Eine Radtour quer durch die USAAug in Aug mit der Einöde
Unser Autor hat sich selber zum 60. Geburtstag ein spezielles Geschenk gemacht: die Durchquerung der USA – mit dem Velo.
Die USA mal ganz anders: Wer schon mal ferienhalber – vielleicht im Mietwagen oder Motorhome – über den ganzen Kontinent getourt ist, weiss, wie endlos die Distanzen da drüben sind. Die meisten können sich nicht vorstellen, eine solche US-Durchquerung ohne Motorkraft oder Flugzeug aus eigener Muskelkraft zu schaffen. Erst recht nicht alleine und ohne jegliche Begleitung.
Dabei ist alles nur eine Frage des Zeitbudgets – und der Ausdauer natürlich. Fährt man täglich locker verdauliche 100 Kilometer, braucht man für die gut 4700 Kilometer sechs Wochen. Für die Hälfte dieses Zeitaufwandes ergeben sich dann schon 200 Kilometer pro Tag. Will man sich unterwegs noch dies und jenes anschauen gehen, kommt noch einiges an Zeitaufwand dazu.
Wie auch immer, eine ultimative Radtour ist der Landweg von Ozean zu Ozean allemal. Unabdingbar sind dazu viel Geduld und – wie bereits angetönt – eine gesunde Portion Ausdauer. Denn eintönige Stunden sind in den endlosen Weiten der Südstaaten garantiert. Es ist eine Kriegserklärung an den inneren Schweinehund. Und der definitive Ausstieg aus der Komfortzone des luxuriösen Alltags.
Sportlich oder abenteuerlich?
Erst mal stellt sich die Frage nach dem Gepäck. Dessen Auswahl richtet sich weitgehend nach der Art, wie man durchs Land zu reisen gedenkt. Wenn es das Rennrad sein soll, sind je nach Ausdauer und Motivation rund 200 Kilometer pro Tag möglich. Eine mittelgrosse Satteltasche erzeugt keinen Luftwiderstand und ist mit maximal drei Kilo Zuladung ideal, um ordentlich vorwärtszukommen. Die Hälfte dieses Gewichts geht auf Reserveschlauch und -pneu, Pumpe und Schlüssel; der Rest auf einen Satz Reservekleider und Apotheke. Letztere besteht vorwiegend aus Sunblocker, Bepanthen und Babypuder; letztere beide zur Bewirtschaftung der «Infrastruktur in der Hose».
Ohne Sack und Pack gibt es kein Schlafsack-Biwak am Lagerfeuer, sondern jeden Abend ein Hotel- oder Motelzimmer (was das Reisebudget entsprechend anhebt). Die Suche von Unterkünften gehört somit zur Routenplanung; denn da kann schon mal im Umkreis von 100 Kilometern nichts sein als allenfalls ein heruntergekommener Tankstellenshop.
Die Routenwahl
RAAM. Das ist das Race Across America. Das längste Radrennen der Welt über 4700 km, das seit 1982 jedes Jahr im Juli stattfindet. Die Schnellsten sitzen in der Sommerhitze 22 Stunden täglich im Sattel und benötigen für die Strecke gerade mal acht Tage. Unvorstellbar, diese Qualen.
Doch zurück zu den «normalen» Umfängen: Wer sich nicht dieser grossen Hitze aussetzen will, wählt ein Reisedatum im Frühling oder Herbst aus. Dabei macht die Durchquerung vom Westen in den Osten Sinn, weil man auf diese Weise zum grössten Teil mit Rückenwind unterwegs ist.
Da im Frühjahr in den Rocky Mountains noch Winter herrscht, drängt sich eher eine südliche Route auf. Beispielsweise von Los Angeles der mexikanischen Landesgrenze entlang durch Texas und die Südstaaten nach Daytona Beach in Florida. Vom Pazifik zum Atlantik also. Das sind genau 4749 km. Bei einem Tagesumfang von gut 200 Kilometern ist diese Strecke in 23 Tagen machbar. Dieses Pensum erlaubt jedoch keinerlei zeitaufwendiges Sightseeing zwischendurch.
Nachdem ich das Verkehrsgetümmel des morgendlich vernebelten Los Angeles hinter mich gebracht habe, warten in den Hügeln von Südkalifornien bald schon die ersten Strassenumleitungen infolge von Busch- und Waldbränden. Eine solche Umleitung kann gut und gerne mal über 1500 Höhenmeter führen und zusätzliche 50 Kilometer zur Folge haben.
