«Massentötungen» an jemenitischer GrenzeSaudische Grenzwächter erschiessen laut Bericht Hunderte Migranten – auch Kinder
Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ereignen sich an der Grenze Saudiarabiens grausame Massaker. Augenzeugen berichten.

Saudische Grenzschutzbeamte haben Human Rights Watch zufolge Hunderte äthiopische Migranten und Asylsuchende getötet, die versucht haben, die saudisch-jemenitische Grenze zu überqueren.
Menschen sollen aus nächster Nähe erschossen worden sein, darunter auch Kinder, hiess es in dem am Montag veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Überlebende berichteten unter anderem von Schusswaffenangriffen, bei denen saudiarabische Grenzschützer äthiopische Migranten gefragt hätten, in welches Körperteil sie «am liebsten geschossen werden möchten».
Eine 20-Jährige aus der äthiopischen Region Oromia sagte HRW, die Grenzbeamten hätten auf eine Gruppe von Migranten geschossen, die sie gerade aus dem Gewahrsam entlassen hatten. «Sie haben das Feuer wie Regen auf uns niedergehen lassen», sagte sie demnach. «Ich sah einen Typen, der nach Hilfe rief, er hatte beide Beine verloren. Er schrie, er sagte: ‹Lasst Ihr mich hier? Bitte lasst mich nicht hier›. Aber wir konnten ihm nicht helfen, weil wir um unser Leben rannten.»
In dem HRW-Bericht wurde der Zeitraum zwischen März 2022 und Juni 2023 untersucht. Aktuelle Untersuchungen von HRW deuteten aber daraufhin, dass die Tötungen weiterhin stattfinden.
«Leichenberge entlang der Migrationsroute»
Die Vorwürfe stützen sich dem Bericht zufolge auf 38 Zeugeninterviews sowie Satellitenbilder und in Online-Netzwerken veröffentlichte Aufnahmen. Alleine aus den Zeugenaussagen gingen mindestens 28 «Vorfälle mit Schusswaffen» hervor – darunter Angriffe mit Mörsergeschossen.
Asylsuchende und Migranten sagten, die Migrationsroute zwischen dem Jemen und Saudiarabien sei «voll von Missbrauch» und unter der Kontrolle von Menschenhändlern.
«Was wir dokumentiert haben, sind im Wesentlichen Massentötungen.»
Augenzeugen berichteten den Menschenrechtlern von Leichenbergen entlang der Migrationsroute. «Wenn die saudischen Sicherheitsbeamten eine Gruppe (Migranten) sehen, schiessen sie ununterbrochen», sagte eine der Überlebenden den Helfern. Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation zufolge hätten die saudischen Beamten Hunderte – «möglicherweise Tausende» – Migranten in dem Grenzgebiet getötet.
Human-Rights-Expertin und Hauptautorin des HRW-Berichts Nadia Hardman sagte gegenüber BBC: «Was wir dokumentiert haben, sind im Wesentlichen Massentötungen». Auch der Versuch Saudiarabiens, sein Image mit dem «milliardenschweren Aufkauf von Golfevents, Fussballclubs und grossen Shows» aufzuwerten, dürfe «nicht von diesen schrecklichen Verbrechen ablenken».
Konflikt im Jemen seit 2014
Eine Quelle aus der saudiarabischen Regierung sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass den Anschuldigungen nicht zu trauen sei. Die Vorwürfe im HRW-Bericht seien «unbegründet und beruhen nicht auf verlässlichen Quellen». HRW erklärte, auf Anfragen an offizielle Stellen in Riad keine Antwort erhalten zu haben.
Die den Nordjemen kontrollierenden Huthi-Rebellen hingegen beschuldigten die Grenzschützer in einer Antwort an HRW, «vorsätzliche Tötungen von Migranten und Jemeniten» vorzunehmen. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe hatten Migranten berichtet, dass Kräfte der Huthis mit Schleusern zusammenarbeiten würden und Migranten «erpressen» würden oder sie in Auffanglagern festhielten, bis diese eine Gebühr zahlten. Die Huthis wiesen den Vorwurf der Zusammenarbeit mit Schleusern zurück.
Im Jemen herrscht seit Ende 2014 ein verheerender Konflikt zwischen der Regierung, den Huthi-Rebellen und deren Verbündeten. Saudiarabien kämpft im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthis, die das Land 2014 überrannten und die weite Teile im Norden beherrschen. Die Vereinten Nationen betrachten den Konflikt im Jemen als eine humanitäre Katastrophe, die das Land an den Rand einer Hungersnot gebracht hat.
Fluchtroute trotz Bürgerkrieg
Trotz des Bürgerkriegs kommen noch immer Migranten in den Jemen mit dem Ziel, ins benachbarte Saudiarabien zu gelangen. Schätzungen zufolge kommen weit mehr als 90 Prozent der Migranten auf der «gefährlichen Ostroute» – vom Horn von Afrika über den Golf von Aden durch den Jemen nach Saudiarabien – aus Äthiopien. Die Route wird HRW zufolge auch von Migranten aus Somalia, Eritrea und gelegentlich aus anderen ostafrikanischen Ländern genutzt. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Frauen und Mädchen, die auf der Ostroute migrieren, gestiegen.
HRW dokumentiert seit fast einem Jahrzehnt Misshandlungen von äthiopischen Migranten in Saudiarabien und Jemen. Doch die jüngsten Tötungen schienen «weit verbreitet und systematisch» und könnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, erklärte die Organisation weiter.
Bereits im vergangenen Jahr hatten UNO-Experten über «besorgniserregende Vorwürfe» berichtet, denen zufolge saudiarabische Sicherheitskräfte an der Grenze zum Jemen in den ersten Monaten des Jahres 2022 etwa 430 Migranten getötet hätten.
SDA/AFP/alb
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