US-Einsatz gegen MigrantenBerittene Grenzpolizisten sorgen für Empörung
Dramatische Videos und Fotos, die berittene US-Grenzschutzbeamte offensichtlich beim Zusammentreiben von Migranten zeigen, bringen die US-Regierung in Bedrängnis.
Die Bilder waren dramatisch, und die politische Reaktion war entsprechend heftig: Am Montag zeigten Pressefotos, die nahe der texanischen Stadt Del Rio aufgenommen worden waren, berittene Beamte der US-Grenzpolizei, die Lederriemen schwangen und Migranten mit ihren Pferden in den Rio Grande zu drängen versuchten. Die Empörung war gewaltig. Demokratische Politiker und Menschenrechtsorganisationen warfen der Border Patrol vor, mit Peitschen auf illegale Einwanderer loszugehen. Das Heimatschutzministerium sagte eine Untersuchung zu – das Weisse Haus sprach von inakzeptablem Verhalten.
Die Realität war wohl nicht ganz so schlimm. Die Grenzer, deren Pferde nach Westernart aufgezäumt waren, schwangen keine Peitschen, sondern die langen, losen Enden ihrer Zügel. Sie schlugen mit den Riemen auch nicht auf die Migranten ein, sondern lenkten auf diese Weise ihre Tiere zwischen den Menschen. Und dass sich die Grenzpolizei am amerikanischen Ufer des Rio Grande, der in Texas die Grenze zwischen den USA und Mexiko markiert, illegalen Einwanderern physisch in den Weg stellt, ist normal.
Unter einer Strassenbrücke
Doch in der erbitterten Debatte in den USA über die illegale Einwanderung gehen solche Details unter. Beide Seiten sehen sich von Szenen wie jenen, die sich seit Tagen an der Grenze in Del Rio abspielen, bestätigt. Mexikanische Menschenschmuggler haben dort in den vergangenen Wochen unbehelligt zig Tausende Migranten über den Rio Grande gelotst. Auf US-Seite sammelten sich die Menschen unter einer Strassenbrücke und warteten darauf, von den Behörden registriert zu werden. Am Wochenende hausten fast 15’000 Migranten unter katastrophalen hygienischen Bedingungen unter der Brücke. Viele gehen ab und an nach Mexiko zurück, um dort Essen und Wasser zu kaufen, und waten dann wieder durch den Fluss ans amerikanische Ufer. Die US-Grenzer waren von diesem Andrang vollkommen überfordert.
Für die politische Linke sind die Bilder aus Del Rio ein Beleg für die Unmenschlichkeit der US-Einwanderungspolitik und des Grenzschutzes, an der sich ihrer Ansicht nach auch nach dem Wechsel von Donald Trump zu Joe Biden im Weissen Haus wenig geändert hat. «Es ist egal, ob ein Demokrat oder ein Republikaner Präsident ist», twitterte die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez am Montag, eine Wortführerin des linken Flügels der Demokraten. «Unser Immigrationssystem zielt darauf, Einwanderer grausam zu behandeln und zu entmenschlichen. Es ist ein dunkler Fleck auf unserem Land.»
Die politische Rechte zieht aus den Bildern aus Texas hingegen völlig andere Schlüsse. Für die Republikaner beweist die Lage dort, dass Biden beim Schutz der Grenze versagt hat und unkontrolliert illegale Migranten ins Land lässt. «Wegen Bidens Unfähigkeit ist unser Einwanderungssystem völlig überfordert», twitterte der texanische Kongressabgeordnete Dan Crenshaw, ein aufsteigender Stern im konservativen Lager. «Wir können diesen Wahnsinn nicht länger zulassen.»
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Dass die Zahl der illegalen Einwanderer seit Bidens Amtsantritt im Januar drastisch gestiegen ist, lässt sich nicht bestreiten. Im vergangenen halben Jahr nahm die Border Patrol an der Grenze zu Mexiko jeden Monat mehr als 170’000 Migranten ohne gültige Papiere fest, im Juli und August waren es jeweils mehr als 200’000 – doppelt, drei- oder gar viermal so viele wie in den Jahren zuvor. Einen solchen Ansturm auf die Grenze haben die USA seit zwanzig Jahren nicht mehr erlebt.
Dieser Andrang hat mit politischen Entscheidungen zu tun. Unter Trump wurden alle Mittel genutzt – auch völkerrechtswidrige –, um illegale Einwanderer aus den USA rauszuhalten oder möglichst schnell wieder nach Mexiko abzuschieben. Biden hat einige der härtesten Vorschriften gelockert. So dürfen unbegleitete Kinder und Jugendliche in den USA bleiben, ebenso die meisten Familien mit kleinen Kindern. Abgeschoben werden zumeist nur allein reisende Erwachsene. Sie werden nach der Festnahme ohne längeres Rechtsverfahren nach Mexiko zurückgebracht, da die US-Südgrenze wegen der Corona-Pandemie immer noch geschlossen ist.
Doch die vage Aussicht darauf, vielleicht in den USA bleiben zu können, reicht vielen Migranten aus, um sich auf den Weg zu machen oder zumindest ihre Kinder loszuschicken. Die Schmuggler, die für mexikanische Drogenkartelle arbeiten, fachen die Hoffnung durch falsche Versprechen an. Das Ergebnis: Seit Monaten kommen in den texanischen Kleinstädten am Rio Grande Zehntausende illegale Einwanderer an.
Die meisten kommen aus Haiti
In der ersten Jahreshälfte waren es vor allem Menschen aus Honduras, Guatemala und El Salvador, die vor der Kriminalität und der Armut in ihren Heimatländern flohen. Die meisten Migranten, die derzeit in Del Rio eintreffen, sind hingegen Haitianer. Sie kommen entweder direkt von der bitterarmen Insel, die in den vergangenen Wochen durch die Ermordung des Präsidenten und ein Erdbeben erschüttert wurde, oder haben zuvor in anderen südamerikanischen Ländern gelebt.
Die Biden-Regierung ist sich des politischen Sprengstoffs, der im Thema steckt, durchaus bewusst. Die illegale Einwanderung ist in den USA ein machtvolles Thema für die Republikaner, um Wähler zu mobilisieren. Nachdem das Weisse Haus die Lage in Del Rio tagelang ignorierte, ist es nun aufgewacht und hat eine grosse Ausweisungsaktion angeordnet: Die Migranten aus Del Rio werden in Bussen abtransportiert und nach Haiti zurückgeflogen.
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