In Arizona und New Mexico warten immer wieder längere Teilstücke auf dem Interstate I-10 – einer der verkehrsreichsten Autobahnen der USA. Richtig: Mangels Alternativrouten ist das Befahren des Interstate I-10 in diesen zwei US-Bundesstaaten für Radfahrer legal – erfordert aber einiges an Mut und Nerven. Da wären zum Beispiel die Trucks, die mit 110 Stundenkilometern zuweilen recht nahe an einem vorbeidonnern. Nicht sehr entspannend.
Klar kann man diese Gefahr reduzieren, indem man auf dem mit Scherben, Steinen, Drähten, zerrissenen Reifen und anderem Müll übersäten Pannenstreifen fährt. Dann aber unbedingt ein Zehnerpack Reserveschläuche mit einpacken.
Die Orientierung
Noch bis vor wenigen Jahren hätte man diese Tour mit gedrucktem Kartenmaterial bewältigt. Heute wären Karten – digitale Technik sei Dank – nur unnötiger Ballast: Während der Fahrt erweist sich beispielsweise «MapsMe» als ideale Navigations-App. Wenn man deren zuweilen etwas störrische «Logik» etwas kennt, erlaubt sie zügiges Vorwärtskommen und zeigt einem zuverlässig den schnellsten Weg über wenig frequentierte Landstrassen und auch zu einer Unterkunft.
Die App führt mich gerade in Texas und Louisiana über unsagbar schöne, kaum befahrene «Farm Roads». Leider sind diese denn auch für Farmer und ihre breit bereiften Karren gebaut. Die extrem raue Oberfläche ist nicht gerade der Feinbelag, den sich ein zarter Rennveloreifen wünscht. Die am Abend schmerzenden Handgelenke sind die Quittung für die stundenlange Rüttelei. Dies ist der Preis für die Idylle.
Herausfordernd und nervenaufreibend sind auch die unzähligen Hunde, die bei fast jeder Farm vom Jagdtrieb geweckt die Verfolgung aufnehmen. Hier hilft nur ein herzhafter Zwischenspurt, um die zwar antrittsschnellen, aber nicht gerade ausdauernden Köter abzuhängen – Ruhe bis zur nächsten Kurve, wo bereits deren Nachbarn lauern.
Die volle Aufmerksamkeit der Hundertschaften an Kühen, Kälber und Munis auf den endlosen Weiden der Ranches sind im Vergleich dazu eine echte Erholung für die Nerven. Die weidenden Tiere vergessen doch tatsächlich beim Anblick des Radreisenden, dass sie eigentlich am Grasen sind, und sprinten oftmals freudig bis zum nächsten Zaun mit – offensichtlich völlig entzückt, dass endlich mal was läuft.
Trocken und tropisch feucht
Quer durch den Kontinent durchstreift der Radreisende verschiedene teils extreme Klimazonen. Nebel und Feuchtigkeit an der Pazifikküste von Los Angeles, trockene Hitze und Wüstensturmwinde wie ein heisser Haarföhn in Arizona und New Mexiko.
Ab Texas sind Tornados ein Thema. Was, wenn man mit dem Velo in der Prärie draussen steht und es im Umkreis von 20 km kein schützendes Hausdach gibt? Auch bauen sich in der Ebene der Südstaaten aus heiterem Himmel spontane Hagelgewitter auf. Schlagartig wird es plötzlich finster, der eh schon starke Wind dreht weiter auf und wird fast schon orkanartig. Dann giesst es waagerecht wie aus Kübeln, gefolgt von einer Minute lang ganz kleinen, aber giftig pieksenden Hagelkörnern. Und von einem Moment auf den anderen: fertig. Die Sonne scheint wieder, wie wenn nichts gewesen wäre.
Das Mississippidelta hält dem strampelnden Radreisenden tropisch feuchtes Klima bereit. Alles, was nass und klebrig ist, bleibt nass und klebrig. Und spätestens in Florida macht sich zunehmend der Ostwind vom Atlantik her bemerkbar. Willkommen im Schlussteil. Willkommen im Gegenwind. Tagelang. Am besten einfach Hirn ausschalten. Mit dem baldigen Ende in Sicht sind die schwierigen Umstände auszuhalten. Genauso wie der Verkehr, der in Florida enorm dicht ist.
Beim Einbiegen zum Daytona Beach, dem «berühmtesten Strand der Welt», machen sich enorme Glücksgefühle breit. Aber es sind vor allem Gefühle der Befreiung und Erleichterung, dass der endlose Ritt endlich vorüber ist. Rennvelo und Fahrer sehen aus wie Schweine – voller (Ketten-)Öl, Strassendreck und Babypuder.
Infos: cyclingacrossusa.com/de, raceacrossamerica.org, www.usatipps.de/bundesstaaten/suedstaaten/texas/, wyndhamhotels.com/super8, motel6.com
Fehler gefunden?Jetzt melden.