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Korruptionsskandal in Brüssel
Polizei durchsucht EU-Parlament

In ihrer Wohnung in Brüssel sollen «Säcke mit Bargeld» gefunden worden sein: Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili. (Archivbild) 
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Im Zuge der Ermittlungen zum Korruptionsskandal im EU-Parlament haben belgische Fahnder am Montag Räumlichkeiten des Parlamentsgebäudes in Brüssel durchsucht. Dabei sollten Daten elektronischer Geräte aus den Büros von zehn Abgeordneten sichergestellt werden, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola kündigte eine interne Untersuchung an. Die Vorgänge, die mit dem Fussball-WM-Gastgeberland Katar in Zusammenhang stehen, seien ein «Angriff auf die europäische Demokratie».

Wie die Staatsanwaltschaft am Montag weiter mitteilte, sollen die griechische Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili und drei weitere Beschuldigte, die sich seit Sonntag in Untersuchungshaft befinden, am Mittwoch erstmals zu einer gerichtlichen Anhörung erscheinen. Ihnen wird «Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption» vorgeworfen.

Katar soll mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht haben, Entscheidungen des Europaparlaments zu beeinflussen. Der Golfstaat, der derzeit die Fussballweltmeisterschaft ausrichtet, steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage im Land massiv in der Kritik.

20 Durchsuchungen seit Freitag 

Wie die Ermittler in Brüssel weiter mitteilten, waren die bei der Durchsuchung im Parlament am Montag zu beschlagnahmenden Geräte bereits am Freitag «eingefroren» worden, um ein «Verschwinden für die Ermittlungen nötiger Daten» zu verhindern. Seit Freitag sei bei insgesamt 20 Durchsuchungen Bargeld in Höhe von 600’000 Euro beschlagnahmt worden. Mehrere Hunderttausend davon hätten sich in einem Koffer in einem Brüsseler Hotelzimmer befunden, 150’000 in der Wohnung eines Mitglieds des Parlaments.

Parlamentspräsidentin Metsola erklärte, sie empfinde angesichts des Vorgangs «Wut, Ärger und Traurigkeit». Im Rahmen einer internen Untersuchung würden nun «alle mit dem Parlament zusammenhängenden Vorgänge untersucht», eine Reform der Parlamentsarbeit sei anzustreben, sagte die Präsidentin.

«Böswillige, mit autokratischen Drittstaaten verbundene Akteure» hätten mutmasslich Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften sowie Europaabgeordnete und deren Mitarbeiter «als Waffe eingesetzt, um unsere Verfahren zu untergraben», erklärte Metsola.

Abstimmung über Entlassung wird vorbereitet

Bei der ersten Plenarsitzung im EU-Parlament seit Bekanntwerden des Skandals sagte Metsola in Strassburg, die Integrität des Parlaments würde wiederhergestellt. Es finde gerade ein «Angriff» auf das Europäische Parlament und «unsere freien und demokratischen Gesellschaften» statt.

Metsola hatte ihrer inhaftierten Stellvertreterin Kaili bereits die Befugnisse als Vizepräsidentin entzogen. Am Dienstag sollen die Vorsitzenden der Fraktionen im EU-Parlament zusammentreten, um eine Abstimmung über ihre formelle Entlassung vorzubereiten.

Metsola gab weiter bekannt, dass die Verhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten über Visa-Erleichterungen für Bürger aus Katar nun ausgesetzt seien. Der zuständige Ausschuss im Parlament sowie die Mitgliedsländer hatten sich bereits grundsätzlich dafür ausgesprochen, dass sich Bürger aus Katar und Kuwait bis zu 90 Tage lang ohne Visum in der EU aufhalten dürfen.

Baerbock fordert «restlose Aufklärung»

Der Korruptionsskandal hat EU-weit Bestürzung ausgelöst: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Vorwürfe gegen die Vize-Parlamentspräsidentin Eva Kaili als «sehr schwerwiegend» und regte ein neues Ethikgremium für alle EU-Institutionen an. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte nach Angaben seines Sprechers «entsetzt».

