Zürich 2024. 202 S., ca. 32 Fr.

Michelle Steinbeck: «Favorita»

Michelle Steinbeck, ist mit ihrem Roman «Favorita» (Park X Ullstein Verlag)  fuer den Schweizer Buchpreis 2024 nominiert, portraitiert am Mittwoch, 9. Oktober 2024 in Basel. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Michelle Steinbeck erzählt auf knapp 500 Seiten von Femizid, Machokultur und Neofaschismus. (Um direkt mit den harten Themen aufzuschlagen.) Erzählerin Fila erfährt, dass ihre Mutter, die, freundlich formuliert, ein Mysterium war oder hauptsächlich abwesend, gestorben sei. Der «Schrumpfleber» einer Trinkerin erlegen. Dann sagt eine unbekannte Frau am Telefon, die Mutter sei ermordet worden. Die Tochter reist nach Neapel und ermittelt in eigener Sache.

Steinbeck erzählt über weite Strecken einen waghalsigen Roadtrip zwischen Misogynie und Patriarchat und, auch wenn man nicht vergleichen sollte, erinnert an Elena Ferrante. Nur leider sprechen die Figuren von der Mitte des Romans an weniger miteinander, vielmehr lässt die Autorin ihr Personal nur noch referieren. Trotzdem ist Steinbeck zu Recht zum zweiten Mal nominiert. Mit einem sprachlich luziden und eigenständigen Roman, dem aber mindestens 150 Seiten weniger besser gestanden hätten. (zuk)

Gewinnchancen: Gut

Michelle Steinbeck. Park x Ullstein, Berlin 2024. 464 S., ca. 33 Fr.