Streitgespräch zur Asylpolitik«Deine Partei hetzt die Leute auf» – «Jetzt zeigt sich, wie ideologisch du bist, Balthasar»
Die SVP ist überzeugt: Es kommen die falschen Flüchtlinge zu uns. Die Linken halten dagegen. Wo liegt die Wahrheit? Ein Wortgefecht zwischen Balthasar Glättli (Grüne) und Barbara Steinemann (SVP).
![Balthasar Glättli und Barbara Steinemann im Streitgespräch zur Migration in einem holzvertäfelten Raum.](https://cdn.unitycms.io/images/A4EM4zmPatb9yhNrdBjKw-.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Pke6uNVB3do)
Das Büchlein von Balthasar Glättli ist dünn und es hat einen provozierenden Titel: «Es kommen die Richtigen», so nennt er seine «Klarstellungen zur Schweizer Asyldebatte». Stimmt das tatsächlich?
Die Debatte wird nicht nur in der Schweiz geführt, sondern überall um uns herum. Der Bundestagswahlkampf in Deutschland kennt kein anderes Thema, und in den USA verspricht Donald Trump die grosse Massenausweisung von Migranten an der Südgrenze.
Ist die aktuelle Debatte der tatsächlichen Grösse des Problems angemessen? Das ist einer der grössten Streitpunkte zwischen rechts und links, wie das Gespräch zwischen SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann und Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli zeigt.
«Es kommen die Richtigen» heisst das Büchlein von Balthasar Glättli. Haben Sie es gelesen, Frau Steinemann?
Barbara Steinemann: Ich habe es angeschaut. Wir haben ganz klar eine andere Meinung: Es kommen die Falschen. Nehmen wir zum Beispiel die Türkei. Viele haben Asyl erhalten, weil sie den Behörden gekaufte – durch Bestechung erworbene – Haftbefehle vorgelegt haben. Hinzu kommt die Kriminalität. Jeder vierte Diebstahl oder Einbruch geht auf das Konto von Asylsuchenden. Vor allem Personen aus Maghrebstaaten sind dafür verantwortlich, obwohl weniger als ein Prozent von ihnen Asyl erhalten.
Herr Glättlis Argumentation überzeugt Sie also nicht?
Steinemann: Nein, gar nicht.
Sind die Gruppen, die Frau Steinemann genannt hat und die in der Schweiz Asyl beantragen, wirklich die Richtigen, Herr Glättli?
Balthasar Glättli: Ja, es kommen die Richtigen. Die nationale Schutzquote lag in den letzten zehn Jahren konstant bei etwa drei Vierteln. Der Bund kommt also bei 75 Prozent der Gesuche, die in der Schweiz geprüft werden, zum Schluss, dass die Person tatsächlich Schutz benötigt. Was die Kriminalität angeht: Eine Studie hat gezeigt, dass die massiv reduzierte Sozialhilfe Kleinkriminalität wie Ladendiebstähle begünstigt. Teilweise sind das also Armutsdelikte.
Manche kommen aber auch in die Schweiz, um Delikte zu verüben. Unter dem Vorwand, Schutz zu suchen.
Glättli: Klar, das darf man nicht schönreden. Aber die meisten jungen Männer aus dem Maghreb erhalten ja eben kein Asyl, wie Frau Steinemann selbst gesagt hat. Der Bund hat für sie Schnellverfahren eingeführt. Wenn man die Asylstatistik von 2023 anschaut, sieht man übrigens, dass wesentlich mehr Personen in Maghrebstaaten zurückgekehrt als neu angekommen sind. Die SVP foutiert sich aber um solche Zahlen. Sie foutiert sich auch um das geltende Recht. Die SVP hat eine eigene Definition davon, was «richtige» Flüchtlinge sind. Das geht nicht. Wir haben ein Asylgesetz.
Der Bund hat vor kurzem angekündigt, dass er ein Vorverfahren für Personen mit geringen Chancen auf Asyl prüft. Eine gute Idee?
Glättli: Ich finde es sinnvoll, die Gesuche von Personen aus Maghrebstaaten schnell zu behandeln. Dann soll man aber auch dort beschleunigen, wo die Chancen sehr gross sind. Ein Vorverfahren braucht es aus meiner Sicht nicht. Jeder hat das Recht darauf, dass sein Gesuch geprüft wird.
