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Feuerwerksindustrie in der Krise
Ausgeballert

Rechnet dieses Jahr mit einem Drittel weniger Umsatz: Toni Bussmann führt die Feuerwerkfirma Bugano.
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Der Luzerner Toni Bussmann schickt seine Raketen in die ganze Welt. Doch dieses Jahr vermiest ihm Corona das Geschäft. Der Scheich von Katar verzichtet auf die friedlichen Geschosse, die Bussmann und sein Team jeweils auf 17 Schiffen und einer grossen Insel zünden. Und auch in der Schweiz: Kein «Piuuu» in Zürich. Keine Eisfontäne in Arosa. Keine farbiges Schlussbouquet in Basel.

Toni Bussmann kurvt mit einem violetten Gabelstapler über den Vorplatz der Firma Bugano und lächelt, als habe er hinter dem Haus gerade mit Schwarzpulver getüftelt. Doch eigentlich hat er Grund zur Sorge. In gut 200 Schweizer Gemeinden schiesst Bugano gewöhnlich am 1. August Raketen in die Luft.

Dieses Jahr wegen des Versammlungsverbots nur in mickrigen 4, was den Jahresumsatz um ein Drittel schmälert. Zudem durchleben das Feuerwerk und Toni Bussmann gerade eine heftige Reputationskrise. «Lärm, Feinstaub, Abfall, geschockte Hunde, CO2, Verschwendung», sagen die Kritiker. «Lebensfreude», sagt der 70-Jährige.

Skeptische Schweizer

Fünf Jahre vor dem Mauerfall half Toni Bussmann beim Klangfeuerwerk des Künstlers André Heller mit. Zwei Millionen Menschen blickten in den Berliner Himmel und mussten sich danach erst mal wieder aus ihrem Inneren hervorkramen. «Das Feuerwerk war von einer kaum beschreibbaren Schönheit», sagt Bussmann. «Und du kannst es nicht wiederholen. Es ist einfach vorbei. Vorbei.»

Wenn Toni Bussmann in den violetten Gängen von Bugano über die Vergänglichkeit des Feuerwerks philosophiert, dann schwärmt er auch von den alten Zeiten. Früher, sagt er, hätten die Menschen noch still gestaunt. Bussmann will Momente kreieren, in denen man euphorisch taumelt, sich am Schluss in den Armen liegt und sagt, wie gern man sich hat und sein Land sowieso. Die Schweizer aber fragen sich am Ende, wie viel Steuergeld das Geklöpfe nun gekostet hat.

Bei der Firma Bugano ist alles violett, sogar die Steckdosen.

Ein Lastwagen hält am Mittwoch vor dem Nationalfeiertag auf dem Berner Waisenhausplatz. Hanspeter Krieg baut hier am frühen Morgen seinen Container auf, verkauft Kreationen, die Bugano exklusiv für ihn herstellt. Am besten laufe sein Zuckerstock «Venus vo Bümpliz», der goldige Sterne ausspucke.

Im Hauptgeschäft liegen eine Stunde vor Öffnung noch unausgepackte Kartonschachteln am Boden. Kriegs Handy klingelt, ein Lied von Status Quo, ein Mann ruft an und fragt, ob sein Feuerwerk auch wirklich morgen ankomme. «Ich bin gerade ziemlich gestresst, doch das ist schön», sagt Hanspeter Krieg. Der Verkauf sei gut angelaufen.

So viele Schweizerinnen und Schweizer wie noch nie weilen über den 1. August in der Schweiz, und es gibt fast keine öffentlichen Feuerwerke. Mit rund 15 Prozent mehr verkauftem Feuerwerk für den Garten als sonst rechnet er. Der grösste Händler Weco geht gar von einem Drittel mehr aus. In den USA ist der Konsum von Privatfeuerwerk am diesjährigen Nationalfeiertag um 40 Prozent gestiegen. «Corona mal ein bisschen vergessen», sagt Krieg. Die Probleme in den Himmel jagen. Für irgendetwas lebe man doch.

Auf dem Waisenhausplatz verkauft Hanspeter Krieg seine Kreationen in einem Container.

Neben Corona birgt für Knallfred und Bugano die Trockenheit das grösste Geschäftsrisiko. In beiden Basel sind Feuerwerke dieses Jahr beispielsweise nur in 200 Meter Entfernung zum Wald erlaubt. Am 1. August war in den letzten zwanzig Jahren gar in der ganzen Schweiz viermal komplettes Feuerwerkverbot. Für eine Branche, deren Kunden an einem Tag 80 Prozent des Jahresumsatz verballern, sind das Tiefschläge.

