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Meinung

Philipp Loser über präventive Justiz
Brauchen wir härtere Strafen?

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Kein Pardon für Verräter. Als Charles der II. im Mai 1660 wieder auf dem britischen Königsthron sass, rächte er seinen Vater gnadenlos. Alle, die direkt an der Exekution des Königs beteiligt gewesen waren, wurden gehängt, ausgeweidet und gevierteilt.

Es war eine extrem brutale Strafe: Die «Regicides», die Königsmörder, wurden auf einem hölzernen Gatter zum Hinrichtungsplatz geschleift, dort für kurze Zeit gehängt, mit einem Gutsch Wasser wieder ins Leben geholt, damit sie mitbekamen, wie ihnen der Scharfrichter die Geschlechtsteile abschnitt. Danach öffnete er mit einem Messer den Bauch, zog die Innereien und das Herz heraus und verbrannte alles vor den Zuschauern. Die verstümmelten Leichen wurden enthauptet, in vier Teile geschnitten und öffentlich zur Schau gestellt. Zur Abschreckung.

Längst gelten solche Methoden als barbarisch, als überwunden. Dabei funktioniert das moderne Strafsystem in seinen Grundzügen gar nicht so anders. Täter werden oft nicht nur für ihre Tat bestraft - sondern auch für künftige mögliche Taten, präventiv. Damals: Ein enthaupteter Königsmörder wird nie mehr einen König verraten können. Heute: Ein verwahrter Mörder hat nie mehr die Gelegenheit, rückfällig zu werden.  «Das ist der heutige Präventionismus. Es ist eine sterile und vordergründig weniger brutale Form von Handabhacken.»

Wie gehen wir als Gesellschaft mit Tätern um, deren Rückfallgefahr als gross eingestuft wird? Sollen wir sie präventiv bestrafen?  

Das sagt der Strafrechtsprofessor Martino Mona von der Universität Bern. Die Journalistin Susan Boos hat Mona für ihr neues Buch «Auge um Auge - Die Grenzen des präventiven Strafens» interviewt und das Gespräch ist – wie das gesamte Buch – eine Offenbarung.

Das Interview mit Mona kommt gegen Ende, vorher unternimmt Boos, die mehr als zehn Jahre Redaktionsleiterin der «Wochenzeitung» war, eine Recherchereise durch die Gefängnisse der Schweiz, Österreich, Deutschland und der Niederlande. Ihre Leitfrage ist folgende: Wie gehen wir als Gesellschaft mit Tätern um, deren Rückfallgefahr als gross eingestuft wird? Sollen wir sie präventiv bestrafen?  

Laut Mona lassen sich im Strafrecht zwei Konzepte unterscheiden: das Präventionskonzept und das Vergeltungskonzept. Während bei ersterem künftige Taten verhindert werden sollen, wird bei zweiterem ein Schaden, der in der Vergangenheit entstanden ist, durch eine Strafe vergolten. 

Unser heutiges System ist durchdrungen vom Präventionsgedanken. Forensiker ermitteln mit komplizierten Fragebogen, wie hoch das Rückfallrisiko eines Vergewaltigers oder einer Kindsmörderin ist, und auf dieser Grundlage entscheiden wir als Gesellschaft, ob wir das Risiko einer Freilassung auf uns nehmen wollen.

Alle Entwicklungen zeigen dabei in die gleiche Richtung: Nein, wir wollen dieses Risiko nicht auf uns nehmen. Und so werden immer mehr Menschen nach der Verbüssung ihrer Strafe weggesperrt. Sie werden «verwahrt». Die grösste Angst dabei ist, dass jemand freigelassen wird, der in der Zukunft ein Verbrechen begehen könnte. Besser zehn Ungefährliche einsperren als einen Gefährlichen verpassen.

Ist das richtig? Ist das human? Die Antwort von Boos und Mona: wahrscheinlich nicht. Stattdessen plädieren sie für härtere Strafen. «Härter» in ihrem Sinne heisst: Statt Täter, die Abscheuliches getan haben, nach einer kurzen Zeit mit einer «Massnahme» für immer und präventiv wegzusperren, sollen sie nach einer angemessenen Zeit im Gefängnis wieder in die Freiheit entlassen werden. «Härter» heisst also: länger ins Gefängnis - aber mit grösseren Aussichten, irgendwann wieder rauszukommen. 

So ein Vorschlag fühle sich beklemmend an, schreibt Boos, reaktionär gar. «Aber es ist aufrichtiger, als jeder Versuch, präventiv zu strafen. Das Präventive franst aus, immer.» Tatsächlich wirft die Idee viele Fragen auf: Wie kann eine Tat «angemessen» bestraft werden? Wann wird eine Strafe als gerecht empfunden? Vom Opfer? Von den Angehörigen? Vom Täter? Wollen wir als Gesellschaft dieses Risiko tragen? Wie gehen wir als Gesellschaft grundsätzlich mit Risiken um?

Es sind grosse Fragen. Aber genau solche Fragen (und die Diskussion darüber) braucht es manchmal, um als Gesellschaft voranzukommen.

Philipp Loser ist Redaktor des «Tages-Anzeiger» und Kolumnist von «Das Magazin».

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