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Meinung

Kommentar zur Pandemie-Kommunikation
Auch Experten dürfen mal schweigen

BAG-Direktor Pascal Strupler (M.) mit dem ehemaligen «Mister Corona» Daniel Koch (l.) und BAG-Kommunikationschef Gregor Lüthy an einer Medienkonferenz im Februar in Bern.

«Warum ist dieses Coronavirus so aufsehenerregend?», fragte am 3. Februar ein Zuschauer in der SRF-Sendung «Puls». Die Antwort des Experten: «Sie haben vollkommen recht, die saisonale Grippe sollte uns wesentlich mehr beschäftigen als Corona.» Das sagte Volker Thiel, ein weltweit anerkannter Coronaviren-Forscher.

Seit uns die Pandemie heimgesucht hat, gieren die Medien nach Informationen. Manche Experten bedienen sie nur zu gern – und tragen so zur Verwirrung bei. Dazu nur drei Beispiele von vielen:

  1. Der Immunologe Beda Stadler empfahl im «Blick» gegen die Infektion Dampfinhalationen. Dabei ist Stadler sonst gar kein Anhänger der Naturheilkunde. Wenig später schon rieten Lungenfachärzte von Feuchtinhalationen ab. Der Hintergrund: Seit dem Sars-Ausbruch ist bekannt, dass dabei Aerosole entstehen können, die das Ansteckungsrisiko womöglich erhöhen.
  2. Sars-CoV-2 sei ein völlig neues Virus, der Mensch habe ihm keinerlei Abwehr entgegenzusetzen, sagten die Experten, und die Talkshows und Nachrichten kolportierten es fleissig.
    Inzwischen haben verschiedene Studien Hinweise geliefert, dass ein Teil der Menschen vermutlich doch eine gewisse Immunabwehr gegen Sars-CoV-2 besitzt, mutmasslich erworben durch Infektionen mit den schon länger zirkulierenden Coronaviren.
    Diese Erkenntnis über sogenannte Kreuzimmunität könnte bedeutende Folgen haben für die Berechnung der Herdenimmunität und die Prognosen zur Pandemie, heisst es sinngemäss in einer im Fachblatt «Nature» veröffentlichten Studie, die von Fachleuten begutachtet wurde. Einer der Autoren ist der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten. Auf die Herdenimmunität habe dieser Befund kaum einen Einfluss, widersprach prompt der ETH-Immunologe Manfred Kopf, Mitglied der Covid-19-Taskforce, in der NZZ. Ja was denn nun?
  3. Bis anhin wurden über 70’000 Studien und Fachartikel zu Sars-CoV-2 veröffentlicht. Selbst früher hoch angesehene medizinische Fachzeitschriften haben während der letzten Monate Arbeiten von lausiger Qualität veröffentlicht, die es in normalen Zeiten nie dorthinein geschafft hätten.
    Diese «Infodemie» treibt ständig neue Blüten: Chinesische Ärzte beispielsweise beschrieben bis Mitte August 185’280 Erkrankungsfälle – bei offiziell rund 85’000 Covid-19-Infektionen in China bis zu jenem Zeitpunkt. Und allein 250 andere Fachartikel beschreiben die Röntgenbefunde an den Lungen bei Covid-19. «Alle kamen mehr oder weniger zum gleichen Schluss», resümieren Ärzte, die sich die Mühe gemacht haben, das durchzusehen. Welchen Eindruck hinterlässt solche «Wissenschaft» in der Öffentlichkeit?

Schon einige renommierte Wissenschaftler haben sich in der Pandemie ins Abseits manövriert. So der französische Infektiologe Didier Raoult, der Choloroquin vorschnell als Heilmittel lobte. Wie viele Menschen weltweit den Nebenwirkungen solcher nicht bewiesener Behandlungen zum Opfer fielen, bleibt vorerst offen. Der Rückfall in die «Eminenz-basierte» anstelle der «Evidenz-basierten» Medizin ist stellenweise erschreckend.

Der Rückfall in die «Eminenz-basierte» anstelle der «Evidenz-basierten» Medizin ist stellenweise erschreckend.

Auch die Nationale Covid-19-Taskforce hat bei der Frage, wie gut Masken schützen, nicht so informiert, wie man es von Wissenschaftlern erwarten würde. Medizinische Masken könnten die Übertragung um bis zu 80 Prozent senken, schrieb sie in einer ihrer Stellungnahmen. Medien griffen die Zahl auf, die Maskenpflicht im ÖV wurde beschlossen.

Die Empfehlung mag durchaus sinnvoll sein. Aber die Angabe von «80 Prozent» suggerierte weit mehr Wissen, als vorhanden war. Ein Rechenbeispiel: Würde sich mit Maske einer von 1000 Menschen infizieren und ohne Maske zwei von 1000, dann würden Masken das Ansteckungsrisiko um 50 Prozent senken. Diese Zahlen sind völlig fiktiv, weil niemand den genauen Nutzen kennt. Das Beispiel zeigt aber, dass relative Angaben mehr Eindruck machen.

Schädliche Kommunikationstricks

Kurzfristig mögen solche Kommunikationstricks wirksam sein, längerfristig schaden sie. Den Medien, der Wissenschaft, dem Zusammenhalt in der Bevölkerung. Wissenschaftler, die so kommunizieren, müssen sich nicht wundern, wenn Teile der Bevölkerung das Vertrauen verlieren.

Wenn Experten sagen: «Wir wissen es nicht», nimmt ihnen das niemand übel. Stossend ist aber, wenn sie so tun, als wüssten sie, oder das vorhandene (Nicht-)Wissen anders darstellen, um Einfluss zu nehmen. Höchste Zeit, um über neue Strategien nachzudenken – vor allem, was die Kommunikation angeht.