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen äusserte sich besorgt über die Vorgänge und forderte Konsequenzen. Die EU brauche «die höchsten Standards» bei Unabhängigkeit und Integrität, sagte sie. «Meiner Meinung nach wäre es richtig, dass wir ein Ethikgremium einrichten», wie es die EU-Kommission bereits habe. Auch der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell nannte die Anschuldigungen gegen Kaili «sehr, sehr besorgniserregend».

Der deutsche Kanzler Scholz nahm die Berichte über den Skandal nach Angaben seines Sprechers «mit dem erwartbaren Entsetzen» zur Kenntnis, «dass so etwas offenbar möglich ist». Sollten sich die Berichte bestätigen, wäre dies «ein sehr ernster Vorgang».

Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock sprach in Brüssel von einem «unglaublichen Vorfall». Sie forderte eine «restlose Aufklärung» und «mit der vollen Härte des Gesetzes». Es müssten «in unterschiedlichen Bereichen Konsequenzen folgen», sagte sie. In dem Fall gehe es «um die Glaubwürdigkeit Europas». Im Gespräch ist etwa ein Aufschub der geplanten Visa-Erleichterungen für Katar.

Seitenhieb von Orban 

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat sich angesichts des Korruptionsskandals unverhohlen schadenfroh gezeigt. «Willkommen im Europäischen Parlament», schrieb Orban am Montag im Onlinedienst Twitter. «Und da haben sie gesagt, dass sie sehr besorgt über die Korruption in Ungarn seien», schrieb der rechtsnationale Staatschef weiter. Er fügte seiner Twitter-Botschaft ein Foto aus dem Jahr 1981 hinzu, auf dem die früheren US-Präsidenten Ronald Reagan und George Bush zu sehen sind, wie sie lauthals lachen.

Orbans Seitenhieb erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Ungarn im Streit mit der EU-Kommission um Rechtsstaatsprobleme und Reformen zur Korruptionsbekämpfung der Entzug von insgesamt mehr als 13 Milliarden Euro droht. Das EU-Parlament fordert die Kommission regelmässig auf, gegenüber Ungarn eine harte Linie zu vertreten.

Die griechischen Behörden froren im Zuge des Skandals sämtliche Vermögenswerte der sozialdemokratischen Politikerin Kaili ein. Betroffen seien «Bankkonten, Schliessfächer, Firmen und alle anderen Vermögenswerte», teilte der Leiter der griechischen Anti-Geldwäsche-Behörde, Haralambos Vourliotis mit. Die Massnahme gelte auch für Kailis Angehörige.

Nur die Spitze des Eisbergs?

Am Montag wurden Befürchtungen laut, der Skandal könnte weitere Kreise ziehen. «Es ist wahrscheinlich, befürchte ich, sogar nur die Spitze des Eisbergs, was wir hier zu sehen bekommen haben», sagte der deutsche EU-Abgeordnete René Repasi dem Sender SWR.

Vor allem der griechische Vizekommissionspräsident Margaritis Schinas ist in den Fokus gerückt: Der für die «europäische Lebensart» und Migration zuständige Kommissar hatte Katar gemeinsam mit Kaili zur Eröffnung der Fussball-Weltmeisterschaft im November besucht und Regierungsmitglieder getroffen. In einem Tweet schrieb er, Katar habe «beträchtliche und greifbare Fortschritte bei den Arbeitsreformen erzielt, die auch nach der Fussballweltmeisterschaft 2022 fortgesetzt und wirksam umgesetzt werden müssen».

Von der Leyen antwortete am Montag auf Fragen nach einer möglichen Verwicklung ihrer EU-Kommission in den Skandal ausweichend. «Wir haben sehr klare Regeln für alle Kommissare und schauen uns das an», sagte sie.

AFP/sep