Falsches AsthmaBei jedem Bissen fürchtete er um sein Leben
Seit 17 Jahren spült Ján Varga beim Essen nach jeder Gabel mit Wasser nach – damit ihm ja nichts im Hals stecken bleibt. Erst mit 30 erfährt er, woran das liegt. Und was er dagegen tun kann.
Schon als Kind hatte sich Ján Varga (Name geändert) beim Essen ständig verschluckt. Zu schaffen machten ihm vor allem trockene Nahrungsmittel wie Reis, der oft klebrig im Hals stecken blieb. Manchmal liess sich die zähe Masse nicht einmal mit Wasser runterspülen. Der Kinderarzt empfahl ihm damals, «sich mehr Mühe zu geben und gut zu schlucken».
Später schickte ihn der Hausarzt zum Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten. Dessen Befund: vergrösserte Rachenmandeln.
Bald hatte Varga seine eigene Strategie entwickelt: «Ich ass möglichst langsam, kaute gut und nahm nach jedem Bissen einen Schluck Wasser», berichtet der heute 30-jährige Slowake, der mittlerweile in Zürich lebt und als Informatiker arbeitet.
Lange Leidensgeschichte
Erst durch Zufall stiess er auf die richtige Diagnose: «Meine Frau war damals gerade bei einem Magen-Darm-Arzt in Behandlung. Dabei erzählte sie ihm beiläufig meine Geschichte.» Dieser Arzt habe dann spontan den Verdacht geäussert, es könnte sich um ein «Asthma der Speiseröhre» handeln.
Eine spätere Untersuchung beim Zürcher Gastroenterologen Stephan Vavricka bestätigte dann die Diagnose – nach 17 Jahren Leidensgeschichte.
In dieser langen Zeit war Ján Varga nicht nur stets der langsamste Esser, auch hatte er unzählige teils dramatische Erlebnisse, bei denen er sich derart verschluckte, dass er glaubte, ersticken zu müssen. Diese heftigen Anfälle beunruhigten auch seine Frau; sie drängte auf eine weitere Abklärung. «Nun sind wir beide erleichtert, dass die Krankheit einen Namen hat», sagt Varga.
Entzündete und verengte Speiseröhre
Beim «Asthma der Speiseröhre», in der Fachsprache Eosinophile Ösophagitis genannt, handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Speiseröhre. Aus nicht restlos geklärten Gründen kommt es zu einer allergischen Entzündung der Speiseröhre. Die Entzündung führt zu einer Muskelstörung, die Nahrung wird nicht mehr richtig durch die Speiseröhre transportiert. Man nimmt an, dass Allergene aus der Nahrung oder Luft im Spiel sind – Stoffe, die das Immunsystem überreagieren lassen.
Diagnostiziert wird die Krankheit mit einer Magenspiegelung, bei der man Gewebeproben der Speiseröhre entnimmt. «Nimmt man keine Proben, besteht das Risiko, die Krankheit zu verpassen», sagt Gastroenterologe Vavricka. Denn manchmal sehe man die Entzündung, manchmal aber auch nicht. In den positiven Proben hat es aussergewöhnlich viele weisse Blutkörperchen, genauer gesagt, eine Untereinheit von ihnen. Wenn eine bestimmte Zahl diesen Blutkörperchen überschritten ist, gilt dies als Nachweis der Krankheit.
Männer deutlich häufiger betroffen
Ján Varga ist einer von geschätzt 4000 Menschen in der Schweiz, die an Speiseröhren-Asthma leiden, das manchmal auch «falsches Asthma» genannt wird. Diese Bezeichnung findet der Magen-Darm-Arzt Vavricka jedoch irreführend. Zwar gebe es ähnliche Entzündungsursachen wie beim richtigen Asthma der Lunge, aber trotzdem seien es zwei verschiedene Krankheiten.
Grundsätzlich kann ein Asthma der Speiseröhre in jedem Alter auftreten, am häufigsten jedoch zwischen 20 und 40 Jahren. Betroffen sind dreimal mehr Männer als Frauen und besonders viele Akademiker – weshalb, weiss man nicht. Die vor rund 30 Jahren vom Schweizer Arzt Alex Straumann und seinem britischen Kollegen Stephen Attwood erstmals beschriebene Krankheit wird in den letzten Jahren deutlich häufiger diagnostiziert – ein Umstand, der mit den besseren Kenntnissen über die Krankheit zu tun hat.
