Genferin Nikita DucarrozBMX rettete ihr Leben – jetzt hat sie eine Olympiamedaille
Genferin Nikita Ducarroz
Bei der Premiere des BMX Freestyle glänzt die Schweiz: Die 24-jährige Nikita Ducarroz gewinnt Bronze.
Die Spannung war unerträglich. Nikita Ducarroz musste nach ihrem Sturz im zweiten Lauf warten, ob die Amerikanerin Perris Benegas noch an ihr vorbeiziehen und sie vom Podest verdrängen würde. Denn im Gegensatz zur Qualifikation zählte diesmal nur der bessere Run.
Es dauerte Minuten, bis die fünf Kampfrichter ihr Urteil gefällt hatten. Dann die Erlösung aus Schweizer Sicht: Ducarroz bleibt dank ihres ersten Laufs um hauchdünne 0,7 Punkte vor der Amerikanerin: 89,20 gegenüber 88,50. Gold gewann dank eines perfekten zweiten Laufs die Britin Charlotte Worthington, die mit ihren 97,50 Punkten noch die amerikanische Favoritin Hannah Roberts überholte.
Im Interview mit SRF war die Schweizerin erleichtert: «Ich hatte Angst, dass sie mich noch überholen würde. Ich konnte ja nicht noch einen weiteren Lauf absolvieren. Jetzt bin ich sehr zufrieden.» Es habe «sehr, sehr viel Arbeit» gebraucht, um diesen Tag zu erreichen, sagte sie in fliessendem Französisch, mit leichtem amerikanischen Akzent.
Sie hätte auch für die USA starten können
Innerhalb der Schweizer Olympia-Delegation ist Nikita Ducarroz eines der internationalsten Elemente. Die bald 25-jährige Tochter eines Genfers und einer Amerikanerin, geboren in Nizza, ist in den USA aufgewachsen, verbrachte aber einen Grossteil ihrer Ferien in der Schweiz.
Mit der Familie lebt die Doppelbürgerin in Kalifornien. Die Wahl zugunsten der Schweiz sei schwierig gewesen, sagte sie gegenüber «wralsports.com»: «Viele Faktoren haben da hineingespielt, auch, dass die USA schon eine grosse Anzahl starker Fahrerinnen hat.»In den letzten eineinhalb Jahren trainierte Ducarroz in Holly Springs, North Carolina, im grossen Komplex von BMX-Legende Daniel Dhers.
Trotz Coronaeinschränkungen fand die kleine Gruppe dort optimale Bedingungen vor. Bald dürfte in North Carolina übrigens ein grosses Fest steigen: Der gebürtige Venezolaner Dhers gewann eine Stunde nach Ducarroz in der Männer-Konkurrenz sogar Silber.
Zuerst der Fussball, dann die Panik
Die erste sportliche Liebe hatte bei Ducarroz nicht dem BMX gehört. Als kleines Mädchen spielte sie Fussball, war ein grosses Talent, und wollte in dieser Sportart zu den Olympischen Spielen. Doch dann begann der Leidensweg der Teenagerin. Mit 14 litt sie an Panikattacken, getraute sich kaum mehr aus dem Haus, schon der Gang zum Supermarkt wurde zum Horrortrip. «Ich hatte immer Angst und bin kaum mehr rausgegangen», sagt sie.
Fussball spielt sie nicht mehr, auf Youtube-Videos stösst sie auf BMX Freestyle. Die Sportart, in der es darum geht, fehlerfrei verschiedene Tricks zu zeigen, fasziniert sie. Begriffe wie «backflip», »no-hander» oder Drehungen um 360 oder 540 Grad sind bald kein Fremdwort mehr.
Sie übt zuerst alleine daheim, in der Auffahrt, dann habe sie allen Mut zusammengenommen und sei erstmals in einen Park gegangen. Sofort fühlt sie sich zu Hause: Die kunterbunte Mischung unterschiedlicher Charaktere gefällt ihr. Sie geht immer häufiger, findet Freunde fürs Leben. Heute sagt sie: «BMX hat mir das Leben gerettet.»
Bald stellen sich Fortschritte ein, seit 2019 sind diese eklatant: Vor der Coronapandemie hatte sie Platz 4 im Gesamtweltcup und Platz 5 an der WM belegt. In diesem Juni zeigte sie mit WM-Silber in Montpellier, dass mit ihr auch auf der höchsten Bühne zu rechnen sein wird.
Im Park wird Ducarroz kaum nervös, sie zählt zu den mental stärksten Athletinnen, ist selbstbewusst, lacht viel. «Bei Wettkämpfen bin ich angespannt, wie andere auch. Einen speziellen Druck verspüre ich aber nicht.»
An ihre Vergangenheit wird sie jedoch immer wieder erinnert, zuletzt auch vor dem Flug aus den USA in die Schweiz, den sie vor der Reise nach Tokio unternahm, um sich im Winterthurer Skillspark den Feinschliff zu holen. Panik, schweissnasse Hände, das volle Programm. Schliesslich behält aber wie so oft ihr Wille die Oberhand gegenüber der Angst.
Die Sportlerin Nikita Ducarroz hat sich längst Anerkennung verschafft. Auf Instagram hat sie über 56’000 Follower, die bei ihren waghalsigen Kunststücken applaudieren. Sie will ihre Bekanntheit aber über den Sport hinaus nützen, will anderen helfen bei den wirklichen Problemen des Lebens. Zusammen mit einem Freund hat sie die Internet-Plattform «m1ndtricks» ins Leben gerufen, in der vor allem mentale Probleme im BMX-Sport thematisiert werden.
Über ihre Probleme offen zu sprechen, habe aber auch einen therapeutischen Effekt, sagte sie 2020 gegenüber der offiziellen Olympia-Website: «Meine Ängste haben sich dadurch verringert. Wenn es für mich geklappt hat, kann es dies auch für andere tun. Wichtig ist, dass man diese Probleme nicht stigmatisiert und keine Angst hat, darüber zu sprechen.»
Belinda Bencics langer Weg nach Tokio – unsere exklusive Olympia-Doku
Wir haben die beste Schweizer Tennisspielerin vor den Olympischen Spielen 2021 zwei Jahre lang eng mit der Kamera begleitet. Hier geht es zu Bencics Geschichte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.