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Meinung

Kommentar zur Political Correctness
Auf dem Weg zur sexualisierten Normsprache

Zwei Männer, eine Tochter – Geschlechterrollen verändern sich. Aber muss die Sprache das auch?
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Lohnt es sich noch, über den richtigen Sprachgebrauch zu streiten? Hat sich das Genderdeutsch nicht überall durchgesetzt, im Politikerdeutsch, in Behördenanweisungen, Universitätsleitfäden, bald sicher auch in dieser Zeitung? RTS begegnet dem Sexismus-Skandal im eigenen Unternehmen mit Vorschriften zur «geschlechtergerechten Sprache», und «20 Minuten», unser Schwesterblatt, richtet ein 21-köpfiges «social responsibility board» ein, eine Kommission, die sich unter anderem um eine «politisch-gesellschaftspolitisch neutrale, nicht verletzende Sprache» kümmern soll. Wie diese aussieht, wird bald ein «manual» erklären.

Nicht verletzen: ein schönes Vorhaben. Vermutlich erschöpft es sich wie überall in detaillierten Vorgaben, jede Formulierung so lange zu drehen und zu wenden, bis unmissverständlich, ausdrücklich und stets beide Geschlechter genannt sind. Und weil «beide» all diejenigen «verletzt», die sich weder als Männer noch als Frauen definieren, sondern anders respektive «divers», wird es auf den Genderstern hinauslaufen. Die künftige Normsprache wird also eine sexualisierte sein: Jeder Satz, egal, zu welchem Thema, führt dann neben seiner sachlichen Aussage eine laute Unterstimme mit sich, die sagt: Achtung, es gibt Männer und Frauen und Diverse, und sie sind alle gemeint!

Viele, denen an Gleichberechtigung gelegen ist, setzen bei der Sprache über die Dinge an statt bei den Dingen selbst.

Dahinter, überhaupt hinter der ganzen Genderei, steckt ein ehrenwertes Anliegen, das von dem unbestreitbaren Befund ausgeht, dass Frauen in unserer Gesellschaft nicht den Platz besetzen, der ihnen aufgrund ihrer Anzahl und ihrer Gleichwertigkeit zustünde: mindestens die Hälfte aller guten Jobs, einflussreichen Posten et cetera. Woran das liegt? Nicht zuletzt daran, dass meist Männer diese Jobs, Posten et cetera innehaben und sich untereinander weiter zuschanzen. Das ist so, und um das zu ändern, muss man viele harte politische Bretter bohren. Papier ist da leichter zu durchlöchern. Deshalb setzen so viele, denen an Gleichberechtigung gelegen ist, bei der Sprache über die Dinge an statt bei den Dingen selbst. Nach dem Motto: Sprache prägt Denken, Denken verändert die Wirklichkeit – also führt das Gendern direttissimo zu einer frauenfreundlichen Welt.

In kaum einer Argumentation, die so verfährt, fehlen als wissenschaftliche Belege sogenannte Assoziationstests, nach denen etwa Berufsbezeichnungen im generischen Maskulinum («Ärzte kämpfen verzweifelt um den Todkranken») das Bild einer Männergruppe hervorrufen und junge Mädchen deshalb gar nicht auf die Idee kämen, Medizin zu studieren. Zwar ist erstens, in diesem Beispiel, das Gegenteil der Fall (Medizin studieren mehr junge Frauen als Männer), zwar wird zweitens, wenn ich zum Chef sage «Ich habe einen Arzttermin», dieser durchaus für möglich halten, dass es sich um eine Ärztin handelt, zwar stehen drittens diese Assoziationsstudien auf dürftigstem empirischem und methodischem Grund. Aber egal: Wenn in vorbildlich gegenderter Sprache «Ärzte und Ärztinnen» verzweifelt um den Todkranken kämpfen, ist der Schwerpunkt der Aussage endlich da gelandet, wo er hingehört: nicht bei der Rettung, sondern der genderkorrekten Zusammensetzung der Rettergruppe.

Die Vorstellung, durch richtiges Sprechen richtiges Handeln beeinflussen, ja erzwingen zu können, ist so realitätsfremd wie latent repressiv.

Es gibt Sprachen wie das Türkische, die keine Geschlechtermarkierung kennen, also vorbildlich neutral sind; Frauen und Diversen geht es dort nicht wirklich besser. Dass Sprache Denken prägt, trifft zu – aber auch etwas daneben. Es gibt allerlei Denkprozesse, die unter, vor oder hinter der Sprache herlaufen (das weiss jeder Mathematiker, jeder Musiker). Die Vorstellung, durch richtiges Sprechen richtiges Handeln beeinflussen, ja erzwingen zu können, ist so realitätsfremd wie latent repressiv. In George Orwells Terrorstaat Ozeanien («1984») sollte es durch das Verbot und die Umwertung von Wörtern, durch «Newspeak», unmöglich werden, «falsche» Gedanken überhaupt zu denken.

Eine sanfte Form von «Newspeak» begegnet uns in den Euphemismen (Schönfärbungen) der Werbe- und Managementwelt, die Mitarbeiter «freisetzen» und ganze Abteilungen «verschlanken», ohne dass die einen hinterher frei oder die anderen schlank sind. Oder die Ältere, wegen ihrer Kaufkraft, zu «Best Agern» erklären, obwohl deren beste Jahre vielleicht eher in der Jugend lagen. All das Formulierungen, die nicht «verletzen». Aber sie lügen.

Klar, wer gendert und dies von anderen verlangt, will weder eine Diktatur noch ein Reich der Lüge. Hat aber von beidem etwas: den sprachlichen Dirigismus und die Illusion, eine bessere Welt liesse sich durch Benennungszauber schaffen.