Pro und KontraBraucht die Schweiz wirklich neue Kampfjets?
Die Flotte der Schweizer Luftwaffe ist in die Jahre gekommen. Doch ist die Beschaffung neuer Flugzeuge für sechs Milliarden Franken wirklich nötig? Die Frage treibt auch die Redaktion um.
Ja
Die Luftwaffe ist überlebensnotwendiger Bestandteil einer gesamtheitlichen Armeekonzeption. Deshalb verdient die Vorlage vom 27. September über den Kauf neuer Kampfjets für sechs Milliarden Franken ein Ja. Wer Bevölkerung und Soldaten am Boden nicht vor Angriffen aus der Luft schützen kann, gefährdet in der Krise Menschenleben. Für einen glaubwürdigen Schutz in der Luft braucht es zukunftsfähige Kampfjets, von denen eine abschreckende Wirkung ausgeht. Die mit drei Milliarden deutlich günstigeren Jet-Trainer, welche die Gegner fordern, können diese Wirkung nicht entfalten, auch wenn sie minimal mit Waffen bestückt sind. Sie sind selbst für Luftpolizeidienste zu langsam und sind im Krisenfall keine Option für eine glaubwürdige Abwehr. Es ist deshalb plausibel, dass für rund 36 moderne Kampfjets sechs Milliarden ausgegeben werden müssen.
«Ein Nein würde zudem die Armee als letzte Sicherheitsreserve der Schweiz zum ungünstigsten Zeitpunkt treffen.»
Die Bundesverfassung gibt der Armee einen klaren Verteidigungsauftrag. Diesen hat sie glaubwürdig zu erfüllen. Ziel einer verlässlichen Verteidigungsfähigkeit ist es, dass Aggressoren gar nicht erst auf die Idee kommen, den Schweizer Luftraum aus eigenem Machtinteresse zu missbrauchen. Aggressoren müssen wissen, dass sich die Schweiz einen solchen Missbrauch nicht gefallen lässt. Dieses Ziel kann mit einer Billigvariante nicht erfüllt werden, weil diese gegen bessere Jets im Kampf chancenlos wäre.
Ein Nein würde zudem die Armee als letzte Sicherheitsreserve der Schweiz zum ungünstigsten Zeitpunkt treffen. Nach Jahren des Abbaus befindet sie sich gerade jetzt in einer Phase des Wiederaufbaus. Dieser Aufbau ist wegen der instabilen Sicherheitslage innerhalb und ausserhalb Europas nötig und könnte bei einem Nein nicht weitergeführt werden.
Die Geschichte zeigt: Militärische Gefahren kommen oft aus dem Nichts. Stellen wir uns zum Beispiel folgendes Szenario vor: In Weissrussland geht der Sturz des Diktators mit einem Systemumbruch einher. Die USA unterstützen den Prozess, doch sie bringen den Weissrussen nicht allein Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern auch moderne militärische Mittel. Russland will deshalb die neuen Nachbarn nicht akzeptieren und ist bereit, zu den Waffen zu greifen. Die weitere Eskalation muss hier gar nicht weiter beschrieben werden – schon so ist erkennbar, dass eine militärische Gefahr auch heute und morgen sehr rasch entstehen kann, quasi vor der Haustür der Schweiz.
Will die Schweiz einem möglichst breiten Spektrum von Gefahren begegnen, kann sie sich nicht allein an tagesaktuellen Bedrohungen orientieren. Die Halbwertszeit gewisser Argumente von Armeegegnern, die wirklichen Gefahren seien andernorts zu orten, sie ist kurz. Gestern führten sie Terror- oder Cybergefahren an, heute die Pandemie. Diese allein gelte es zu bekämpfen, wozu es weder Jets noch Panzer brauche. Das Problem dabei: Aufbrandende, gerade aktuelle Bedrohungen, die im Medienfokus stehen, ersetzen alte Bedrohungen nicht. Die Schweiz aber hat Gefahren umfassend zu begegnen. Dazu gehört auch die Abwehrfähigkeit gegen Attacken aus der Luft.
