Auf der Leiter zu den Träumen
Eine Vertikalseilartistin aus den USA, ein Clown aus dem Tessin, ein Akrobat aus Frankreich. Alle drei haben dieselbe Leidenschaft, alle drei treten ab Mittwoch im Circus Monti auf dem Teuchelweiher auf und alle drei sind schon oft gefallen, um in der Zirkuswelt nach oben zu kommen.

Das Programm des Circus Monti heisst dieses Jahr «Dreambox». Der Zirkus selbst ist für viele Menschen eine «Traumbüchse». Doch ist es wirklich traumhaft, innerhalb dieser «Dreambox» zu leben und zu arbeiten?
Davide Romeo, Clown: Ja, sicher. Dieser Begriff passt sehr gut, denn ich habe das Gefühl im Zirkus drin leben wir wie in einer eigenen «Box», abgeschnitten vom normalen Leben zu Hause. Und mit dem Zirkus auf Tournee zu gehen ist wie ein Traum, wie ein Abenteuer. Aber man darf nicht alles schönreden: Das Zirkusleben ist nicht nur traumhaft, sondern manchmal auch hart und anstrengend.Nicolas Provot: Genau. Es ist eine harte, herausfordernde Traumbüchse.Una Bennett: Ja, es ist beides. Auf der einen Seite harte Arbeit, jeden Tag in der Manege zu stehen, auf der anderen Seite ein Traum. In einem grossen Zelt aufzutreten und im Wohnwagen im Zirkustross zu leben, ist etwas, das ich schon immer machen wollte.
Sind Sie das erste Mal mit einem grösseren Zirkus auf Tournee, mit Zelt und allem drum und dran?
Bennett:Erstmals für längere Zeit. Als Jugendliche war ich schon bei Sommerprojekten für zwei Monate dabei. Diesmal ist es grösser, und erstmals ganz so, wie ich es mir früher vorgestellt habe.Provot:Ich war in Kanada schon einmal sechs Monate auf Tournee. Der Circus Monti ist nun aber noch eine Stufe grösser. Und ja, es ist genau wie ich es mir vorgestellt habe.
«Natürlich gibt es Shows, bei denen nicht alles so funktioniert, wie wir uns das wünschen.»
Stehen Sie nicht unter grossem Druck, täglich eine Show «abzuliefern»?
Romeo: Ich versuche, jede Vorstellung so speziell wie die erste zu machen. Natürlich gibt es dabei Shows, die besser laufen, und solche bei denen nicht alles so funktioniert, wie wir das gerne hätten. Manchmal geht das Publikum besser mit, manchmal weniger, manchmal sind mehr Kinder da…
Ist es schwieriger für Kinder zu spielen?
Provot:Nein, aber die Kinder reagieren wohl unmittelbarer. Wenn ihnen etwas nicht gefällt, merkst Du es sofort, wenn sie es lustig finden, aber auch.Bennett:Die Atmosphäre im Zirkuszelt ist jedesmal anders. Wenn es heiss ist, sind wir alle aufgeheizt, was gut ist, wenn es kalt ist, wird es wieder neu sein. Das Spezielle ist, dass wir alle zusammen unter dem Zeltdach unterwegs sind, auch wieder wie in einer Büchse. Und so entsteht jedesmal eine andere Vorstellung.
Aber es ist doch viel Routine dabei, wenn man jeden Tag dasselbe vorführt.
Provot: Ich nehme mir vor, in jeder Vorstellung etwas Neues zu entdecken oder etwas anderes auszuprobieren. Das kann eine kleine Geste sein, ein Blick, ein Moment, der anders ist als gewohnt.Romeo: Das Programm und die grosse Struktur sind immer gleich. Aber mit den kleinen Dingen kann man spielen, das macht die Vorstellungen lebendig.
Una Bennett, sie treten am Vertikalseil auf. Das sieht ziemlich gefährlich aus. Haben Sie nie Angst herunterzufallen?
Bennett: Ich arbeite mit dem Seil, seit ich acht Jahre alt bin. Ich fühle mich darum sehr sicher. Ich merke auch sofort, wenn etwas nicht gut läuft und kann das gleich korrigieren. Für mich ist das also nicht so gefährlich. Zudem habe ich ja auch eine Matte zur Absicherung.
