Bedrohter DialektDie nervigsten und hässlichsten Neuzugänge im Schweizerdeutsch
Warum sagen so viele «bechoo» statt «überchoo»? Eine Abrechnung mit der Verdeutschung unserer Mundart.
Auf einmal ist das Wort überall. Selbst jene, auf die bisher Verlass war, die astreines Züritüütsch redeten – die nicht «Vollidiot» sagen, sondern «dumme Siech» und nicht «Bitch» sondern «Totsch» – selbst Menschen also, die sich auszudrücken wussten, verwenden jetzt dieses grauenhafte Wort: «bechoo». Und sagen nicht, wie es richtig wäre «überchoo».
Stattdessen lassen sie ernsthaft Sätze verlauten wie: «Sie hätt scho wieder e schlächti Note bechoo.» Kein Wunder, klappt es bei der Tochter nicht mit dem Subjonctif, wenn die Eltern die Finessen des Schweizerdeutschs nicht mehr draufhaben.
Männer statt Manne, schwül statt tüppig
Wo, zum Teufel, kommt dieses «bechoo» her? Echte Zürcher Ohren schmerzt es, wenn sie es hören, es schrillt in ihnen, denn alles daran tönt falsch. Es ist einfach zu deutsch. Genauso wie «Herusforderig», was man gruseligerweise immer häufiger hört, obschon es doch schlicht «Useforderig» heisst. «Herusforderig» klingt nicht nur hässlich, sondern auch noch gstabig, weil ein Zungenbrecher. Dann doch lieber Tschällensch.
Genauso hässlich: «Männer» statt «Manne». Und «schwül» statt «tüppig» (wenn schon, hiesse das: «schwüel»). Fragt man im Restaurant, ob es an der Sauce «Bölle» habe, versteht einen längst kein Mensch mehr. Man muss «Zwible» sagen. Soll das vornehmer sein? Weil mehr Hochsprache denn Dialekt?
Man weiss es nicht. Manchmal allerdings ist der Grund für die Adoption neuer Wörter offensichtlich. «Chischte» und «Schmier» zum Beispiel wollen einfach nicht so recht nach krasser Ghettojugend in Neukölln klingen, umso amüsanter daher, wenn Schweizer Teenager von «Knascht» und «Bulle» reden, wo ihnen doch Mami und Papi schon bei der Geburt ein Konto für die dritte Säule eröffnet haben.
Werden Teigwaren zu Nudeln?
Aber ja, Sprache verändert sich, miinetwäge. Bloss: Wenn auf einmal «Pferd» statt «Ross» oder «Schrank» statt «Chaschte» dominieren, ist es nicht mehr weit und das Velo wird vom Fahrrad verdrängt. Dann haben wir kein Problem mehr mit fehlenden Velowegen, sondern neu mit «Radfahrstreifen». Und es kommt nicht mehr auf dem Trottoir zu Lämpe deswegen, sondern auf dem «Gehsteig».
«Tele Züri verbreitet diesen unverkennbaren Kurios-Sprech, der tönt, wie wenn Hochdeutsch zurück auf Schweizerdeutsch übersetzt würde.»
Spätestens dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sämtliche Teigwaren «Nudeln» heissen, von den Spaghetti über die Penne bis zu den Fettuccine – wie die aus dem grossen Kanton das vormachen mit ihrer schändlichen Ignoranz gegenüber den mannigfaltigen Mitgliedern der Pasta-Famiglia.
Deutschland mit seinem sprachlichen Einfluss ist schuld an dieser Entwicklung, klar. Aber nicht nur. Sie ist mindestens so sehr hausgemacht, und das liegt an Tele Züri. Ausgerechnet der Sender, der den Dialekt im Namen trägt und auf Lokalkolorit setzt, pflegt und verbreitet diesen unverkennbaren Kurios-Sprech, der tönt, wie wenn Hochdeutsch zurück auf Schweizerdeutsch übersetzt würde.
Nein! – Doch!
Das kommt dann zum Beispiel so daher: «D’Polizei isch schnäll vor Ort gsii, doch de Täter hätt chöne flüchte.» Warum «doch» anstatt «aber»? Was in aller Welt ist an «aber» verkehrt?
Da bekommt man Zustände, denn im Dialekt bringt «doch» keinen Gegensatz zum Ausdruck wie im Hochdeutschen, es funktioniert allein als Bestätigung: «Er war schon immer ein Joggel.» – «Nein.» – «Doch!»
Es heisst im Fall «das Kamin»
Während also das Populärmedium Fernsehen drauf und dran ist, der Mundart den Garaus zu machen, naht Schützenhilfe von unerwarteter Seite. Als die NZZ letzte Woche die auffällige neue Farbgebung vom Kamin einer einstigen Kehrichtverbrennungsanlage erläuterte, schrieb sie stur von «das Kamin».
War das besonders hochgestochenes Hochdeutsch, mit dem man sich von den Niederungen des Pöbels abgrenzt, um zu zeigen: Unsereins weiss, dass Kamin sächlich ist? Allwäg, genau andersrum! Gemäss Duden gibt es beide Formen, «der» und «das» Kamin, wobei letzteres «schweizerisch» sei. Leuchtet total ein – es heisst ja schliesslich «das Chämi».
Wie famos ist das denn. Hopp Helvetismus!
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