Nein
Die Debatte um den Kauf neuer Kampfjets wird mit ungewöhnlicher Härte geführt. Von den Gegnern – aber auch von den Behörden. Klar, für die Armee und Bundesrätin Viola Amherd steht viel auf dem Spiel. Die Armee will das Gripen-Debakel von 2014 endlich abschütteln. Die CVP-Magistratin möchte das Verteidigungsdepartement bei Gelegenheit verlassen, doch für einen ehrenhaften Abgang fehlt ihr noch ein zählbarer Erfolg. Den will sie jetzt einfahren.
Hört man Amherd und den vielen durchs Land tingelnden Armeevertretern lange genug zu, gewinnt man den Eindruck, das Stimmvolk entscheide am 27. September nicht über einen 6-Milliarden-Franken-Kredit, sondern über Sein oder Nichtsein der Luftwaffe. Jüngst warnte Amherd im «SonntagsBlick» vor einem Nein: «Die Bevölkerung wäre Angriffen aus der Luft schutzlos ausgeliefert.»
Die Aussage ist inhaltlich dreifach falsch. Erstens können die heutigen F/A-18 mit überschaubarem Aufwand noch 15 Jahre weiterbetrieben werden. Zweitens beschafft der Bund derzeit für zwei Milliarden Franken ein Raketensystem, um Luftangriffe abzuwehren. Drittens bestreiten auch die Gegner des Kampfjet-Kredits nicht, dass die Schweiz für den Luftpolizeidienst und allfällige Verteidigungseinsätze neue Kampfjets benötigt. Schutzlos ausgeliefert? Mitnichten.
«Bereits 20 neue Kampfjets würden reichen, um Luftpolizeidienst und Durchhaltefähigkeit bei Spannungslagen ‹gut sicherzustellen›.»
Das Problem beim vorliegenden 6-Milliarden-Projekt ist, dass es primär den Wünschen und Fantasien der Armeespitze und der Rüstungsindustrie entspricht. Das zeigt sich an zwei zentralen Elementen: an der Zahl der Kampfjets, die gekauft werden soll. Und an den Eigenschaften dieser Jets.
Bundesbern möchte – je nach Typ – rund 40 Kampfjets erwerben. Warum so viele? Die Rüstungsexperten der Armee haben einen Mindeststandard definiert: Im Bedrohungsfall müssen während vier Wochen rund um die Uhr vier Kampfjets in der Luft sein. Unter 40 Jets ist das nicht machbar. Doch ein solches Bedrohungsszenario ist höchst unplausibel. Bereits 20 neue Kampfjets würden reichen, um Luftpolizeidienst und Durchhaltefähigkeit bei Spannungslagen «gut sicherzustellen», wie selbst in VBS-Berichten eingeräumt wird. Das Sparpotenzial ist beträchtlich.
Wie realitätsfern die 6-Milliarden-Beschaffung ist, zeigt sich weiter daran, dass die neuen Kampfjets auch fähig sein sollen, Bodenziele zu attackieren. Etwa Brücken oder Panzer. Nach dem Ende des Kalten Kriegs gab die Politik diese «Erdkampffähigkeit» der Luftwaffe auf. Ein Entscheid, den die Armeespitze nie verdaut hat. Nun will sie diese Verteidigungslücke schliessen. Aber stellen Panzerkriege heute ernsthaft eine Gefahr für die Eidgenossenschaft dar? Und wäre es überhaupt zu verantworten, dass die Armee über der dicht besiedelten Schweiz Bomben abwirft?
Ein Nein zum 6-Milliarden-Kampfjetkauf ist kein Plebiszit zur Auflösung der Luftwaffe. Vielmehr ist es ein Auftrag an das VBS, eine Vorlage auszuarbeiten, die die finanziellen Möglichkeiten des Bundes – zumal in Zeiten von Corona – und die militärische Bedrohungslage besser in Einklang bringt. Ein günstigeres Projekt, das auf die wahren Bedürfnisse der Schweiz zugeschnitten ist.
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