Analyse zur SiegesredeBiden und Harris wollen die «Seele der Nation» heilen
In seiner ersten Rede als designierter Präsident setzte Joe Biden auf eine Aussöhnung der verfeindeten amerikanischen Lager. Der Demokrat will Brückenbauer sein und einen neuen Ton in Washington anschlagen.
Das Ambiente festlich, als Hintergrundmusik Tina Turner: Am Samstagabend stellten sich der neugewählte Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris in Bidens Heimatstadt Wilmington in Delaware der Nation vor. In zwei Reden zeichneten sie eine Vision Amerikas, die sich fundamental von der des amtierenden Präsidenten unterscheidet.
Die beiden Demokraten, die nach gewonnener Wahl am 20. Januar in ihre Ämter eingeführt werden, sind nicht zu beneiden: Die Corona-Pandemie wütet schlimmer denn je, die Wirtschaft hat sich noch nicht wirklich erholt – und das Land ist zerrissen und gespalten. Beide bekundeten in Wilmington, die «Seele der Nation» heilen zu wollen, eine so schwierige wie notwendige Aufgabe nach einem bitteren Wahlkampf und einer Polarisierung der Gesellschaft, die von Donald Trump weiter angeheizt wurde.
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Joe Biden weiss, dass er nur dann eine Chance auf einen Erfolg im Präsidentenamt hat, wenn es ihm gelingt, diese Spaltung zumindest teilweise zu überwinden. Seine Rede war deshalb im Kern ein Friedensangebot an all jene, die nicht für ihn, sondern für Donald Trump votiert hatten. Fast flehentlich bat sie der designierte Präsident, die »düstere Ära der Dämonisierung zu beenden» und «uns gegenseitig eine Chance zu geben».
Biden betonte, er sei «ein stolzer Demokrat», werde jedoch als ein «amerikanischer Präsident» für alle regieren. Die Enttäuschung der Anhänger Donald Trumps könne er, der schon mehrfach bei Wahlkämpfen unterlegen sei, sehr gut verstehen. Aber die Amerikaner müssten aufhören, ihre politischen Gegner «als Feinde» zu sehen.
Das Regieren könnte schwierig werden für Biden
Gestern Abend in Wilmington wollte Joe Biden vor allem eines: Brücken bauen zur anderen Seite. Ob diese darauf eingeht, wird nicht zuletzt vom Verhalten der Kongressrepublikaner abhängen. 2012 hatte Mitch McConnell, damals Minderheitsführer der Senatsrepublikaner, nach der Wahl Barack Obamas erklärt, Ziel der Republikanischen Partei müsse es sein, dem neugewählten Präsidenten eine zweite Amtszeit zu verwehren. Danach wurde gemauert, Kompromisse waren rar.
Nun findet sich der damalige Vizepräsident Biden als Präsident neuerlich Mitch McConnell gegenüber. Bleibt die Senatsmehrheit auch nach den Nachwahlen für die beiden Senatsmandate in Georgia in republikanischen Händen, könnte das Regieren schwierig werden für Biden.
Aber es ging dem Demokraten in Wilmington eben um mehr als nur das Regieren: Biden möchte nach dem Drama der Trump-Präsidentschaft einen anderen Ton in Washington anschlagen und «Anstand» in der Politik wiederherstellen.
Amerikaner seien «gute Menschen»
Konkret versprach er auf die Wissenschaften zu hören und sagte dem Klimawandel ebenso den Kampf an wie dem institutionellen Rassismus. Und bereits am Montag wird Biden einen wissenschaftlichen Beirat zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ernennen.
Die Amerikaner seien «gute Menschen», erklärte Joe Biden am Samstagabend. Und: »Lasst uns die Nation sein, die wir sein können». Einerseits grenzte sich der nächste amerikanische Präsident damit klar von seinem Vorgänger ab, andererseits lud Biden die über 70 Millionen Amerikaner, die Donald Trump gewählt hatten, zum Überdenken ein. Der Brückenbauer von Wilmington möchte, dass sie ihn mitten auf der Brücke treffen.
Um dorthin zu kommen, setzt Joe Biden auf Kompromisse. Ob seine Kompromissbereitschaft honoriert wird, dürfte sich im neuen Jahr zeigen.
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