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Neue Erkenntnisse zu Katzen
Vom geborenen Killer zum umweltverträglichen Büsi

Cat hunting to mouse at home, Burmese cat face before attack close-up. Portrait of funny domestic kitten plays indoor. Look of happy Burma cat preparing to jump. Eyes of playful pet wanting to pounce.
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Ist über Katzen nicht schon alles gesagt?

Keineswegs, schon gar nicht aus Sicht der Wissenschaft. Die Forschung hat ihre Liebe zu «Felis catus», so die wissenschaftliche Bezeichnung für die Hauskatze, spät entdeckt. Insbesondere die Verhaltensbiologie beschäftigte sich jahrzehntelang lieber mit den treuherzigen Hunden – Katzen dagegen galten als undurchschaubar und schwierig und als undankbares Forschungsobjekt. Jonathan Losos, Professor an der Washington University in St. Louis und Evolutionsbiologe mit Weltruf, ist der Mann, der mit diesen Klischees ein für alle Mal aufräumen will: Seine in der englischen Originalversion hochgelobte Evolutionsgeschichte der Katze ist eben in der deutschen Übersetzung erschienen.

Losos, Besitzer eines europäischen Burma-Katers mit Namen Nelson, liefert eine «lesbare und fundierte Erkundung der Wildkatze, die in jedem Stubentiger lauert» («Washington Post»), ab. Das Buch ist auch deshalb so spannend, weil es nicht nur von der Entwicklungsgeschichte der Katze erzählt, sondern gleichzeitig die ganz besondere Liebesgeschichte des Menschen zum flinken Vierbeiner aufrollt.

Wie fanden Katze und Mensch zusammen?

Die Beziehung des Menschen zur Katze ist rund 10’000 Jahre alt; der Hund hingegen begleitet bereits seit 15’000 Jahren die Menschen, die damals noch als Jäger und Sammler nomadisierten. Ausgangspunkt für die Annäherung von Katzen und Menschen war das Neolithikum, der Beginn von Sesshaftigkeit und Ackerbau in der Menschheitsgeschichte. Immer mehr Menschen lebten als Bauern, ihre Felder und Vorratslager zogen Schädlinge an, Ratten etwa und Mäuse. Diese Nagetierpopulationen bedeuteten für Wildkatzen leichte und reiche Beute, sie hielten sich fortan in der Nähe der Menschen auf. Etwas verkürzt gesagt: Es ist die Maus, die Mensch und Katze zusammenbrachte – und deren Beziehung für Jahrtausende kittete.

Den bislang frühesten Beleg dafür, dass diese Verbindung zusehends eine emotionale Qualität gewann, gruben französische Archäologen in Zypern aus: 2004 fanden sie in einer rund 7500 Jahre alten Grabstätte nicht nur Menschenknochen, sondern auch das Skelett einer Katze. Sie war offenbar ihrem Besitzer mit ins Grab gelegt worden.

Wie wild sind heutige Katzen?

A female Himalayan/Persian cat laying on a grey couch.  She gazes off to the side of the image.

Auf ihrem evolutionären Weg von der Savanne aufs Sofa hätten sich die Katzen «viel ihrer ursprünglichen Wildheit» bewahrt, schreibt Evolutionsbiologe Losos. Während die Hunde in vielen Genen von ihren Vorfahren, den Wölfen, abweichen, gibt es zwischen domestizierten Katzen und Wildkatzen nur eine Handvoll Unterschiede im Erbgut, das belegen Genomanalysen der neusten Forschung.

Erst Anfang des 19. Jahrhunderts begann der Mensch, Katzen mit bestimmten Eigenschaften auszuwählen, um systematisch Arten zu züchten. Bis zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich die Katze allein durch natürliche Selektion. Eigenschaften wie Geselligkeit und Neugier begünstigten die Kooperation mit den Menschen, und diejenigen Katzen, die eine Verbindung mit den Menschen eingingen, verfügten über eine sichere Nahrungsgrundlage und vermehrten sich stärker als diejenigen Artgenossen, die dem Homo sapiens aus dem Weg gingen.

Da diese Entwicklung ohne eine durch den Menschen gesteuerte Selektion ablief, heisst es, die Katzen hätten sich selbst domestiziert, als einziges Haustier überhaupt. Bereits vor rund 4000 Jahren sei bei den Katzen im alten Ägypten dieser Prozess «vollständig abgeschlossen» gewesen, schreibt Losos. Von ihren Genen her ist eine Hauskatze, um Losos sprechen zu lassen, «immer noch ein Raubtier, nur eine Pfote von der Wildnis entfernt». Und jetzt kennt man auch den Grund dafür, dass sein Buch mit dem Satz beginnt: «Katzen würden uns alle auffressen, wären sie so gross wie Hunde.» 

Wann nahm der Katzenkult der Menschen seinen Anfang?

Katzen, so heisst es, haben kein Frauchen oder Herrchen. Katzen haben Angestellte.

Bereits zur Zeit der Pharaonen haben die Katzen die Menschen so weit gebracht, sie nicht nur zu ernähren und zu pflegen, sondern auch zu verehren. Gemälde an ägyptischen Grabwänden zeigen Katzen mit Halsbändern, Katzen, die aus Schüsseln essen, und Katzen, hingestreckt auf dem Schoss von Menschen. Im Ägypten des Altertums sahen die Menschen in den Katzen nicht bloss Haustiere, vielmehr verehrten sie die Tiere auch als göttliche Wesen. Wer es sich leisten konnte, liess seine verstorbene Katze nach allen Regeln der Kunst einbalsamieren und in einer speziellen Grabkammer beisetzen.