Fallen Sie nie runter?
Bennett: Nein, bis jetzt bin ich in einer Vorstellung noch nie gefallen. Im Training schon, doch da übe ich die gefährlichen Nummern in geringer Höhe. Da passiert nichts. Ich habe ja auch gelernt zu stürzen: Ich mache mich steif wie ein Brett. Dann plumpse ich weich in die Matte wie in ein Bett.Provot: Oh ja, das stimmt: Man lernt zu fallen. Ich weiss nicht, wie oft ich schon gestürzt bin…
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Davide Romeo auf dem Weg vom Wohnwagen in die Manege...
Ihre Spezialität ist es, auf einer frei stehenden Leiter zu balancieren.
Provot: Ja und beim Üben stürze ich immer wieder mal. Einmal habe ich mich auch etwas schwerer verletzt. Ich hatte ein Schädeltrauma, das ist fünf Jahre her.
Da konnten Sie länger nicht mehr auftreten?
Provot: Ja, ich habe zwei Tage pausiert.
Zwei Tage?
Provot: Ja. Danach ging es schon wieder.Romeo: Ihr beide stürzt nie auf der Bühne. Ich als Clown falle in jeder Vorstellung hin. Ich könnte Euch da einiges beibringen...
Sie alle drei stammen nicht aus Zirkusdynastien, wie das sonst bei Artisten oft der Fall ist. Wie sind Sie denn überhaupt zur Zirkuswelt gekommen?
Bennett: Ich bin in Seattle aufgewachsen, dort gibt es oft Strassentfestivals mit vielen Künstlern auf der Gasse. Das hat mir immer gefallen. Mit sechs habe ich dann erstmals einen Zirkuskurs besucht, zusammen mit meinem älteren Bruder. Von da an haben wir beide einfach immer weitergemacht, zuerst als Hobby, dann an der Zirkusschule in Montreal.
Und Sie haben nie gezweifelt?
Bennett: Nein, es hat mir immer gefallen. Und es gefällt mir jetzt noch, auch das Leben, das es mit sich bringt.
Nicolas Provot, Sie haben zuerst begonnen, Ökonomie zu studieren. Sie könnten jetzt Manager sein…
Provot: Nein! In Ökonomie war ich nicht gut genug. Ich habe zunächst mit Kunstturnen angefangen. Doch dann schloss der Turnverein in der Stadt, und ich wechselte in eine Zirkusschule. Zunächst war das nur zum Spass, als Zeitvertreib, doch danach war ich immer häufiger da und gleichzeitig hat mich sonst keine Ausbildung begeistert. So habe ich dann eine Zirkusausbildung begonnen.
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Nicolas Provot hat zum Glück ein Auto mit Dachfenster.
Sie wollten nie zurück ins Wirtschaftsstudium?
Provot: Auf keinen Fall. In der Zirkusschule habe ich gleich diesen «Esprit» gespürt, wie in einer grossen Familie. Da wollte ich nicht mehr weg.
Davide Romeo, Sie haben die Scuola Teatro Dimitri im Tessin besucht.
Romeo: Ja, davor war ich an der Rudolf-Steiner-Schule. Du doch auch, Una?Bennett: Ja, das stimmt.Romeo: So hatte ich schon in der Schule viel mit Kunst zu tun. In der achten Klasse spielten wir ein Theaterstück und ich sagte: Wenn das gut läuft, dann werde ich Schauspieler. Das Projekt war ein Erfolg, und seither bin ich auf diesem Weg. In der Dimitri-Schule habe ich dann eine ganz neue Welt entdeckt: Bewegungstheater, Tanz, Akrobatik, Slapstick. Ehrlich gesagt muss es für mich auch nicht unbedingt Zirkus sein. Mir gefällt das ganze Showbusiness, vom Film über den Zirkus bis zum Theater.
Für Sie beide ist der Zirkus das Ziel?
