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Identitätslose Migranten
Asylsuchende sollen durchleuchtet werden

Sollen die Behörden Handys von Asylsuchenden künftig auswerten dürfen? 
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Kein Pass, keine ID, kein Heimatschein: Drei von vier Asylsuchenden in der Schweiz können sich nicht ausweisen. Woher sie kommen, wie alt sie sind, wie sie heissen – das konnten letztes Jahr 73,5 Prozent der Gesuchsteller (8100 Personen) nicht belegen. Zurzeit liegt der Wert gemäss Staatssekretariat für Migration (SEM) noch höher. Bis Ende März haben rund 2600 Personen ein Asylgesuch eingereicht, davon 2000 oder 79 Prozent ohne Identitätsdokumente. Da sie diese auch nachreichen können, könnten sich die Zahlen jedoch noch ändern.

Die Migrationsbehörden stellt dieser Informationsmangel vor grosse Herausforderungen. Sie müssen die vielfältigen Fluchtgeschichten aufwendig recherchieren; mithilfe von Sprachanalysen, Datenbankabfragen oder Fingerabdrücken versuchen sie, das Vorleben der identitätslosen Gesuchsteller zu rekonstruieren – mit häufig uneindeutigem Ergebnis.

Eine umstrittene Gesetzesänderung soll diesen Prozess nun vereinfachen: Künftig sollen die Asylbehörden Handys, Tablets und weitere elektronische Datenträger der Asylsuchenden durchsuchen dürfen, wenn deren Identität nicht auf andere Weise festgestellt werden kann. Mit einem entsprechenden Passus im Asylgesetz soll die bereits heute geltende Mitwirkungspflicht der Gesuchsteller im Asylverfahren ergänzt werden. Der Nationalrat hat diesen neuen behördlichen Befugnissen zugestimmt. Sie gehen auf einen Vorstoss von SVP-Nationalrat Gregor Rutz zurück. Dabei sollen folgende Regeln gelten:

  • Kein Zwang: Asylsuchende dürfen nicht dazu gezwungen werden, ihr Handy abzugeben. Der Nationalrat folgte Justizministerin Karin Keller-Sutter, die diesen Antrag der SVP als «unverhältnismässig» bezeichnete.

  • Kein Automatismus: Die Migrationsbehörde des Bundes muss in jedem Fall einzeln prüfen, ob es notwendig und verhältnismässig ist, das Handy zu durchsuchen. Die SVP wollte diese Auflage streichen.

  • Datenlöschung: Nach der Auswertung werden die Personendaten gelöscht, spätestens ein Jahr nach der Speicherung. Links-Grün hatte eine kürzere Dauer von sechs Monaten gefordert.

  • Daten von Angehörigen: Auch Personendaten von Drittpersonen auf den Handys dürfen die Behörden untersuchen, allerdings nur, wenn jene des Gesuchstellers die Identität nicht klären konnten.

Damit hat sich im Nationalrat eine Mitte-rechts-Mehrheit durchgesetzt. Links-Grün hat grundsätzliche Bedenken wegen des Eingriffs in die Privatsphäre der Asylsuchenden: Diese würden sogar schlechter gestellt als Straftäter, sagte etwa Samira Marti (SP). Für die Handyabgabe sei nämlich kein Rechtsentscheid nötig. Die elektronischen Geräte von Straftätern hingegen dürften nur bei schweren Gesetzesverstössen und begründetem Tatverdacht geprüft werden.

Auch die Flüchtlingshilfe und das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), die sich bereits im Vorfeld dezidiert dagegen ausgesprochen hatten, erachten die Handykontrolle als «unverhältnismässigen Eingriff in die Privatsphäre». Die Identität könne mit anderen Methoden festgestellt werden, die weniger stark in die Grundrechte eingreifen würden. Noch unklar ist, ob linke Kreise das Referendum ergreifen werden, sollte die kleine Kammer dem Nationalrat folgen. Konkrete Pläne existieren gemäss linken Vertretern noch nicht.

Datenschützer übt Kritik

Die Kantone dagegen begrüssen die Neuerung. «Gerade Personen, die aus Staaten mit einem Rückübernahmeabkommen in die Schweiz gelangen, wollen ihre Identität häufig nicht offenlegen», sagt Marcel Suter, Präsident der Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden. Suter hielte es aber für sinnvoll, wenn die Behörden – wie von der SVP vergeblich gefordert – den Asylsuchenden das Handy notfalls auch gegen deren Willen wegnehmen und auswerten könnten. Zwar müssen Asylsuchende heute schon im Rahmen der Mitwirkungspflicht ihre Identität offenlegen und allfällige Beweismittel einreichen. Weigern sie sich, kann das negative Konsequenzen für ihr Asylverfahren haben. Eine Klausel im Asylgesetz, die den Behörden einen zwangsweisen Einzug elektronischer Datenträger explizit ermöglicht, würde Suter aber begrüssen.

Ebenso Sinn ergibt es für Suter, wenn nicht nur das SEM, sondern auch die kantonalen Migrationsbehörden das Handy einziehen könnten, da die Kantone für die Rückkehr abgewiesener Asylsuchender zuständig sind. Denn Gesuchsteller mit blockierten Wegweisungsvollzügen blieben in den Kantonen häufig in der Nothilfe.

Die geplante Offenlegung von Handydaten hat auch den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten auf den Plan gerufen. Im letzten Sommer sprach Adrian Lobsiger in dieser Zeitung von einem «schweren Eingriff in die Privatsphäre von Tausenden von Menschen». Lobsiger habe seine «grundlegend ablehnende Haltung dazu nicht geändert», sagt Sprecherin Silvia Böhlen auf Anfrage. «Wir erkennen aber an, dass unseren Forderungen nach einer Verbesserung der Vorlage in weiten Teilen entsprochen wurde.» Etwa dass die Behörden die Daten nun nicht gegen den Willen der Asylsuchenden auswerten dürften.

Kritisch äussert sich auch Martin Steiger. Der Rechtsanwalt und Datenschutzexperte bezweifelt, dass die Auswertung von elektronischen Datenträgern und Geräten zielführend sei. Den Eingriff in die Grund- und Menschenrechte hält er deshalb nicht für gerechtfertigt. Eine Pilotstudie des SEM hat indes gezeigt: In 15 Prozent der Fälle wurden nützliche Hinweise zur Identität oder zum Reiseweg der betroffenen Personen auf den Handys gefunden. Die Befürworter der Neuerung werten das als Beleg dafür, dass die Verschärfung den erhofften Nutzen bringe.