Eine Rolle für die Zunahme dürfte aber auch unser Lebensstil spielen: Speiseröhren-Asthma beobachtet man vorwiegend in der westlichen Welt. Als Auslöser gelten Umwelteinflüsse wie Gifte, verarbeitete Nahrungsmittel oder unsere zu hygienischen Lebensverhältnisse, die unser Immunsystem überreagieren lassen.
Wenn ein Stück Fleisch stecken bleibt
In der Regel gehen die Patientinnen und Patienten erst zum Arzt, wenn die Schluckprobleme sie schon stark einschränken. «Die Beschwerden können aber sehr verschieden sein», erklärt Facharzt Vavricka. Die Bandbreite reiche von leichten Beschwerden bis zu regelmässig stecken bleibenden Speisen. Im Frühstadium seien es vor allem feste Nahrungsmittel, später auch die flüssigen. «Schlimm sind Notfälle, wie zum Beispiel ein feststeckender Essensbrocken im Hals, meist ein Fleischstück.» In einem solchen Fall kann das festsitzende Stück dann oft nur noch mithilfe eines Endoskops in den Magen vorgeschoben werden. Nicht selten kommt ein Magen-Darm-Arzt erst aufgrund solcher Vorfälle dem Speiseröhren-Asthma auf die Spur.
Wie bei Ján Varga erfolgt die richtige Diagnose meist erst spät. Vorher kommt es häufig zu Fehldiagnosen: von Reflux über vergrösserte Mandeln bis hin zu Herzproblemen. Die meisten Patientinnen und Patienten leiden zusätzlich unter Allergien wie Neurodermitis, Lebensmittelallergien oder Heuschnupfen.
Rasch die Entzündung stoppen
Eine rasche Behandlung der Erkrankung lohnt sich. Denn es ist bekannt, dass lang anhaltende Entzündungen zu Vernarbungen führen. In einem Spätstadium schränkt dies die Funktion der Speiseröhre weiter ein: Der 25 Zentimeter lange Muskelschlauch verengt sich zunehmend, die Muskelfunktion schwächt sich ab, das Schlucken fällt immer schwerer.
Ján Varga erhält die übliche, lokalwirksame Kortisontherapie, die exakt am Entzündungsherd eingreift, also in der Speiseröhre. Nach rund einem Monat spürte er bereits den ersten Therapie-Effekt. Die Schluckbeschwerden verbesserten sich deutlich. In der Regel werden die Betroffenen in den ersten drei Monaten beschwerdefrei. «Aufgrund der lokalen Wirkung dieses Kortisons gibt es nur geringe Nebenwirkungen», sagt Stephan Vavricka. Die häufigste sei ein Pilz im Mund oder in der Speiseröhre.
«Heute muss ich nicht mehr immer nachtrinken»
Bei einem Teil der Betroffenen hat sich als langfristige Behandlung auch eine Ernährungsumstellung bewährt. Wenn sie auf bestimmte Nahrungsmittel wie Milch, Weizen oder Hülsenfrüchte verzichten, geht es ihnen besser. «Das Weglassen der Nahrungsmittel kann die Symptome abschwächen, sodass es keine Medikamente mehr braucht», bestätigt der Magen-Darm-Arzt. Am einfachsten gelinge diese «Eliminations-Diät» in Zusammenarbeit mit einer Ernährungsberaterin.
Heilen lässt sich die Krankheit bisher zwar nicht, aber durch Diät und Kortison zumindest die Entzündung stoppen. Eine Immuntherapie, an der geforscht wird, ist noch in weiter Ferne. In der Zwischenzeit gibt sich Ján Varga aber mit der gegenwärtigen Behandlung zufrieden. «Ich kann wieder schneller essen und muss nicht mehr immer nachtrinken», freut er sich, nach rund einem Jahr seit Therapiebeginn. «Und bisher spüre ich keine Nebenwirkungen», fügt er hinzu.
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