Steinemann: Das Problem ist halt auch, dass alles so intransparent ist. Das Staatssekretariat für Migration weist nach, wie viele Personen aus welchen Ländern Asyl oder eine vorläufige Aufnahme erhalten haben. Aber es sagt nicht, wie viele aus welchen Gründen. Das muss sich ändern. Wir wollen zum Beispiel wissen, wie viele wegen religiöser Verfolgung Asyl erhalten. Und noch etwas Grundsätzliches: Was entscheidet bei den weltweit Millionen von geflüchteten Menschen, wer in die Schweiz kommen darf? Die Realität ist hässlich: Es ist das Geld. Zu uns kommen jene, die Schlepper bezahlen können. Die anderen müssen irgendwo in Flüchtlingslagern bleiben.
Heisst das, dass die Schweiz vermehrt Gruppen von Flüchtlingen direkt aus Lagern aufnehmen sollte, über das Resettlement-Programm der UNO?
Steinemann: Das wäre – wenn schon – besser. Aber derzeit geht das nicht, weil zu viele auf eigene Faust kommen. Der Bund hat die Resettlement-Programme auf Druck der Kantone sistiert. Zu Recht. Am stärksten belastet sind die Gemeinden. Ich komme aus dem Bezirk Dielsdorf im Zürcher Unterland. Die 22 Gemeindepräsidenten haben Bundesrat Jans gemeinsam geschrieben, dass es so nicht weitergehe. Ich sehe es auch in meiner Gemeinde, in Regensdorf. Wir wissen nicht mehr, wohin mit den Leuten. Die Erweiterung von Asylanlagen haben die Stimmberechtigten im Zürcher Unterland überall abgelehnt.
Was schliessen Sie daraus?
Steinemann: Der Stimmbürger hat die Nase voll. Entweder muss man das Problem jetzt lösen, oder dann gibt es Umwälzungen, wie wir sie in anderen Ländern beobachten können. Trump, Meloni, Deutschland, Österreich …
Glättli: Da ruft wieder einmal der Brandstifter nach der Feuerwehr. Deine Partei, die SVP, hetzt die Leute auf und schafft eine Stimmung, die Lösungen verhindert. Bei den Geflüchteten aus der Ukraine war die Grundstimmung anders, wenigstens zu Beginn. Und siehe da: Plötzlich war vieles möglich.
Steinemann: Jetzt zeigt sich, wie ideologisch du bist. Deine Lösung ist: weiter wie bisher. Probleme verdrängen. Kriminalität ignorieren.
Glättli: Man kann nicht klagen, es gebe Probleme, etwa bei der Unterbringung, und gleichzeitig die Lösungen verhindern – wie bei den Containerdörfern, die das Parlament abgelehnt hat.
Steinemann: Eine Lösung muss doch bei der Ursache ansetzen: Es kommen viel zu viele. Das hat Folgen. Zum Beispiel für den Wohnungsmarkt. Wir mussten in Regensdorf mehrere Liegenschaften anmieten.
Glättli: Auch hier möchte ich jetzt einfach mal die Zahlen auf den Tisch legen. Ich habe mich nämlich beim Bundesamt für Statistik erkundigt, wer durch welche Tür in die Schweiz kommt. Wie viele über die Arbeitsmigration und wie viele über Asyl.
Steinemann: Arbeitsmigration ist etwas völlig anderes.
Glättli: Auch Arbeitsmigranten brauchen eine Wohnung.
Wie viele kommen denn nun durch welche Tür in die Schweiz?
Glättli: Von jenen, die in den letzten zehn Jahren in die Schweiz kamen und Ende 2023 noch hier waren, sind bloss 6,8 Prozent auf dem Asylweg gekommen. Hinzu kommen 5 Prozent Ukrainerinnen und Ukrainer. 88 Prozent kamen zwecks Arbeitsmigration. Es ist absurd, wenn jetzt sogar FDP und Economiesuisse sagen, die Asylsuchenden seien für die «Masseneinwanderung» verantwortlich. Das stimmt einfach nicht. Ein Problem ist auch, dass man immer nur von jenen spricht, die kommen, und nie von jenen, die wieder gehen. Rückkehr findet statt!
