Häuser ausserhalb der BauzoneBauernland viel stärker überbaut als bisher vermutet
Innerhalb von nur vier Jahren ist die Zahl der Gebäude ausserhalb der Bauzone um über 20’000 gewachsen. Umweltschützer sprechen von einer «völlig gescheiterten» Raumplanung – und fürchten Schlimmeres.
Eigentlich klingt es simpel. Es gibt Bauzonen, dort darf man Häuser bauen. Und es gibt das Gebiet ausserhalb der Bauzonen, das der Landwirtschaft und der Natur vorbehalten ist. In der Praxis allerdings ist die Trennung längst nicht so scharf. Tatsächlich hat sich die Siedlungsfläche schon vor langer Zeit weit in die Schweizer Äcker und Wiesen hineingefressen. Und wie ein neuer Bericht des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) nun zeigt, ist die Situation dramatischer als bisher angenommen.
Jahrelang ging man demnach davon aus, dass ausserhalb der Bauzonen insgesamt rund 595’000 Gebäude stehen. Diese Zahl wies das ARE in seinen bisherigen Standberichten aus, mit denen es seit 2011 alle vier Jahre die Situation dokumentiert. Zu einem guten Teil handelt es sich bei den betreffenden Bauten um uralte Bauernhäuser und Ställe, die lange vor der modernen Zonenordnung entstanden sind. Teilweise sind es aber auch neue und sogar illegal errichtete Bauwerke.
In der neuesten Ausgabe des Standberichts, erschienen im Mai, erfolgt nun auf einmal eine kräftige Korrektur nach oben. Die Rede ist jetzt neu von 618’000 Gebäuden ausserhalb der Bauzone. Gegenüber dem letzten Standbericht vor vier Jahren sind also 23’000 Bauten hinzugekommen – das entspricht, zur Einordnung, etwa dem gesamten Häuserbestand des Kantons Basel-Stadt. Der Zuwachs betrifft sowohl unbewohnte Ökonomiegebäude (+14’000) als auch Wohnhäuser (+9000). Am meisten Bauten ausserhalb der Bauzone verzeichnet der Kanton Bern.
In Fachkreisen rätselt man über die Ursachen für den Zuwachs. Marco Kellenberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im ARE, vermutet einen der Gründe in nachträglichen Gebäudemeldungen der Kantone und Gemeinden, die erst jetzt in der Statistik auftauchten. Zudem seien seit der letzten Erfassung in verschiedenen Fällen Gebäude «aufgeteilt» worden, weil es sich von der Definition her nicht um Einzelgebäude gehandelt habe. Kellenberger räumt aber ein, dass der Anstieg auch «auf reale Bautätigkeit» zurückgehen dürfte.
Für Raimund Rodewald sind die neuen Zahlen in jedem Fall eine «Katastrophe». Der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz sieht darin die «völlig gescheiterte Schweizer Raumplanung» gespiegelt. «Das Ausmass der Zersiedelung ist offensichtlich viel gravierender, als man uns in den letzten Jahren weismachen wollte.»
Und Rodewald fürchtet, dass es noch schlimmer kommen könnte. Schon übernächste Woche nämlich entscheidet der Nationalrat über eine bedeutsame Lockerung: Die zuständige Kommission beantragt, dass alte Ställe ausserhalb der Bauzone zu Wohnungen umgebaut werden können, sofern sie über die nötigen Erschliessungen verfügen. Mehr noch: Die Besitzer sollen die Ställe sogar abreissen und als Wohnhäuser wieder neu aufbauen dürfen. «Damit würde sich Bauernland endgültig in Bauland verwandeln», resümiert Rodewald.
Bauern gegen Bauern
«Das Gebäudevolumen ist ja schon vorhanden, und die Bauten müssen bereits erschlossen sein», kontert Manuel Strupler, Thurgauer SVP-Nationalrat und selber Landwirt. Strupler unterstützt den Antrag der Kommission: Er fände es «schade», wenn man die Ställe «einfach ungenutzt verfallen liesse».
Diese Ansicht teilen nicht alle Bauern. Der Schweizer Bauernverband lehnt den Vorschlag der Kommission ab. «Er geht aus unserer Sicht zu weit – auch wenn viele Landwirte finanziell profitieren würden», sagt Markus Ritter, Verbandspräsident und Mitte-Nationalrat.
Was aber sagen die Bauern Ritter und Strupler zu den 23’000 zusätzlichen Bauten ausserhalb der Bauzonen, die der neue ARE-Bericht ausweist? Zur Zersiedelung generell, die immer mehr Kulturland bedroht? Für Ritter und Strupler sind die Ursachen komplex. Beide weisen auf verschärfte Tierschutzvorschriften hin, die zuletzt den Bau neuer und grösserer Ställe nötig gemacht hätten. «Wir ersetzen derzeit gerade unseren alten Anbindestall durch einen neuen Laufstall. Da benötigt man doppelt so viel Platz pro Kuh», erzählt Ritter.
Grünliberaler fordert Rechenschaft vom Bundesrat
SVP-Politiker Strupler wiederum sieht eine zunehmende Verdrängung der Landwirtschaft aus den Wohngegenden. Das hänge mit dem Bevölkerungswachstum zusammen. «Wer den Landverbrauch eindämmen will, müsste deshalb auch die Zuwanderung begrenzen.»
Vorerst dürfte nun aber nicht die Zuwanderung, sondern das rätselhafte Wachstum um 23’000 nicht zonenkonforme Bauten politisch zu reden geben. Der Grünliberale Beat Flach will schon am Montag in der Fragestunde des Nationalrats vom Bundesrat darüber Rechenschaft einfordern.
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