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Volkskongress in China
Auf Hongkongs Demokraten kommen harte Zeiten zu

«Aussergewöhnliche Massnahmen für ungewöhnliche Zeiten»: Chinas Parteichef Xi Jinping (links) und Premier Li Keqiang.
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Man darf es als die erste Botschaft verstehen, die Chinas politische Führung am Freitag vom Nationalen Volkskongress sendete. Unter dem roten Stern an der Decke der Grossen Halle des Volkes, der für die absolute Führerschaft der Partei über das Land steht, trugen die höchsten Parteivertreter keine Atemschutzmaske. Die 3000 Abgeordneten des chinesischen Scheinparlaments dagegen, die ihnen gegenübersassen, waren zum Tragen verpflichtet. Doch in Zeiten, in denen der Kampf gegen die Pandemie zu einem Wettstreit zwischen den Systemen geworden ist und Xi Jinpings Gegenspieler Donald Trump im Weissen Haus zwar eine Maskenpflicht für seine eigenen Mitarbeiter verhängt hat, selbst aber keine Maske trägt, wollte Peking offenbar nicht den Eindruck vermitteln, den USA in etwas nachzustehen.

Ohne Zweifel war Chinas Führungsspitze bei der Eröffnung des Nationalen Volkskongresses, seines wichtigsten politischen Treffens des Jahres, darum bemüht, den Eindruck von Kontrolle zu vermitteln. Das Land befindet sich in der Corona-Pandemie fast wie inmitten eines perfekten Sturms.

Mächtig wie nie

Wie gross der Kontrollzwang ist, zeigte am Freitag schon die erste grosse politische Entscheidung, die Peking rund um den Volkskongress bekannt gegeben hat: ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong, das in der früheren britischen Kronkolonie das Ende der Formel «Ein Land, zwei Systeme» einläutet, eine Abmachung, die Grossbritannien und China in den 1980er-Jahren gemeinsam gefunden hatten und die der Stadt viele freiheitliche Grundrechte zusichert – offiziell noch bis 2047.

Zu Hause hat das Land zwar bereits den Sieg über das Virus verkündet, doch global steigen die Opferzahlen der Pandemie weiter, die in Wuhan in Zentralchina begonnen hatte. Inzwischen sind global 330’000 Menschen an Covid-19 gestorben. Mehr als fünf Millionen sind infiziert. China scheint zwar aussenpolitisch mächtig wie nie zu sein, inszeniert sich global als handlungsfähigster Akteur in der Krise, tritt mit Aggression und Selbstvertrauen auf. Hongkong ist der beste Beweis, dass Peking nicht nur versucht, sich als geschickten Krisenmanager darzustellen, sondern auch keine Gegenwehr akzeptiert gegen den Machtanspruch der Partei. Doch viel davon ist auch politisches Theater für das Publikum zu Hause. Hinter den Kulissen kriselt es. Parteichef Xi selbst sprach kurz vor der Versammlung von einer «nie da gewesenen Herausforderung» für das Land.

Mit Schweissperlen auf der Stirn sprach Li Keqiang über «Entwicklungen», mit denen das Land konfrontiert sei.

Es sind diese Herausforderungen, die gleich beim ersten wichtigen Auftritt am Freitag, beim Regierungsbericht von Ministerpräsident Li Keqiang, in der Grossen Halle des Volkes nicht zu überhören waren. Die Rede des zweiten Mannes hinter Xi Jinping fiel mit rund einer Stunde ungewöhnlich kurz aus. Mit Schweissperlen auf der Stirn sprach er über «Entwicklungen», mit denen das Land konfrontiert sei. In der Krise haben in China Millionen Menschen ihre Jobs verloren. Gnadenlos hat sie die Schwächen des Sozialsystems offengelegt. Aber das Land sei bereit, Milliarden bereitzustellen, versicherte Li. «Aussergewöhnliche Massnahmen für ungewöhnliche Zeiten.»

Der kurze Auftritt hätte wohl kaum weiter entfernt sein können von dem, was sich Chinas Parteispitze wohl noch vor einem Jahr von diesem Tag erträumt hat. Der diesjährige Nationale Volkskongress hätte ein vorläufiger Höhepunkt in der Amtszeit von Parteichef Xi Jinping werden sollen. Im kommenden Jahr feiert die Kommunistische Partei ihr hundertjähriges Bestehen. Danach will der Parteichef seine dritte Amtszeit antreten. Dafür hat er die Amtszeitbeschränkung aus der Verfassung streichen lassen. Vor dem runden Geburtstag sollte das Land zudem nicht nur die absolute Armut im Land besiegt haben, sondern auch das Pro-Kopf-Einkommen seit 2010 verdoppeln. Beides zentrale Meilensteine auf dem Weg zum Wiederaufstieg der chinesischen Nation zu einer Weltmacht, dem chinesischen Traum, den Xi Jinping zu seiner politischen Vision gemacht hat.

Hongkongs pekingtreue Regierungschefin Carrie Lam.

Das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong dürfte aber zumindest der Versuch sein, das wichtigste Ziel Chinas unter Herrschaft Xi Jinpings sicherzustellen, das der nationalen Einheit. Die Gesetze sollten Abspaltungen, ausländischen Einfluss, Terrorismus und alle aufständischen Aktivitäten verbieten, die den Sturz der Zentralregierung zum Ziel hätten, erklärte Peking. Auch ist geplant, dass chinesische Sicherheitsorgane «wenn nötig» eigene Aussenstellen in Hongkong einrichten, «um die betreffenden Verpflichtungen zur Sicherung der nationalen Sicherheit nach dem Gesetz zu erfüllen». Das neue Gesetz, das vom Volkskongress abgesegnet wird, dürfte der Versuch sein, eine langfristige Lösung für die frühere britische Kolonie zu finden.

Millionen Menschen auf der Strasse

China hat insbesondere den USA und Grossbritannien während der monatelang andauernden Massenproteste in der chinesischen Sonderverwaltungszone im vergangenen Jahr wiederholt vorgeworfen, Unruhen in Hongkong zu schüren. Dort waren seit vergangenem Juni Millionen Menschen auf die Strasse gegangen, um gegen den wachsenden Einfluss Chinas in ihrer Stadt zu protestieren. Ausgelöst hatten die Proteste die Pläne der Stadtregierung, ein Auslieferungsabkommen mit Festlandchina zu schliessen. Die Demonstrationen waren im Herbst immer gewaltsamer geworden. Ein zwischenzeitlicher Höhepunkt waren die Ausschreitungen am 1. Oktober, als in Peking parallel die 70. Gründungsfeier der Volksrepublik stattfand. Die Bilder aus Hongkong waren in Peking als eine tiefe Schmach empfunden worden.