Doch nicht nur die Natur macht zu schaffen, sondern auch die Menschen distanzieren sich von der Leidenschaft von Toni Bussmann und Hanspeter Krieg. Die Hälfte der Migros-Genossenschaften kippte Vulkane und Raketen aus dem Sortiment: der Umwelt zuliebe. Der Gemeinderat der Stadt Bern hat die Corona-Krise zum Anlass genommen, das Spektakel auf dem Gurten ganz abzuschaffen. Und auch das Bundesamt für Umwelt (Bafu) empfiehlt den Gebrauch von Feuerwerk wegen des Lärms und der Umweltbelastung mit einem nicht gerade motivierenden Wort: zurückhaltend.

Streit um den Feinstaub

Der CO2-Ausstoss von Böllern sei marginal, sagte ETH-Klimaforscher Reto Knutti «20 Minuten». Ein grösseres Problem stellt hingegen der Feinstaub dar. Laut dem Bafu ist Feuerwerk für 2 Prozent des jährlichen Ausstosses verantwortlich, was bei empfindlichen Personen zu Atembeschwerden führen könne: eine Art 1.-August-Smog. «Kann nicht sein», sagt Toni Bussmann. Am Morgen nach dem Fest sei der Himmel wieder sauber. Der Verband der pyrotechnischen Industrie in Deutschland hat kürzlich Tests gemacht und auch den Feinstaub des Feuerwerks von Bugano gemessen. Die neue Studie geht von einem viel tieferen Ausstoss aus als bislang angenommen.

In der Feuerwerksfabrik, wo striktes Rauchverbot herrscht, läuft Toni Bussmann zu seinem Lieblingsraum. Er wartet kurz, um Spannung aufzubauen, öffnet dann die Türe: eine violette Maschine. Sie produziert aus Salpeter und Holzkohle eine Million Vulkane im Jahr, auch immer neue Erfindungen, wie den «Alpaka», der regenbogenfarbig sprüht.

«Ich bin rüüdig froh, dass ich mich für die Vulkanproduktion entschieden habe», sagt Bussmann, der hier manchmal auch selbst noch mischelt. Der Vulkan sei der perfekte Kompromiss. Ruhig. Nichts fliege weg. Sogar Hündeler und Grüne würden ihn akzeptieren. Und dennoch ist die Zukunft wegen Corona ungewiss. Kein Pyrokreisel über dem Bielersee. Kein «Frauenfurzgeruch» an den Weinfesten. Und was ist mit Silvester?

Eine Million Vulkane produziert die Firma Bugano im Jahr.

Kurzarbeit für seine gut 30 Mitarbeiterinnen musste Toni Bussmann bis jetzt nicht anmelden. «Da musst du durchhalten», sagt der Chef, und läuft ins Warenlager. Wer in andern Jahren die Elektrozünder für die grossen Gemeindefeuerwerke präpariert, hilft dieses Jahr hier mit. Bengalherzen, Vulkanfächer und Lampionstäbe türmen sich: Spass in Kartonschachteln verpackt. Die Regale, in denen sie liegen? Natürlich violett, wie alles, von der Steckdose bis zu den Poloshirts bei Bugano. «Die Farbe ist mir noch nicht verleidet», sagt Toni Bussmann.

Vor dem Lager trifft er einen Lastwagenfahrer. «Wo bisch gsi?» – «Basel bis Delsberg, schöni Strecki». Vor dem 1. August muss das ganze Feuerwerk raus: zu Aldi, zu den Drogerien, zu Privaten. Bussmann hofft, mit mehr verkauften privaten Feuerwerken wenigstens ein bisschen des Verlusts zu decken.

Arbeitslose Feuerwerker

Auch Hanspeter Krieg hat dieses Jahr schon schwere Zeiten erlebt. Anfang Frühling habe er Angst um seine Existenz gehabt, sagt Krieg. Der Laden zu. Alle Hochzeitsfeuerwerke abgesagt. Allein im Juli und August fielen 54 Feuerwerke weg. 200’000 Franken fehlen. Keine Pyrokreisel in Solothurn. Kein «Aah» am Lungernsee. Keine Kugelraketen in Flüelen.

Wegen Corona bangte Hanspeter Krieg um die Existenz seines Geschäfts.

Auf einer weissen Tafel stehen die fünf verbliebenen, offiziellen 1.-August-Feuerwerke. Thomas, ein Polizist, zündet für Krieg in Oberdiessbach, das macht er schon seit Jahren. Lehrerin Anna feuert in Tschuggen Raketen ab. Vielen anderen freischaffenden Feuerwerkern, die dafür extra einen Ausweis machten, musste Krieg dieses Jahr absagen.

Dann schon wieder Status Quo aus seinem Handy. Dieses mal der Inhaber eines neuen Ladens am Waisenhausplatz, der sich über den Verkaufscontainer beklagt. Nein, er könne ihn leider nicht umstellen. Ja, jetzt gehe halt mal vier Tage die Post ab. Schweigen in der Leitung. Kriegs Emmentaler Dialekt konnte fürs erste beruhigen.