Tierversuche – wie weiter?Bereits werden neue Forderungen laut
Die Initiative für ein Tierversuchsverbot scheitert klar. Nun wollen Tierschützer zumindest die heikelsten Versuche verbieten. Und die Forschung nach Alternativen soll mehr Geld erhalten.
Falls die Initianten noch gehofft haben sollten: Am Sonntag um 12.34 Uhr mussten sie sich definitiv geschlagen geben. Die erste nationale Hochrechnung bestätigte, was sich in den letzten Wochen abgezeichnet hatte – die Initiative scheitert klar: Am Resultat hat sich im Verlauf des Sonntagnachmittags nichts mehr verändert. Am Ende lehnten 79,1 Prozent das Begehren ab. Das Anliegen, so zeigte sich, war der Bevölkerung schlicht zu radikal. Damit bleiben Tierversuche und Experimente, an denen Menschen teilnehmen, erlaubt, ebenso der Import von Medikamenten, die mithilfe von Tierversuchen entwickelt worden sind.
Noch am meisten Zuspruch erhielt die Initiative bei der Wählerschaft der Grünen (34 Prozent), am wenigsten bei der FDP-Basis (12 Prozent). Das zeigt die Tamedia-Nachbefragung. Männer haben die Initiative etwas deutlicher abgelehnt als Frauen, auch war das Nein der 18- bis 34-Jährigen sowie der über 65-Jährigen ausgeprägter als in den Altersklassen dazwischen. Kein Kanton stimmte für das Begehren, im Tessin war die Zustimmung mit 31,5 Prozent noch am grössten.
Die Initianten, ein St. Galler Bürgerkomitee ohne illustre Namen, standen von Beginn weg auf einsamem Posten: Die Parteien, der Bundesrat, die Wirtschaft, ja selbst ein Teil des Tierschutzlagers – alle bekämpften das Anliegen. Vergeblich haben die Initianten auf «die Empathie der Bevölkerung gehofft»: Man habe die Bevölkerung mit wissenschaftlichen Fakten zu überzeugen versucht, die Stimmbevölkerung habe dem aber nicht geglaubt.
So klar das Verdikt ist: Die Kontroverse um Tierversuche ist damit nicht zu Ende. Bereits haben die Initianten angekündigt, umgehend mit der Planung einer weiteren Initiative zu beginnen. Und noch etwas ist am Sonntag klargeworden: So geeint die Initiativgegner in den letzten Wochen aufgetreten sind, so schnell zerfällt die politisch heterogene Allianz wieder. Das zeigt sich anhand von Forderungen, die nun aus der Grünen Partei kommen. Nationalrätin Meret Schneider verlangt ein Verbot für Primatenversuche. 2020 gab es in der Schweiz Experimente an 190 Primaten, dies bei gesamthaft mehr als 550’000 Tierversuchen.
Beenden – oder zumindest stark reduzieren – will Schneider auch Tierversuche im Schweregrad 3, also die am schwersten belastenden; hierbei werden Tieren etwa aggressive Tumore eingepflanzt. Deren Zahl lag 2020 bei knapp 20’000, das sind fast doppelt so viele wie 2012. Schneider arbeitet an entsprechenden Vorstössen, die sie in der Frühjahrssession einreichen will, wie sie auf Anfrage bestätigt.
Die Forderungen wecken bei der forschenden pharmazeutischen Industrie Widerstand. Der Verband Scienceindustries lehnt beide Verbote ab. Sprecherin Pia Guggenbühl argumentiert, Tierversuche seien nach wie vor unerlässlich und in vielen Fällen auch gesetzlich vorgeschrieben, um Patienten sichere Arzneimittel zur Verfügung zu stellen und neue Therapien gegen schwere oder noch unheilbare Krankheiten zu entwickeln. Auch seien Forschende in Unternehmen und an Hochschulen heute schon verpflichtet, wenn immer möglich Alternativmethoden zu verwenden und auf Tier- und Menschenversuche zu verzichten.
Im Parlament dürften die beiden Begehren ebenfalls einen schweren Stand haben. Ähnliche Vorstösse sind in der Vergangenheit gescheitert. Und auch jetzt stehen die Zeichen auf Ablehnung, wie Nachfragen zeigen. Ständerätin Andrea Gmür (Mitte) zum Beispiel sagt, sie lehne beide Verbotsforderungen ab, «zum Wohl und für die Gesundheit von Mensch und Tier».
3R-Forschung vorantreiben
In einem anderen Punkt dagegen herrscht Einigkeit: Die Schweiz soll die sogenannte 3R-Forschung vorantreiben, also die Bemühungen, Tierversuche zu reduzieren, zu verfeinern und zu ersetzen. Letztes Jahr hat der Bund 20 Millionen Franken für ein neues 3R-Forschungsprogramm aufgeworfen, verteilt auf fünf Jahre. Zusätzlich erhält das 2018 gegründete 3R-Kompetenzzentrum neu mehr Mittel, pro Jahr sind es nun total rund 4 Millionen Franken, davon 3,5 von Bund und Hochschulen.
«Es herrscht noch immer ein grosses Ungleichgewicht.»
«Es herrscht trotzdem noch immer ein grosses Ungleichgewicht», sagt Ständerätin Maya Graf (Grüne). Sie meint damit die Tatsache, dass die Forschungsgelder ungleich verteilt sind. Genaue Zahlen existieren zwar nicht. Eine Vorstellung gibt aber folgender Vergleich: 2019 gingen vom Schweizerischen Nationalfonds 140 Millionen Franken an Projekte, die auch Tierversuche beinhalten, viel mehr also als an die 3R-Forschung.
Es sei unbefriedigend, sagt Graf, dass noch immer mehr als eine halbe Million Tiere pro Jahr direkt für Versuche gebraucht würden. Sie zeigt sich aber zuversichtlich, dass dank der Volksinitiative und jahrelangem politischem Druck ein Umdenken stattfinde, auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Chancen der 3R-Forschung. «Die Schweiz kann sich so einen Innovationsvorteil verschaffen.»
Prompt kommen aus der Wirtschaft positive Signale. Die Wirtschaft setze sich seit langer Zeit für Verbesserung, Reduktion und Ersatz von Tierversuchen ein, sagt Michael Wiesner, Sprecher des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse. «Daher unterstützen wir auch grundsätzlich das Anliegen, dass der Förderung des 3R-Prinzips die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.»
Streit um Geld absehbar
Offen ist jedoch, ob der Konsens bestehen bleibt, wenn es um die Höhe der finanziellen Mittel geht. Die vorberatende Wissenschaftskommission des Nationalrats hat im letzten Herbst einen Vorstoss von Katja Christ (GLP) gutgeheissen, der «mehr Ressourcen und Anreize» für die 3R-Forschung verlangt. Nun wird sich die ständerätliche Schwesterkommission darüber beugen, Anhörungen mit Experten sind im zweiten Quartal geplant. Für die Grüne Maya Graf ist klar: Es braucht mehr Geld. Mitte-Politikerin Andrea Gmür dagegen will die Anhörungen abwarten. Sie selber sei «eher skeptisch», ob weitere Mittel notwendig seien.
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