Weissrussische AktivistinAus Not wurde sie zur Politikerin – und jetzt gründet sie eine Partei
Maria Kolesnikowa ist die bekannteste Oppositionelle, die noch auf freiem Fuss durch Belarus läuft. Mit ihrer Partei «Zusammen» fordert sie Machthaber Alexander Lukaschenko heraus.
Es war ein typischer Auftritt für sie, trotzdem war er besonders. Da läuft Maria Kolesnikowa in weissem Top vor den Präsidentenpalast in Minsk. Schwarz gekleidete Einsatzkräfte verbarrikadieren die Einfahrt, Männer mit dunklen Masken und Helmen. Sie haben Gitter und Wasserwerfer mitgebracht. Als müssten sie den Hausherren, Machthaber Alexander Lukaschenko, gewaltsam vor den Zehntausenden schützen, die gegen ihn protestieren.
Dabei halten die Demonstrierenden Abstand, nur Maria Kolesnikowa kommt nah an die Uniformierten heran. «Wird euer Chef mit mir sprechen?», fragt die Oppositionelle und läuft an der dunklen Wand aus Schutzschilden entlang, formt mit beiden Händen ein Herz, wie sie es häufig macht. Hell gegen Dunkel, Gut gegen Böse, miteinander reden, statt einander drohen. Die Künstlerin Kolesnikowa hat ein Gespür für Symbole. «Jungs, passt auf euch auf», sagt sie. «Wir retten euch, wir sind mit euch bis zum Ende.»
Ihr Beruf ist die Musik
Maria Kolesnikowa (38) wurde aus Not zur Politikerin, ihr Beruf ist die Musik. Sie hat in Minsk Querflöte und Dirigieren studiert, besuchte dann die Musikhochschule in Stuttgart und ist danach geblieben. Seit zwölf Jahren lebt sie in Deutschland, organisiert Kunstprojekte dort und in Belarus. So kam sie auch mit Wiktor Babariko zusammen, damals noch Bankdirektor und Kunstförderer. Er überzeugte sie vergangenes Jahr, das Kulturzentrum OK-16 in Minsk zu leiten, untergebracht in einer alten Fabrik, finanziert von seiner Bank. Seither ist Maria Kolesnikowa zwischen Stuttgart und Minsk gependelt, bis Corona das im März unmöglich machte.
Sie hält Pressekonferenzen, stellt sich mit dem Megafon vor streikende Arbeiter, ruft Protestierenden zu, friedlich zu bleiben.
Babariko war derjenige, der bei der Wahl gegen Alexander Lukaschenko antreten wollte. Er und sein Sohn wurden vorher festgenommen. Von da machte Kolesnikowa stellvertretend für ihn Wahlkampf, genauso wie Swetlana Tichanowskaja und Weronika Zepkalo für ihre Männer einsprangen. Swetlana Tichanowskaja war die einzige aus dem Trio, die kandidierte. Dennoch standen sie von da an zu dritt auf der Bühne, eine zeigte ein V für Victory, eine ballte ihre Faust. Mario Kolesnikowa formte ein Herz. Inzwischen ist sie die bekannteste Oppositionelle, die noch auf freiem Fuss durch Belarus läuft. Sie hält Pressekonferenzen, stellt sich mit dem Megafon vor streikende Arbeiter, ruft Protestierenden zu, friedlich zu bleiben. Manchmal stellt sie sich dazwischen, wenn die Leute den Stacheldrahtabsperrungen und den Soldaten in der Stadt zu nahe kommen. Sie schickt Botschaften an die EU, damit die sich nicht zu sehr einmischt. Sie sendet Signale nach Moskau, dass sie sich gute Beziehungen wünscht. Plötzlich steht sie auch auf der Weltbühne und muss aufpassen, den richtigen Ton zu treffen, damit ihrem Protest keine geopolitische Bedeutung aufgelastet wird.
Die Opposition ist wenig organisiert
Sie will deeskalieren und gleichzeitig den Druck erhöhen, aber eben nur auf einen Mann: Alexander Lukaschenko. Der spricht nun selbst von Dialog, das findet Maria Kolesnikowa zwar gut. Allerdings will Lukaschenko nur mit ausgewählten Vertretern von Studenten und Arbeitern reden, ein Scheindialog also. Sein Versprechen, die Verfassung zu reformieren, halten viele für Zeitschinderei.
Die Opposition rief daher am Dienstag alle Belarussen zum grössten Streik in der Landesgeschichte auf. Die Opposition, das ist derzeit eine breite gesellschaftliche Bewegung. Swetlana Tichonowskaja hat zwar einen Koordinierungsrat gegründet, der neue Wahlen organisieren soll und gegen den Lukaschenko strafrechtlich ermitteln lässt. Maria Kolesnikowa sitzt im Präsidium. Doch noch ist die Opposition wenig organisiert, ihre Kandidaten im Exil oder im Gefängnis.
Am Montag kündigte Maria Kolesnikowa an, eine Partei zu gründen. Sie soll «Wmestje» heissen, «Zusammen». «Hunderte und Tausende von Belarussen», sagt sie in ihrer Videobotschaft, seien bereit, «Verantwortung zu übernehmen und zusammen ein neues Belarus aufzubauen». Die Partei ist auch an Wiktor Babariko geknüpft, der vor seiner Festnahme selbst eine Botschaft aufgezeichnet hat. Er sagt darin, dass sie die Wahlen zwar nicht gewinnen konnten, aber trotzdem Reformen durchsetzen möchten. Eine hat sofort widersprochen: Ex-Kandidatin Swetlana Tichonowskaja will neue Wahlen, bevor es Reformen geben kann. Wie gut die Zusammenarbeit in Zukunft funktioniert, muss sich erst zeigen.
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