Provot: Ja, für mich schon. Ich möchte Teil einer Zirkustruppe sein, die mit einem Zelt und Wagen auf Tournee geht. Es muss auch nicht ein so grosses Zelt sein, wie dieses hier beim «Monti». Hauptsache wir sind zusammen unterwegs. Es gefällt mir auch, verschiedene Dinge auszuprobieren: Cabaret, traditionelle Nummern, moderne Stücke. Da ist für mich alles möglich.Bennett:Nach der Zeit beim Circus Monti, bin ich zwei Jahre beim Cirque Ëloize aus Kanada engagiert, die weltweit in Theatern auftritt. Danach würde ich gerne einmal, wenn das ginge, zusammen mit meinem Bruder arbeiten, der auch Vertikalseilartist ist. Sowieso will ich unbedingt wieder in einem Zirkuszelt auftreten, und mit einem Wohnwagen unterwegs sein, einem Zuhause, das man überall hin mitnehmen kann.
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Una Bennet wirbelt am Vertikalseil durch die Luft.
Wie lange kann man denn als Artistin oder Artist arbeiten?
Bennett:Wenn man nett zu sich und seinem Körper ist, kann man lange auftreten.Romeo: Wie alt ist denn die älteste Vertikalseilartistin, die Du kennst?Bennett:Ich würde mal sagen, mit 45 mache ich vielleicht nicht mehr ganz alle Tricks…Romeo:Mein Ziel ist es, später als Schauspieler und Regisseur zu arbeiten, eigene Filme zu drehen. Ich komme aus Locarno, einmal da einen Film zu zeigen, wäre ein grosser Traum. Doch im Moment geniesse ich das Zirkusleben.
Ist das Hippie-Leben im Wohnwagen, denn wirklich so speziell?
Bennett: Was heisst da Hippie-Leben? Zirkusse waren schon Jahrzehnte vor den Hippies unterwegs!Provot:Das Zirkusleben ist wirklich eine Dreambox.Bennett:Wir sind eine kleine Gemeinschaft, alle mit derselben Leidenschaft. Nicht nur die Artisten, auch die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Zelt aufstellen oder an der Kasse stehen.Romeo: Auf Tournee wird der Zirkus zu einem kleinen Dorf. Wir haben sogar unsere Gassen zwischen den Wohnwagen. Einige haben Tischchen und Sonnenschirme rausgestellt, manche haben Blumenkästen. Una hat sogar ihren Garten mit dabei.
Einen Garten?
Bennett:Ich habe ein paar Töpfe mit Erdbeeren.
Die Sie ernten können?
Romeo:Ja, sie erntet sie, und es wachsen immer neue.Bennett:Ich habe auch ein paar Tomaten. Während den Umzügen packe ich Sie in Plastiksäcke und stelle sie im Wohnwagen ins Badezimmer.
«Kürzlich hatte ich Fieber und musste trotzdem auftreten. Was will man machen? On n'a pas le choix.»
Das tönt ja schon wieder traumhaft. Gibt es denn nie schlechte Tage im Zirkusdorf?
Provot:Also ich hatte kürzlich einen ganz schlechten Tag. Ich hatte Fieber, war körperlich einfach nicht bei 100 Prozent. Und trotzdem musste ich auftreten. Das war hart, doch was will man machen? Man hat keine Wahl.Bennett:Wir haben alle unseren Hochs und Tiefs. Doch das Besondere ist, dass wir im Zirkus eine Gemeinschaft sind, die alles zusammen durchsteht.Romeo:Und beim Zirkus Monti ist speziell, dass nicht einfach jeder seine Nummer abspult. Die ganze Vorstellung ist ein Stück, das wir gemeinsam gestalten.
Zum Schluss noch: Reich wird man nicht als Zirkusartist, oder?
Bennett: Ich weiss nicht, was «reich» bedeutet.Romeo: Mein Abschluss an der Theaterschule liegt nun fünf Jahre zurück. Bis jetzt geht es mir gut. Wenn ich eine Familie ernähren müsste, würde ich wohl ein bisschen leiden. Aber so weit geht es, manchmal besser, manchmal schlechter.Bennett:Vielleicht übernimmt man zwischendurch mal einen Job, der besser bezahlt ist, dafür aber weniger Spass macht, damit man sich danach wieder eine ein eigenes Projekt oder wieder eine Tournee mit einem kleineren Zirkus leisten kann.Provot:Ich bin keiner, der andauernd sein Geld zählt. Ich bin wohl eher der Typ, der von Tag zu Tag lebt.Romeo:Man kann es auch so sagen: Das Geld wird uns nicht stoppen.
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