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Bezirksgericht Zürich
Autolenker überfuhr Frau und wird freigesprochen

An dieser Stelle in Zürich Schwamendingen trug sich vor zwei Jahren der tragische Unfall zu.
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Manche Tode sind sinnloser als andere. Zum Beispiel jener von Paula S. (Name geändert), die sich am 4. Dezember 2021, nachdem sie sich auf dem Trottoir an der Wallisellenstrasse in Schwamendingen mit ihrem Freund gestritten hatte, ebendort auf die Hauptstrasse legte. Ein Gerichtsmediziner stellte fest, dass die 28-Jährige zu dem Zeitpunkt massiv alkoholisiert war und zudem einen überdurchschnittlich hohen THC-Gehalt im Blut hatte. Sie war zu dem Zeitpunkt also im Vollrausch.

Es war eine regnerische Nacht. Sandro M. (Name geändert) lenkte um 22.20 Uhr seinen VW Polo stadtauswärts. Der 25-Jährige fuhr unter dem vorgeschriebenen Tempolimit von 50 Stundenkilometern, soll aber abgelenkt gewesen sein, wie es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heisst. Sandro M. sah erst sehr spät, dass Paula S. auf der Fahrbahn lag. Er versuchte im letzten Moment noch auszuweichen, doch nützte das Manöver nichts. Der junge Mann überfuhr die Frau, die noch auf der Unfallstelle ihren inneren Verletzungen erlag.

Fahrlässige Tötung lautete nun der Antrag der Staatsanwaltschaft. Sie forderte eine bedingte Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 120 Franken für den jungen Mann. Der Fall wurde am Dienstagnachmittag am Bezirksgericht Zürich verhandelt.

Der Angeklagte, heute 27-jährig, gross und von sportlicher Statur, drückte zunächst sein Beileid für die Angehörigen der verstorbenen Paula S. aus, die nicht im Saal anwesend waren. «Ich wünschte, ich wäre an dem besagten Abend einen anderen Weg zu meiner Freundin gefahren», sagte er. Die Fragen des Richters zum Unfallhergang beantwortete er nicht.

Aufmerksamkeitspflicht verletzt?

Das Gericht stützte sich auf die Anklageschrift und auf die Aussagen der beiden Anwältinnen. Beide trugen ihre Versionen des Tathergangs vor. Die Frage, um die sich die zwei Plädoyers drehten: Hat der Beschuldigte seine Aufmerksamkeitspflicht als Autofahrer verletzt, oder ist er als schuldlos einzustufen?

Die Anwältin der Familie plädierte auf schuldig im Sinne der Anklage, die Verteidigerin von Sandro M. auf Freispruch. Beide Anwältinnen rekonstruierten nun, exakt zwei Jahre später, noch einmal den Unfallhergang. Dies in leicht unterschiedlichen Versionen. Man konnte froh sein, musste die Familie der Verstorbenen nicht dabei sein, als die Details des Unfalls noch einmal ausgebreitet wurden.

Laut der Anwältin der Familie war nicht gesichert, ob sich die Frau bewegte oder nicht, während sie am Boden lag. Wäre Ersteres der Fall gewesen, würde das gegen Sandro M. sprechen. Klar war für die Anwältin, dass der Fahrzeuglenker die Frau auf der Strasse sowieso hätte erkennen müssen, weil sie ja dort lag, wo sein Blick bei der Fahrt hätte sein müssen, nämlich auf der Strasse. Ebenso führte sie an, dass unweit der Unfallstelle eine Strassenlampe brannte, das Opfer also sichtbar gewesen sein musste.

Das Opfer trug schwarze Kleidung

Die Verteidigerin des Beschuldigten führte in ihrem Plädoyer dagegen aus, dass Paula S., am Boden liegend, regungslos war und dunkle Kleidung trug, ebenso hatte sie schwarze Haare. Sie sei also nur schwer sichtbar gewesen. Das Hauptargument der Verteidigerin war, dass der Beschuldigte in dieser Wohngegend nicht mit einer Person auf der Fahrbahn habe rechnen müssen. «Mein Mandant musste, wie alle anderen Verkehrsteilnehmer auch, auf das korrekte Verhalten der anderen zählen», sagte sie.

Diesem Argument folgte auch der Richter und sprach Sandro M. frei vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Die Staatsanwaltschaft habe in der Anklageschrift den Beweis nicht erbringen können, dass Sandro M. am Steuer unaufmerksam gewesen sei. «In einer Gegend, in der es um diese Uhrzeit so wenige Fussgänger hat, muss man nicht mit einer Person auf der Strasse rechnen.»

Weder der Freund der Verstorbenen noch der einzige Augenzeuge, ein Spaziergänger, der mit seinem Hund unterwegs war, konnten zudem bezeugen, auf welche Weise das spätere Opfer auf die Fahrbahn gelangte, ob sich Paula S. also kurz vor dem Unfall noch bewegte oder nicht.

Für den Richter war damit der Sachverhalt einer Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht gegeben. Zudem strich er, bei allem Mitgefühl, das er für die Familie äusserte, die Eigenverantwortung des späteren Opfers heraus.

Der Beschuldigte erhielt eine Prozesskosten-Entschädigung von 12’000 Franken. Am Schluss wiederholte er, wie unfassbar traurig ihn der Tod der jungen Frau mache. Noch einmal sagte er, dass er sich gewünscht hätte, an diesem Abend einen anderen Weg genommen zu haben.