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Kurz vor der Abstimmung
Krach um Zürcher Mega-Solarpark in den Bündner Bergen

Pro Natura Graubünden fürchtet um die Artenvielfalt im hintersten Teil des Val Nandro, die Tourismus Savognin Bivio Albula AG um Arbeitsplätze.
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So klingt Zuversicht. «Wir planen am richtigen Ort», sagt Philippe Heinzer, Leiter Energie beim Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ). Es ist Ende September. Das EWZ stellt hier, im Gemeindehaus von Tinizong GR, gerade seine Pläne für Nandro Solar vor, ein «schweizweites Vorzeigeprojekt».

Im Val Nandro bei Savognin soll eine Megasolaranlage auf einer Höhe zwischen 2100 und 2700 Metern über Meer künftig Strom für rund 20’000 Haushalte produzieren; 45 Prozent davon sollen in den Wintermonaten anfallen. Ein Projekt also auch gegen einen etwaigen Strommangel in der kalten Jahreszeit, wenn die Schweiz jeweils auf Stromimporte angewiesen ist.

Sorge um Landschaft und Biodiversität

Heute, drei Monate später, steht das Projekt in der Kritik. «Nandro Solar gehört klar zu den schlechteren Solarprojekten im Kanton Graubünden», sagt Armando Lenz, Geschäftsführer von Pro Natura Graubünden. Die Anlage sei zerfleddert und beeinträchtige mehrere kleinräumige Landschaftskammern.

Der Standort im hintersten Teil des Val Nandro, angrenzend an das Skigebiet, liegt zwar nicht in einer Schutzzone. Umweltschützer gehen aber davon aus, dass dieser Lebensraum sehr artenreich ist; darauf deute die Geologie hin. Zudem sei das Skigebiet selber «nicht intensiv», es komme ohne starke Beschneiung und grosse Liftanlagen aus und sei daher im Sommer kaum als solches zu erkennen, so Lenz.

Bedenken hat auch der Tourismus. «Nandro Solar wird aus heutiger Sicht für das Tal touristisch nicht förderlich sein», sagt Luzi Thomann, Verwaltungsratspräsident der Tourismus Savognin Bivio Albula AG (TSBA). Die Vorteile könnten die Nachteile bei weitem nicht kompensieren. Thomann befürchtet, das Projekt gefährde Arbeitsplätze, die vom Tourismus abhängig seien.

Als Beispiel erwähnt Thomann das Berghuus Radons, ein Berggasthaus, das in Radons liegt. Von dort aus wäre die Anlage sichtbar, was, so Thomann, Wanderer und andere Touristen von einem Besuch der Ferienregion abschrecken könnte. Ausbleiben könnten die Gäste auch, weil das Projekt während der mehrjährigen Bauphase Lärm und Mehrverkehr erzeugen werde, unter anderem durch Helikopterflüge.

Die Touristiker haben andere Pläne. Sie wollen die Strategie «So nah an einer anderen Welt» konsequent weiterleben und eine «Visiun Radons» entwickeln: «Leitidee wäre, Radons als naturtouristische Oase im Sommer zu positionieren und trotz Klimawandel das heutige attraktive Wintererlebnis zu sichern», sagt Thomann.

EWZ kontert Kritik

Das EWZ zeigt sich von der Kritik überrascht. «Wir haben die Bedenken und Wünsche aufgenommen und wo möglich bestmöglich umgesetzt», sagt Sprecher Harry Graf. Inwieweit die Biodiversität tangiert sei vom Projekt, werde die Umweltverträglichkeitsprüfung zeigen. Die geplanten zwei bis drei LKW-Fahrten pro Tag über eine Waldstrasse taxiert das EWZ nicht als Mehrverkehr. Zudem sei die Zahl der geplanten Helikopterflüge bereits stark reduziert – auf wie viel, sagt das EWZ nicht.

Von der «naturtouristischen Oase» Radons aus wäre die Anlage sichtbar – hier am Horizont in der Bildmitte.

Das EWZ startete das Projekt, nachdem die Verantwortlichen der Gemeinde Surses, zu der alle Dörfer in der Talschaft bis nach Bivio hinauf gehören, positive Signale gesendet hatten. Dabei hat das EWZ gemäss eigenen Angaben alle relevanten Akteure früh in das Projekt einbezogen. Es gab öffentliche Informationsveranstaltungen, Begehungen vor Ort. Und das EWZ passte das Projekt teils an, sprich: verkleinerte es leicht. «Nun sind wir durchaus irritiert, dass trotzdem erst jetzt kritisch und öffentlichkeitswirksam Position bezogen wird», sagt Graf.

Luzi Thomann entgegnet, man habe dem EWZ im August die Bedenken zum Projekt mitgeteilt. Eine definitive Beurteilung sei erst möglich, wenn alle Fakten auf dem Tisch lägen – was aber noch immer nicht der Fall sei. Unklar sei etwa nach wie vor, ob ein Teil einer allfälligen Abgeltung für die Gemeinde Surses zweckgebunden in Radons eingesetzt würde.

Pro Natura seinerseits bemängelt, man sei nur «sporadisch und extrem spät» einbezogen worden. «Wir haben bei diesen Gelegenheiten unsere Haltung klar kommuniziert», sagt Lenz.