Steinemann: Tatsache ist, dass die Schweizer Bevölkerung extrem wächst. Zwischen 2000 und 2023 haben fast eine halbe Million Menschen ein Asylgesuch gestellt. Man darf beim Asyl auch die Folgen für die Sozialhilfe nicht vergessen. Ich sitze seit bald 15 Jahren in einer Sozialbehörde und sehe die Dossiers. Die meisten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen kann man nicht integrieren, sie sind ein Leben lang auf Sozialhilfe angewiesen.
![Balthasar Glättli und Barbara Steinemann bei einem Streitgespräch zur Migration in einem holzgetäfelten Raum, zwei Fenster im Hintergrund.](https://cdn.unitycms.io/images/7MBe4O43ajB8PrMTS1DeNH.jpg?op=ocroped&val=1600,1067,791,325,371,96&sum=rhr7LbdvybQ)
Laut dem Staatssekretariat für Migration sind nach 7 Jahren mehr als die Hälfte – 56 Prozent – erwerbstätig.
Steinemann: Dann sage ich es anders: Als ich angefangen habe, waren auch Schweizer und Europäer in der Sozialhilfe. Heute ist bald jeder Zweite ein Flüchtling. Gemäss Sozialhilfestatistik sind 45 Prozent der Sozialhilfebezüger aus dem Asylbereich. Ein grosses Integrationshindernis – das ist ein Tabuthema – sind die psychischen Probleme dieser Menschen, der gesundheitliche Zustand.
Sie nicken, Herr Glättli.
Glättli: Ja, jetzt reden wir endlich über tatsächliche Herausforderungen. Es geht um Menschen, die zu uns gekommen sind, weil sie schutzbedürftig sind. Weil sie vor Verfolgung und Krieg geflüchtet sind. Dass viele dieser Menschen traumatisiert und psychisch belastet sind, ist logisch. Wer gefoltert wurde, kann das nicht einfach abschütteln.
Migration ist in ganz Europa ein grosses Thema. In Deutschland haben die CDU und die AfD jüngst im Bundestag einem Plan zugestimmt, der mit europäischem Recht nicht kompatibel ist. Ein Gesetz scheiterte später. Geht es beim Asylthema vor allem um Rhetorik?
Steinemann: Was in Deutschland abgeht, ist ein bisschen ausserirdisch. Ich habe das nicht so eng verfolgt. Wir müssen einfach schauen, dass wir nicht Zustände bekommen wie in Deutschland.
Der Plan in Deutschland hat Ähnlichkeiten mit der Grenzschutzinitiative der SVP. Hätten Sie auch mit der AfD gestimmt, Frau Steinemann?
Glättli: Die SVP ist ja die AfD, wie Ueli Maurer bestätigte.
Steinemann: Nein, die SVP ist die SVP. Und Deutschland hat ein völlig anderes System. Den deutschen Plan kenne ich nicht im Detail. Was ich sagen kann: Wir fordern das, was Deutschland heute schon tut: Grenzkontrollen. Auch andere Länder haben wieder Kontrollen eingeführt.
Asylsuchende könnten trotz Grenzkontrollen ein Gesuch stellen. Falls sie an der Grenze zurückgewiesen werden sollen: Muss sich dann das Nachbarland um sie kümmern? Im Fall von Deutschland die Schweiz?
Steinemann: Die Schweiz müsste die Leute dann natürlich auch an der Grenze zurückweisen, wenn andere Länder das tun würden. Aber ja, auch mit Grenzkontrollen kann man ein Asylgesuch stellen. Deshalb muss man auch über die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten sprechen. Andere Länder versuchen das bereits – Dänemark, Grossbritannien, Italien …
Bisher sind aber alle Versuche gescheitert.
Steinemann: Wir sind dermassen von Richtern und Konventionen gesteuert, dass wir kaum noch handlungsfähig sind.
Europa versucht mit der Asylreform ein gemeinsames Vorgehen. Wie stellen Sie sich dazu?
Steinemann: Am Reissbrett ergibt das Sinn. Aber jedes Land schaut doch am Ende für sich.
