Zweiter Pandemie-WinterBerset und Kantone zelebrieren den Corona-Sonderfall
Während Österreich und Deutschland drastische Massnahmen ergreifen, diskutieren die Schweizer Gesundheitsverantwortlichen an einem Treffen nicht einmal einen Notfallplan.
Als oberster Gesundheitsdirektor ist Lukas Engelberger geübt darin, seine Antworten diplomatisch zu verpacken. So viel Eiertanz wie an diesem Donnerstag war aber noch selten. Ob sich die Kantone einig seien bei der Einschätzung der Corona-Lage, wollte eine Journalistin nach dem Treffen zwischen den Kantonsvertretern und Bundesrat Alain Berset wissen.
Engelberger verzog das Gesicht und antwortete, es gelte die Meinung, die er eben schon formuliert habe. Auf eine Nachfrage stammelte der Basler: «Ich kann das so stehen lassen. Ähm, wir haben das vorbesprochen, mit welcher Sprachregelung, äh, wir uns äussern.»
Vorangegangen war eine Dreiviertelstunde, in der Gesundheitsminister Berset erklärt hatte, die Fallzahlen stiegen zwar stark in der Schweiz, zusätzliche Massnahmen seien im Moment auf nationaler Ebene aber nicht notwendig. Die Kantone seien gebeten, ihre Spitalkapazitäten wo nötig auszubauen. Zudem hätten sie immer die Möglichkeit, selber schärfere Massnahmen zu ergreifen.
Engelberger blieb vage. In den nächsten Tagen und Wochen werde sich zeigen, ob die Impfquote und der Massnahmenmix ausreichten, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.
Befremden über Spitalaussage
Das war nicht nur Show. Auch hinter verschlossenen Türen diskutierten Berset und die Gesundheitsdirektoren bei ihrem Treffen keinen Notfallplan. Das erklärten mehrere Anwesende übereinstimmend. Ein Kantonsvertreter sprach hinterher von einem geradezu «demonstrativen Unwillen Bersets», zusätzliche Massnahmen auch nur zu erwägen.
Dass der Bundesrat stattdessen die Kantone aufforderte, zusätzliche Intensivpflegeplätze zu schaffen, wurde von einzelnen Gesundheitsdirektoren mit Befremden aufgenommen. In der Sitzung hätten einige darauf verwiesen, dass jede Aufstockung bedeute, dass andere wichtige Operationen abgesagt würden. Ein anwesender Gesundheitsdirektor sagte hinterher, dass es für eine Aufstockung gar kein Personal gebe.
Laut einem Gesundheitsdirektor, der nicht namentlich genannt werden will, war zudem der Ärger darüber gross, dass es das Bundesamt für Gesundheit «nicht auf die Reihe kriegt», schnell und unbürokratisch einen Weg zu ebnen für Off-Label-Booster-Impfungen für das Pflegepersonal in Heimen und Spitälern. Nun müsse das jeder Kanton für sich allein regeln, was absurd sei.
Weiter stellten sich die Kantone auf den Standpunkt, dass bei hohen Fallzahlen kantonale Massnahmen wenig Sinn machten. Dies habe der Herbst vor einem Jahr gezeigt.
Verhältnismässig entspannt zeigt man sich in der Westschweiz – obwohl etwa im Wallis die Wintersaison auf dem Spiel steht, sollte die Corona-Lage noch einmal eskalieren. Der Walliser Gesundheitsdirektor Mathias Reynard (SP) sieht seinen Kanton gut gerüstet, auch weil im Vergleich zu gewissen Deutschschweizer Kantonen mehr Leute geimpft seien. Zudem hätten die Booster-Impfungen in der älteren Bevölkerung begonnen. Ergänzend würden die Testkapazitäten in den Gemeinden wieder erhöht, so Reynard.
Darüber hinaus will das Wallis jedoch aktuell keine Verschärfungen beschliessen – auch nicht in der umstrittenen Frage der Zertifikatspflicht in Skigebieten. Eine solche führe man erst ein, wenn der Bund dies verlange, sagt Reynard.
Der Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia (MCG) rechnet zwar damit, dass die «Welle aus dem Osten» bald auch die Romandie erreichen wird. Anders als in früheren Phasen der Pandemie sind die Inzidenzen in den Deutschschweizer Kantonen aktuell deutlich höher als im Westen des Landes. Poggia ist dennoch zuversichtlich, dass sich die Spitalauslastung in seinem Kanton weiterhin in Grenzen halten wird. Der Genfer betont: «Falls sich die Situation in der Deutschschweiz zuspitzt und die Spitäler überlastet sind, würden unsere Universitätsspitäler selbstverständlich Covid-Patienten aus anderen Landesteilen aufnehmen.» (jbu, phr, br, hä)
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