Rekurs als grosses Risiko

Am 29. Januar soll Surses über das Vorhaben abstimmen. Ursprünglich war die Gemeindeversammlung schon Mitte Dezember geplant gewesen. Die Zeit drängt. Speist die Anlage bis Ende 2025 keinen Strom ins Netz, gibt es keine Bundeshilfe, also keine Fördergelder des Solarexpresses, mit dem das Parlament in Bern den Bau grosser Solaranlagen in den Bergen ermöglichen will. Das Projekt wäre damit nicht wirtschaftlich. Das EWZ rechnet mit Investitionskosten «im tiefen dreistelligen Millionenbereich».

Verzögerungen gefährden also das Vorhaben, etwa in Form von Rekursen. Just dieses Risiko hatte das EWZ 2023 bei Bernina Solar, einem anderen alpinen Solarprojekt in Graubünden, ausgemacht und deshalb darauf verzichtet, als Investor einzusteigen. Ausschlaggebend war die starke Opposition der Umweltverbände.

Ob Pro Natura notfalls juristisch gegen «Nandro Solar» vorgehen würde, ist offen. «Darüber können wir erst entscheiden, wenn uns sämtliche Unterlagen vorliegen, insbesondere auch die Umweltverträglichkeitsprüfung», sagt Geschäftsleiter Lenz. Touristiker Thomann dagegen sagt: «Die Bevölkerung wird entscheiden, und damit leben wir – das ist Demokratie.»

Zürcher Geld für Surses?

Für Surses geht es Ende Januar nicht zuletzt um eine neue Einnahmequelle. Das EWZ hat der Gemeinde eine Vergütung angeboten. Wie hoch diese ist, sagt das EWZ nicht. Bei einem ähnlichen Projekt in Scuol im Unterengadin wurde eine durchschnittliche Vergütung von 0,75 Rappen pro gelieferter KWh ausgehandelt. Für die Gemeinde Surses ergäbe das eine Entschädigung von rund einer halben Million Franken pro Jahr.

Gemeindepräsident Leo Thomann – ein Namensvetter von Touristiker Luzi Thomann – hat aber schon im September klargemacht, dass Surses gern etwas mehr hätte. Aus den Wasserzinsen bekommt Surses laut Leo Thomann rund 3 Millionen Franken pro Jahr, was etwa einem Zehntel des Gemeindebudgets entspricht. Das Projekt selber beurteilte Thomann positiv. «Ich fände es sehr schade, wenn wir das nicht realisieren könnten», sagte er im September.

Der Gemeindepräsident von Surses konstatiert mittlerweile jedoch, «dass viele wichtige Stakeholder sich eher kritisch zum Projekt äussern», darunter auch Landwirte. Hinzu kommt, dass die Stimmbevölkerung von Ilanz jüngst zwei Solarprojekte der Axpo abgelehnt hat. Dies habe «auch einen negativen Einfluss auf die Haltung der Stimmberechtigten von Surses», glaubt Leo Thomann.

Das EWZ plant nun nochmals eine Infoveranstaltung. Wer für das Vorhaben ist, streicht dessen Chancen nun umso stärker hervor: neben der Abgeltung etwa den Ausbau der Strasse zwischen Radons und Tinizong, neue Sessellifte, die in Radons die beiden Skilifte ersetzen könnten, sowie eine Verbesserung der Stromleitung, mit der sich in Radons neu Schneemaschinen betreiben liessen.

Viele Dächer ungenutzt

Ob diese Argumente genügend überzeugend sind, ist unklar. Die Gegner von «Nandro Solar» versichern derweil, sie stünden hinter dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie verweisen auf das Solarstrom-Potenzial auf Dächern. Allein in Graubünden liessen sich so 2,5 Terawattstunden (TWh) Strom produzieren, rechnet Lenz von Pro Natura vor.

Das ist mehr, als der Kanton Graubünden jährlich an Strom verbraucht (2 TWh). Und mehr auch, als das Parlament in Bern mit alpinen Freiflächenanlagen in der ganzen Schweiz bis 2030 erreichen will (2 TWh). Interessant auch dies: Würde man auf allen geeigneten Dächern und an Fassaden in Surses Solarstrom erzeugen, ergäbe dies laut Daten des Bundes eine Ausbeute von 84 Gigawattstunden pro Jahr, mehr also als mit Nandro Solar (68).

Armando Lenz kann nicht nachvollziehen, warum Bundesbern hohe Subventionen für potenziell schädliche Freiflächenanlagen spricht, statt die Fördermittel für Dachanlagen zu erhöhen.

Das EWZ entgegnet, es engagiere sich auch für den Ausbau der Fotovoltaik auf Dachflächen in der Stadt Zürich und in Teilen Graubündens auf anderen Infrastrukturanlagen. «Um die ambitionierten Ausbauziele zu erreichen, müssen sämtliche Potenziale genutzt werden», sagt Sprecher Graf. Mit dem Solarexpress habe das Parlament in Bern klare Rahmenbedingungen gesetzt. Das EWZ versuche, seinen Beitrag zu leisten, um die Erwartungen der Politik zu erfüllen.