Glättli: Ich möchte auf Deutschland zurückkommen. Mir macht das Angst: Einzelereignisse führen dazu, dass man bereit ist, das Fundament des Rechtsstaats über Bord zu werfen.
Mit «Einzelereignis» meinen Sie Anschläge und Gewalttaten mit Todesopfern. Haben Sie kein Verständnis dafür, dass das Angst und Empörung auslöst?
Glättli: Doch. Kein Verständnis habe ich dafür, dass man Täter je nach Herkunft anders beurteilt. Wenn ein Deutscher ohne Migrationshintergrund durchdreht und jemanden umbringt, ist es tragisch, aber ein psychiatrischer Fall. Wenn der psychisch angeschlagene Täter ein Asylsuchender ist, sieht man dagegen die Sicherheit des Landes in Gefahr – und will allen Asylsuchenden mit absoluter Härte begegnen. Dabei macht man einfach die Hausaufgaben nicht: In Solingen wurde ein Mann zum Täter, der gerade nicht in seiner Unterkunft war, als die Polizei ihn zur Abschiebung abholen wollte. Danach passierte einfach nichts. Das ist ein Versagen der Bürokratie, nicht der Asylpolitik.
Steinemann: Wir müssen aufpassen, dass es bei uns nicht auch so weit kommt. Der Geiselnehmer von Yverdon hätte auch in ein anderes Land geschickt werden sollen.
Glättli: Ich kritisiere, dass die Gesellschaft und die Medien je nach Herkunft des Täters völlig anders reagieren. Für mich ist ein Mord ein Mord. Jeder solche Fall ist einer zu viel. Aber wir können nicht alle Menschen, die hier rechtmässig Schutz suchen, für die Taten Einzelner in Sippenhaft nehmen.
Steinemann: Wir haben genügend eigene Gestörte und Kriminelle. Wir brauchen nicht noch jene aus dem Asylbereich. Diese begehen überproportional viele Taten. Es ist doch so: Die Einzelereignisse häufen sich. Deutschland hat keine Ahnung, wer alles im Land ist. Das ist in der Schweiz nicht viel anders. Viele kommen ohne Dokumente.
Der Bund klärt dann aber mit viel Aufwand ihre Identität ab, nicht?
Steinemann: Ja. Aber man kann unbemerkt ein- und ausreisen. Das ist doch ein totaler Kontrollverlust.
Wie liesse sich das verhindern?
Steinemann: Grenzkontrollen! Es heisst dann immer, da müssten Mauern rund um die Schweiz gebaut werden. Aber heute gibt es moderne technische Mittel. Und die Grenzkontrollen haben jahrzehntelang funktioniert! Erst seit Dezember 2008 kontrolliert man die Grenzen nicht mehr. Wegen Schengen. Kontrolliert wurden vorher übrigens nicht alle, sondern nur etwa drei Prozent – ausgewählt von geschulten Grenzwächtern.
Glättli: Jetzt hast du eine interessante Zahl genannt. Drei Prozent wurden früher kontrolliert, als es noch Grenzkontrollen gab. Drei Prozent! Und das nennt man bei der SVP dann geschlossene Grenzen. Das ist doch Wolkenbeigerei. Überall sagen die Rechtspopulisten und Rechtsextremen den Leuten, alles sei ausser Kontrolle geraten und sie hätten die Lösung. Und die Lösung ist, drei Prozent der Leute zu kontrollieren?!
Steinemann: Das ist jetzt moralische Erpressung. Wenn man nicht dafür ist, dass jeder in die Schweiz kommen kann, ist man gleich rechtsextrem.
Glättli: Moralische Erpressung ist, zu behaupten, alles sei ausser Kontrolle und wenn man nicht irgendeiner SVP-Initiative zustimme, sei man mitschuldig. Es geht um mehr als Asylpolitik. Es geht um die Frage, ob wir die Errungenschaften der Moderne hochhalten, den Rechtsstaat stärken statt schlechtreden. Das Asylrecht ist im Kern ein urliberales Recht. Es schützt den Einzelnen vor der Gewalt eines Staates. Deshalb verstehe ich nicht, dass das Asylrecht beim Freisinn bald keine Fürsprecher mehr hat.
Stehen Sie grundsätzlich hinter dem Asylrecht, Frau Steinemann?