Es gibt Leute, die behaupten, das Internet sei nur dazu erfunden worden, um Katzenbilder, Katzenmemes und Katzenvideos zu teilen, und zweifellos ist die heutige Welt besessen von den Tieren – aber im «alten Ägypten war die Katzenmanie zweifellos noch grösser», so Losos.

Sind Katzen tatsächlich asozial?

Hunde sind soziale Rudeltiere, Katzen unnahbare Eigenbrötler, heisst es oft. Aber hält diese Charakterisierung auch wissenschaftlicher Überprüfung stand?

«Es ist ein Mythos, dass Katzen Einzelgänger sind», schreibt Losos. Neue Forschungsarbeiten zeigen, dass Katzen auch in grossen und sozial organisierten Gruppen leben, wie das heute bei Strassenkatzen der Fall ist; in der Stadt Istanbul beispielsweise leben Hunderttausende streunende Tiere. «Genau wie Löwenrudel bestehen diese Gruppen aus verwandten Weibchen, die sich sogar gegenseitig um die Jungen kümmern», so Losos. Notabene sind Löwen und Hauskatzen die einzigen Katzenarten, die in solchen sozialen Gruppen leben. Die Kooperation der Weibchen in streunenden Katzenpopulationen sei wohl auch eine Strategie gegen die Tötung von Jungtieren durch Katzenmännchen. Der sogenannte Infantizid kann dann auftreten, wenn ein neues dominantes Männchen in eine Gruppe kommt und die vorhandenen Jungtiere tötet. Kooperierende Katzenmütter könnten ihren Nachwuchs besser schützen.

Können Katzen sprechen?

tabby cat balancing on sofa edge in front of white textured wall

Katzen haben also das Zeug zum Teamplayer, sie zeigen eine soziale Ader – und obendrein, so das Ergebnis ihrer langen Geschichte an der Seite der Menschen, sind sie talentierte Kommunikatoren. Katzen verfügen über ein reiches Repertoire an sozialen Signalen, in diesem Punkt können sie mit den Hunden mithalten. Der steil nach oben gerichtete Katzenschwanz etwa ist ein Zeichen von Freundlichkeit und Entspanntheit. Zurückgelegte Ohren signalisieren das Gegenteil, das Tier fühlt sich bedroht und ist bereit, sich zu verteidigen. Andere Signale sind subtiler, etwa das langsame Blinzeln (das Zeichen einer freundlichen Kontaktaufnahme). In dem für Katzen so charakteristischen Miauen, so führt Losos aus, habe die Wissenschaft lange eine Kommunikationsform gesehen, welche die Tiere untereinander einsetzten. Dies hat sich allerdings mittlerweile als Irrtum erwiesen.

Zwar miauen Katzenbabys, um ihre Mutter zu rufen. Ausgewachsene Katzen jedoch miauen untereinander nicht. Sie benützen diese Geräusche – die Forschung unterscheidet mehr als ein Dutzend Formen von Miauen – nur gegenüber den Menschen, um Essen einzufordern oder Streicheleinheiten, um ihr Wohlbefinden auszudrücken oder ihren Ärger. Auch dies alles ein Resultat Tausender Jahre Katzenevolution. Wenn man, wie oben erwähnt, davon ausgeht, dass der Mensch sich damit abfinden muss, der Untergebene der Katze zu sein, so hat sich seine vierbeinige Chefin immerhin um eine verständliche Sprache bemüht.

Wie sieht die Zukunft der Katze aus?

A domestic red cat caught a bird in the garden

Die Evolution der Katzen ist eine grossartige Erfolgsgeschichte, heute bevölkern gemäss Losos rund 600 Millionen Hauskatzen den Planeten. Doch in dieser Megapopulation sehen immer mehr Menschen ein Megaproblem. Ausserhalb des Hauses verwandelt sich das süsse Büsi in einen gnadenlosen Killer; das liegt, wie gezeigt, in seiner DNA. Allein in der Schweiz sollen Freigängerkatzen pro Jahr 30 Millionen Vögel töten, so die Berechnung des Bundes. Auch wenn die Zahl aus dem Jahr 2021 vielen Experten zu hoch scheint: Jagende Katzen bedrohen die Biodiversität, zumal ihnen nicht nur Vögel zum Opfer fallen, sondern viele gefährdete Arten: Eidechsen, Blindschleichen, Fledermäuse, Libellen, Siebenschläfer, Frösche, Molche. 

Die miauenden Begleiter des Menschen als Umweltgefahr: Dieser Problematik will sich auch Katzenliebhaber und Buchautor Losos nicht verschliessen. Er sieht die Lösung in einer gesteuerten Evolution: «Wäre es nicht grossartig, wenn wir eine Katzenrasse entwickeln könnten, die kein Interesse an der Jagd hat?» Tatsächlich ist dies auch die Forderung vieler Naturschützer: Katzenrassen zu züchten, die sich damit begnügen, auf dem Sofa zu dösen und die den Jagdtrieb aus der Vorzeit in der Savanne nicht mehr in ihrem Erbgut tragen.

Das scheint die Katze der Zukunft zu sein: ein umweltverträglicher Stubenhocker. Und damit zwar spät, aber doch noch vollständig domestiziert.

Jonathan B. Losos: Von der Savanne aufs Sofa. Eine Evolutionsgeschichte der Katze. 2023, 384 Seiten, rund 30 Franken.