Abstimmungen in BayernMarkus Söder will direkte Demokratie einschränken
Nirgends in Deutschland kommen mehr Initiativen vors Volk als in Bayern. Der Ministerpräsident findet jetzt, das Recht werde zu oft als Blockade benutzt.
Aus der Schweiz betrachtet wirkt es manchmal, als gäbe es in Deutschland überhaupt keine Formen direktdemokratischer Mitbestimmung. Das stimmt natürlich schon lange nicht mehr: Vor allem in Gemeinden und Städten werden eifrig Initiativen lanciert, die in Deutschland Bürger- oder Volksbegehren heissen. Sie führen zu Volksabstimmungen, zu Bürger- oder Volksentscheiden also.
Der Freistaat Bayern mit seinen fast 14 Millionen Einwohnern hat bei dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle gespielt. Seit die Bayern 1995 eine Initiative annahmen und die Volksrechte auch auf Gemeinden und Landkreise ausdehnten, kommt es hier im Schnitt zu 130 Bürgerbegehren und -entscheiden im Jahr – das entspricht 40 Prozent aller Volksabstimmungen in Deutschland. Meist geht es um Hotels, Umfahrungen, Gewerbegebiete, Kitas oder Naturparks, in jüngerer Zeit auch um Solaranlagen, Windparks, Spitäler oder Batteriefabriken.
Als Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident, kürzlich sein Regierungsprogramm bis 2030 vorstellte, das er unter das Motto «Mehr Freiheit statt Regulation» stellte, kündigte er unter anderem an, dass er die Volksrechte «weiterentwickeln» wolle. Diese seien zwar ein hohes Gut und könnten «befrieden». «Aber sie werden zunehmend auch als Blockade eingesetzt», sagte er. Man müsse eine neue Balance zwischen Gemeinwohl und Partikularinteresse finden.
Windpark und Batteriefabrik standen auf der Kippe
Vorausgegangen waren zwei für ganz Bayern wichtige Abstimmungen in kleinen Gemeinden: Im Januar hatte das oberbayerische Mehring einen Windpark in einem Staatswald verhindert, im vergangenen September das niederbayerische Strasskirchen den Bau einer gigantischen Batteriefabrik von BMW genehmigt. Im Fall Mehring hat Söders Regierung bereits reagiert: Sie entzog den bayerischen Gemeinden für Fälle, in denen Windräder im Staatsforst gebaut werden sollen, schlicht das Vetorecht.
Bei den Volksrechten will der CSU-Chef vorsichtiger vorgehen. Er hat erst einmal einen runden Tisch einberufen, an dem nicht nur Parteien, sondern auch Naturschutzorganisationen und viele weitere Akteure beteiligt sind. Geleitet wird das Gremium vom CSU-Politiker Günther Beckstein, Vorvorgänger Söders als Ministerpräsident.
Nicht nur diese Personalie, sondern das gesamte Vorhaben hat freilich bereits Söders Koalitionspartner alarmiert, die Freien Wähler von Hubert Aiwanger. Seine Partei ist mit Bürgerbegehren gross geworden. Eine starke Einschränkung komme überhaupt nicht infrage, warnt Aiwanger. Eigentlich bräuchte es mehr Mitbestimmung, nicht weniger. Die Entfremdung der Menschen von der Politik sei jedenfalls grösser denn je.
Der 80-jährige Beckstein, der mit den Jahren von einem Skeptiker zu einem Werber für die direkte Demokratie geworden ist, versucht, die Gemüter zu beruhigen: Keinesfalls werde man die Volksrechte abschaffen, gleichwohl gebe es Diskussionsbedarf: Beim Hochwasserschutz oder Grossprojekten der Energiewende dürfe es nicht sein, dass kleine Gemeinden ganze Regionen oder ganz Bayern blockierten.
Der Verein «Mehr Demokratie in Bayern» bestreitet, dass die Volksrechte dafür überhaupt der entscheidende Grund seien. Nur jede siebte der 112 Volksabstimmungen des letzten Jahres hätte Projekte der Energiewende und des Klimaschutzes betroffen. Der langjährige Vergleich zeige überdies, dass zwei von drei dieser Initiativen mehr Klima- oder Naturschutz im Sinn hätten – nicht weniger.
Söders Ankündigung hat weitere Kritiker auf den Plan gerufen, die wie die Freien Wähler die kommunalen Volksrechte ausweiten statt einschränken wollen, die Ökologisch-Demokratische Partei etwa. Vor allem in den Städten müsse die Unterschriftenzahl für Initiativen gesenkt werden, sagte Bayerns ÖDP-Chefin Agnes Becker der «Süddeutschen Zeitung». Zudem sollten Volksentscheide länger als ein Jahr verbindlich bleiben und die Informationsrechte gestärkt werden – am besten über institutionelle Bürgerversammlungen wie in der Schweiz.
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