Steinemann: Ja, natürlich. Aber die Umstände haben sich verändert. Und es steht nirgendwo, dass man den Schutz nicht in einem Drittland bieten kann. Das wäre vielleicht der gangbare Weg. Es ist einfach nicht realistisch, alle aufzunehmen.
Ist die Auslagerung in Drittstaaten realistisch?
Steinemann: Ja, durchaus, wenn man sich auf internationaler Ebene darauf verständigen würde.
Glättli: Der Deal, den die rechten Tories in Grossbritannien mit Ruanda gemacht haben, war absurd. Grossbritannien hätte über 1,8 Millionen Franken bezahlt – pro Flüchtling! Geplant war, 300 Personen nach Ruanda zu bringen. Lächerlich.
Ist es eine Scheinlösung?
Steinemann: Zugegeben, Grossbritannien hat das nicht gut gemacht. Und dann kam ein Regierungswechsel.
Glättli: Die Auslagerung ist ein Phantom seit den 1990er-Jahren. Was dabei immer ausgeblendet wird: Der allergrösste Teil der Menschen flüchtet von einem Land des globalen Südens in ein anderes Land des globalen Südens. Die Auslagerung findet also bereits statt! Der Skandal ist, dass wir auch noch die Resettlement-Kontingente streichen für die besonders Verletzlichen in diesen Lagern.
Steinemann: Ich finde, wir müssen uns überhaupt nichts vorwerfen lassen. Was aber stimmt: Auf eigene Faust kommen jene, die Schlepper bezahlen können. Die halbe Milliarde, die wir für Flüchtlingslager in Nachbarstaaten von Konfliktgebieten ausgeben, ist gut investiert. Diesen Betrag könnten wir noch aufstocken, mit Mitteln aus der Entwicklungshilfe.
Glättli: Warum gibt es denn überhaupt Schlepper? Warum ertrinken Menschen auf der Flucht im Mittelmeer? Der Grund ist die Festung Europa. Zu Beginn der 2000er-Jahre hat man eine Visumspflicht eingeführt. Fluggesellschaften werden bestraft, wenn sie Personen ohne Visum transportieren.
Steinemann: Jedes Land hat ausländerrechtliche Regelungen!
Glättli: Es ist wie in der Drogenpolitik. Die reine Repression – oder die reine Abschreckungspolitik – führt zu Leid und Kriminalität und löst kein Problem.
Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Asylgesuche gesunken. Für das laufende Jahr rechnen die Behörden mit einem weiteren Rückgang. Wird sich die Lage nicht ohnehin beruhigen?
Steinemann: Das sind nur Prognosen. Der Bund hat sich bekanntlich bei Prognosen schon arg getäuscht. Zudem: Wenn die Asylzahlen ein wenig zurückgehen, nützt das nichts.
Wie viele wären denn für Sie nicht zu viele, Frau Steinemann?
Steinemann: Ich möchte das nicht an einer Zahl festmachen.
Glättli: Die neuste SVP-Initiative schon: Sie will nicht mehr als 5000 Asylsuchende im Jahr.
Steinemann: Man darf einfach nicht vergessen, dass all diese Leute integriert werden müssen. Viele sind junge Männer, viele sind Moslems. Das sprengt unsere Integrationskraft.
Ist unsere Integrationskraft unbegrenzt, Herr Glättli?
Glättli: In den letzten 30 Jahren verzeichnete die Schweiz im Schnitt 20’000 Asylgesuche pro Jahr. Der Anteil an der Bevölkerung sank von 3 auf 2 Promille. Wer da von einem Notstand spricht, redet den Notstand herbei. Mein Vorschlag: Wenn weniger als 25’000 im Jahr kommen, nehmen wir entsprechend Restettlement-Flüchtlinge auf, sonst nicht.
Steinemann: Balthasar Glättli hat das Gefühl, wir könnten unendlich viele aufnehmen. Zudem: Resettlement-Flüchtlinge sind oft sehr krank oder behindert. Sie belasten das Gesundheitswesen.
Glättli: Das ist jetzt genau das populistische Gerede: «Der Glättli will alle aufnehmen.» 25’000 sind nicht alle und auch nicht unendlich viele! Die Schweiz als reiches Land kann das bewältigen.
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